Ausstellung Galerie PARROTTA CONTEMPORARY ART
Die Bilder von Stefan Guggisberg sind voller Gegenstände: Steine, Wasser, Gefäße, Menschen, Stürme, Wirbel, Sogbewegungen, Explosionen, Nebel. Es sind Erscheinungen, die weder nach äußeren Vorlagen, noch nach inneren Vorstellungen aufs Papier gebracht, sondern aus abstrakten Anordnungen von Ölfarbe herausgearbeitet sind.
In den verschiedenen Phasen dieser Hervorbringung von Gegenständen lassen sich Ähnlichkeiten mit dem Aufbau physischer Wirklichkeit finden. In Kollision wurde zuerst Farbe mit einem Spachtel aufgetragen, wodurch marmorartige Adern entstanden. Die Fläche wurde dann mit einer Radiermaschine behandelt, welche die Farbe in einer Punktstruktur aufrieb und das weiße Papier freilegte, wodurch die rauhe, körnige, flaue Haptik und Optik rohen Gesteins herausgebracht wurde und somit eine Stoffart – Stein – als Rohstoff oder Werkstoff entstand. Die beim Radieren entstandenen Unebenheiten geben die räumliche Gestalt des Gesteins vor, die durch weiteres Abtragen und Auftragen von Farbe herausgearbeitet wurde; es entstehen rhythmische Reihen von Kanten und Klüften, Wölbungen, Wirbeln sowie Modulationen von Licht und Schatten. Die im Titel genannte Kollision ist der Einschlag, in diesen geologischen Raum, eines Ereignisses aus einem anderen Raum, einer blauen kristallenen Explosion, die mit Deckfarbe gemalt auf dem Papier kantig absteht wie ein Mosaikstein. Dieser Lapislazuli aus einem dieser parallelen Universen sieht Stefan Guggisberg als aus der Geometrie kommend, eine platonische Grundform, wie diejenigen aus der Timaeus, vermutlich ein Ikosaeder. Es ist dabei zu entstehen oder zu verschwinden, oder tritt nur teilweise in die Sichtbarkeit, wie ein nur halb angekommenes Videobild, und ist umgeben von größeren Kreisen oder Kugeln in rötlichem Ocker, die aus einem weicheren Stoff sind. Als Splitter strahlen sie unter dem Druck einer Explosion hinter dem Ikosaeder hervor, und besprühen den darunter liegenden Stein oder sind in ihn eingewachsen. Das kleine Ereignis mit dem Ikosaeder – das die Energie des Raums bündelt und somit an das Wort André Bretons vom explosante-fixe erinnert – könnte ein kosmisches, ein subatomares oder ein rein ideelles (Stefan Guggisbergs bevorzugte Deutung) sein: sichtbar gemachte Kräfte, Wirkungen, Prinzipien, Formeln.
Diese Methode hat eine Tradition. Leonardo Da Vinci bemerkte, wenn man aufmerksam auf eine alte Mauer, Steine oder geäderten Marmor schaut, sieht man unendlich viele verschiedene Gegenstände. Diese Empfehlung wurde von Max Ernst systematisch eingesetzt und vielfach variiert. Wenn Jean Arp Fetzen auf ein Blatt fallen lässt und sie da befestigt, wo sie zum liegen kommen, wenn John Cage eine Sternkarte oder das I Ging benutzt, um Noten aneinander zu reihen, steht das alles im selben breiten Kontinuum, und was dabei der Zufall zu sein scheint, ist lediglich ein Mittel zum Einfangen und Verdichten des Wirklichen, der Natur, die man wirken lässt, indem man den Andeutungen eines eigenständigen, äußeren Prozesses folgt, im Falle von SG durch eine Disziplin der Aufmerksamkeit für die genaue Beschaffenheit der Erscheinungen, die von sich aus danach streben, aus der Mauer zu kommen. Text: Steven Black
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