Ort: Galerie Karsten Greve bis: 2018-04-07
Künstler: Louise Bourgeois
Thema: Die Galerie Karsten Greve präsentiert in einer einmaligen Zusammenstellung Zeichnungen von Louise Bourgeois (1911-2010) aus sechs Jahrzehnten. Die Auswahl der Werke, deren Entstehungszeit zwischen 1947 und 2007 angesiedelt ist, stammt aus der Privatsammlung von Karsten Greve und spiegelt die langjährige Zusammenarbeit mit Louise Bourgeois, die in zahlreichen Ausstellungen alle Schaffensphasen des anspielungsreichen Jahrhundertwerks – bis zum Tod der Künstlerin mit 98 Jahren – beleuchtet hat. Karsten Greve richtete der Künstlerin schon 1990 in seiner 1989 eröffneten Pariser Galerie die erste Ausstellung in ihrer französischen Heimat überhaupt aus, nachdem sie ihrem Mann schon 1938 in die Vereinigten Staaten gefolgt war. Zudem bildete eine umfassende Schau mit Werken von Louise Bourgeois 1999 den Auftakt des Galeriestandorts St. Moritz. Louise Bourgeois‘ früheste markanten Kohle- und Tuschearbeiten stammen aus dem Jahr 1947, der Blütezeit ihres zeichnerischen Werks, welches sich zwischen Malerei und Bildhauerei, also an der Schnittstelle zwischen Oberfläche und Raumtiefe dynamisch entfaltet hat. Die wie in Stein gemeißelten, blockhaften Formen lassen sich in Entsprechung der zeitgleich entstandenen senkrechten, statuarischen Stelen der plastischen Werkgruppe Personnages als Personifikationen von nahestehenden, fehlenden Menschen sehen, die Bourgeois mit ihrem Umzug nach Amerika in ihrer französischen Heimat zurückgelassen hatte. Auch die spitzwinkligen Linienverläufe und energischen Schraffuren zeitnah geschaffener Werke verweisen auf die zerklüfteten Felsen und schroffen Hänge der Landschaft in der Region der Creuse in Zentralfrankreich, in der Bourgeois aufgewachsen ist. Die raue Bergregion bezeichnete die Künstlerin als „verlassen und steril“, Nach den schwarzen, scharf konturierten Formen der späten 40er und beginnenden 50er Jahre wandte sich Bourgeois mit der zunehmenden Verflüssigung ihres Striches – nun mit wässriger, zartfarbiger oder leuchtend roter Aquarellfarbe gezogen – einer weichen, anthropomorphen Landschaft zu, in der die Auflösung formgebendes Moment ist. Dabei verwandeln sich Berge in Brüste und Bäume in phallische Säulen, die Grenzen zwischen menschlicher Gestalt, Gebirge und Gewächsen werden durchlässig. In den späten, 2007 entstandenen Zeichnungen der damals 96-jährigen Künstlerin, scheinen sich Formen zu verselbständigen und zu vervielfältigen, durchdringen sich weibliche und männliche Merkmale in einer schöpferischen Dynamik der Mutationen und Metamorphosen, so dass eindeutige Zuweisungen obsolet werden. Die Vielfalt polymorpher Erscheinungsformen offenbart zugleich die Vielschichtigkeit des von wechselvollen Lebensumständen geprägten Seelenlebens der Künstlerin. Für Louise Bourgeois ist das „Kunstwerk eine Sprache“, deren Ursprung in seelischen Zuständen zu verorten ist. Die Zeichnung galt der Künstlerin als unmittelbares Verfahren zur Aufzeichnung von psychischen Realitäten und Äußerungen des Unterbewußtseins. Wie die spontane, ungefilterte écriture automatique der Surrealisten funktioniert der Stift dabei als Instrument des Aufspürens von Erinnerungswerten, als Seismograph der Seele. Persönliche Erfahrungen werden symbolisch verdichtet und erlangen bildhaften Ausdruck. Damit treten im Werk von Bourgeois die Formen als kraftvolle Zeichen einer höchst subjektiven Wirklichkeit auf, Chiffren elementarer Gefühlsmomente. Louise Bourgeois‘ Inspirationsquelle lag stets in ihrer Vergangenheit. Insbesondere bildeten Kindheitserlebnisse und Erinnerungen an ihr Elternhaus den Ausgangspunkt für eine bahnbrechende Phantasie. „Der schöpferische Impuls für alle meine Arbeiten ist in meiner Kindheit zu suchen.“ Die Intensität der Gefühlsinhalte beruhte auf der instabilen familiären Konstellation aus Vater, Mutter und Hauslehrerin, die zugleich die Geliebte des Vaters war. Die Bildwelten der Künstlerin, deren primäre Motivation immer die Selbst-Darstellung im Sinne der Vergegenwärtigung eines eigenen, wenngleich brüchigen, Selbstbildes ist, umkreisen diese Dreiecksbeziehung und die resultierenden emotionalen Verstrickungen immer wieder. Ihre Motive, einem archaischen Vokabular gleich, bilden sich als abstrahierte Verkörperungen der prägenden Figuren heraus: der herrische, chauvinistische Vater, die aufopfernde, fürsorgliche Mutter, die autoritäre Erzieherin, dazu die entfremdeten Geschwister. Bourgeois bedeckt die Fläche des Blattes mit eiförmigen, wuchernden Wülsten, die sich wahlweise zu Blütenblättern, Brüsten oder Hodensäcken weiterentwickeln, sowie mit Wolken, Wellen, Augen, Vaginae, Bäumen, Kreisen, Ellipsen, Spiralen. In Pole fleuri (1950) durchbohrt ein Stab drei Formen, deren Abwandlung durch wenige Linien jeweils eine Vulva, einen Mund oder ein Auge ergibt. Nicht ohne eine selbstironische, schalkhafte Note wiederholt Bourgeois die schmerzhaften Rollengefüge durch wiederkehrende Grundformen. Eine solche repetitive Anhäufung geht bei Bourgeois mit dem „Wunsch, die Vergangenheit zu reparieren“ einher, so dass sie ihre Zeichentätigkeit mit der Restaurierung von historischen Tapisserien in der elterlichen Werkstatt vergleicht. „Glücklicherweise habe ich den Familienhintergrund, dass wir beschädigte Wandteppiche reparierten, und die Vorstellung vom Reparieren ist mir geblieben. Dinge können repariert werden. Ich habe einiges Vertrauen zu symbolischen Handlungen.“ Das dichte Gewebe von Bourgeois‘ Zeichnungen besteht aus intuitiven Gefühlsäußerungen und spiegelt die intime Zeichenhaftigkeit der Formen, sowie die emotionale Eindringlichkeit der verarbeiteten Inhalte wider.
Ort: Galerie Karsten Greve bis: 2018-02-24
Künstler: Young-Jae Lee
Thema: Die Galerie Karsten Greve zeigt erstmalig keramische Werke der koreanischen Künstlerin Young-Jae Lee. Geboren 1951 in Seoul, studierte sie in ihrer Geburtsstadt an der Hochschule für Kunsterziehung und siedelte 1972 nach Deutschland über. Im Anschluss an ein Studium der Keramik und Formgestaltung an der Fachhochschule Wiesbaden von 1973 bis 1978 leitete sie eine eigene Werkstatt in Sandhausen bei Heidelberg. 1987 übernahm Lee die Leitung der traditionsreichen Keramischen Werkstatt Margaretenhöhe in Essen, die sie bis heute innehat. Große Beachtung findet das künstlerische Werk von Young-Jae Lee, welches kulturübergreifende Einflüsse und bildhauerische Erwägungen in sich aufnimmt, durch raumfüllende museale Präsentationen. Ausgehend von der einfachen Grundform einer Schale, einer Vase oder eines Bechers, die sich in zahlreichen Varianten weitläufig auf dem Boden ausbreitet, verteilte sie 2006 beispielsweise 1.111 Schalen in der Rotunde der Pinakothek der Moderne, München. Eine solche Inszenierung von Einzigartigkeit in der Serialität wiederholte Lee 2008 mit der Aufstellung der sogenannten „Spindelvasen“ ebendort. Schwerpunkt der Präsentation in der Galerie Karsten Greve liegt auf diesen „Spindelvasen“. Die Gestaltungsart der Spindelvase ist angelehnt an ein hang-a-ri, ein koreanisches Vorratsgefäß, dessen runde Form sich aus der Fülle des Inhalts ergibt. Aus der praktischen Nutzung heraus entwickelt, wurde die Öffnung breiter als der Fuß geformt, um die Gefäße stapeln zu können. In Abwandlung der typischen glatten Kugelform führt Lee zwei getrennt geformte Schalen nahezu spiegelbildlich zusammen, so dass deren Ränder aneinanderstoßen und eine sichtbare Nahtstelle bilden, vergleichbar mit dem Zusammenlegen geöffneter Handflächen. Durch die niedrigen Standringe wird das Augenmerk auf die ausladende Form gelenkt, deren gebogene Außenwandungen sich in einem umlaufenden Grat zuspitzen, der als prägnant kantige Kontur zum unverkennbaren Formenmerkmal dieser Werkgruppe wird. Diese Durchdringung von Einzel- und Doppelformen spiegelt sich auch in der aktuellen räumlichen Installation. Neben den auf Sockeln platzierten Spindelvasen sind zahlreiche Schalen (als „halbe“ Spindelvasen) weitläufig auf dem Boden verteilt. In ihren zarten Nuancen öffnet sich das Weiß zum ganzen Farbspektrum hin, während die dynamischen Formationen ein geradezu kosmologisches Panorama ergeben, eine poetische Reflexion über Ursprung und Schöpfung. Das traditionelle hang-a-ri zeichnete sich ab dem 16. Jahrhundert und der dann einsetzenden japanischen Besatzung durch seine weiße Glasur aus, die durch den Mangel an farbigen Pigmenten aufkam. Das Weiß, die Abwesenheit von Farbe, wurde zum Symbol der Trauer über den Verlust der koreanischen Identität, eine Bedeutung, die durch die in Sammlerkreisen um 1920/30 verwendete Bezeichnung „Mondtopf“ verschleiert wurde. Es ist vor allem das Weiß dieser traditionellen Vase und seine Verankerung in der koreanischen Geschichte, das Young-Jae Lee zur Keramik führte: „Überhaupt, das Weiß der Hanffaser, das Weiß des Reispapiers, das Weiß von dünnem und dickem Leinen, von Seide, die kein Bleichmittel weißer bekommt.“ (Young-Jae Lee). Nach ihrem Umzug nach Deutschland fand ihre Vorliebe für Weiß Anklang in den gemalten Fayence-Dosen und Krügen von Chardin, dem „Mädchen im weißen Kleid“ von Renoir und vor allem in den Werken von Piero Manzoni. Obwohl Young-Jae Lee an den Weißton der koreanischen Gefäße anknüpft, behält sie die Urform des Vorläufers nicht bei. Einer minimalistischen Formauffassung folgend, verbindet Lee in der harmonischen Vereinigung der Schalen gleichwohl historische und zeitgenössische Gestaltungsprinzipien. Ihren Umgang mit traditionellen Formen bezeichnet sie als „Neudefinition“. Ihr geht es nicht um Formerfindung, nicht um ein originelles Ergebnis, sondern um die Individualität des Gefäßes, der Singularität der entstehenden skulpturalen Form. Durch den Brand im Holzofen, legen sich vereinzelt Ascheflocken auf die helle Glasur, was zu dunklen Einsprengseln, Flecken und Unebenheiten in der Oberfläche führt. Derartige Makel stehen für den Zufall, die Unberechenbarkeit, und letztlich die Einzigartigkeit des Objekts. Zudem fließt auch das Wesen des Keramikers, seine unmittelbare körperliche und emotionale Verfasstheit, in die Fertigung ein, so dass neben bewusst getroffenen Entscheidungen auch spontane Impulse und Irritationen den Verlauf bestimmen. Die Annahme, dass die Abwandlung einer Grundform eine Vielfalt gestalterischer Variationen ergibt – die Einmaligkeit in der Wiederholung –, bestimmt Lees Arbeitsprinzip und künstlerisches Selbstverständnis. Geprägt durch ihr Studium an der FH Wiesbaden, steht nicht die entrückt-meditative Praxis, sondern das konkrete und konzentrierte bildhauerische Befassen mit einem Material, das „Hand-Werk“ im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit. Die Modellierung einer schlichten geometrischen Form aus dem tönernen Material geschieht mit einem ausgeprägten Bewußtsein für Proportionen, die von der menschlichen Figur abgeleitet sind. Lee begreift diesen Prozess, aus dem ihre Werke als „Abstraktionen des menschlichen Körpers“ hervorgehen, als „Zähmung“ der dehnbaren, elastischen Masse unter Einwirkung der Zentrifugalkraft. Diese durch „Zweck“, „Material“ und „Konstruktion“ bedingte Formgebung im Sinne von „form follows function“ steht in der Tradition des Deutschen Werkbundes und des Bauhauses. Auch dem Folkwang-Gedanken von Karl-Heinz Osthaus, auf den die Gründung der Keramischen Werkstatt Margarethenhöhe zurückgeht, ist Lee mit ihrem ganzheitlichen Ansatz, der die Unterscheidung zwischen künstlerischer und handwerklicher Tätigkeit hinfällig werden lässt, verpflichtet. Durchdrungen von ihrer kulturübergreifenden, universellen Auffassung von Kunst, die sich aus Musik, Literatur und Theater speist, entfalten Young-Jae Lees künstlerischen Werke als zeitlose Modelle zwischen Tradition und Innovation, jenseits von Moden und Manierismen eine individuelle, unverwechselbare Aura.
Ort: Galerie Karsten Greve bis: 2017-12-09
Künstler: GIORGIO MORANDI
Thema: Zwanzig Jahre nach der epochalen Präsentation GIORGIO MORANDI in den Räumen am Wallrafplatz (1996 – 1997), in deren Folge zahlreiche internationale Museen Werke Morandis für ihre Sammlungen ankauften, zeigt die Galerie Karsten Greve in einer umfassend angelegten Schau von herausragender Qualität neben bedeutenden Gemälden auch Aquarelle, Zeichnungen und Grafiken des weltberühmten italienischen Meisters, die zumeist aus bekannten Privatsammlungen stammen. Berücksichtigt man den Umfang einer der letzten institutionellen Retrospektiven, die 2000 am Kunstmuseum Winterthur stattfand, erlangt die aktuelle Zusammenstellung von über fünfzig erstklassigen Werken, darunter 38 Stillleben und 15 Landschaften, museale Größe und bietet die wahrhaft seltene Gelegenheit eines profunden Einblicks in das vielschichtige Œuvre des Künstlers. Für Giorgio Morandi (1890 – 1964), der seine Heimatstadt Bologna selten verließ und mit Ausnahme einiger Aufenthalte in der Schweiz keine Auslandsreisen unternahm, lag stets die unmittelbare Umgebung im Fokus der Aufmerksamkeit. Der intensive Blick des Beobachters Morandi erkennt die unerschöpfliche Vielfalt, die den unspektakulären, alltäglichen Dingen innewohnt und in der eingehenden Betrachtung erfahrbar wird. „Man kann die Welt bereisen, ohne etwas zu sehen. Um etwas verstehen zu können, ist es nicht erforderlich, viele Dinge zu sehen, aber sie genau zu betrachten.“ (Morandi) Ausgangspunkt für Morandis gesamtes Schaffen sind gewöhnliche Gebrauchsgegenstände häuslicher Einrichtung wie Schalen, Gefäße, Flaschen, Kannen, Becher und Vasen, die er in aufwändigen Arrangements in immer neue Beziehung zueinander setzt. Ausgehend von diesen realen Gegebenheiten – zu denen auch der Blick aus dem Fenster zählt – erstellt Morandi ein motivisches Grundrepertoire, anhand dessen er seine Auseinandersetzung mit malerischen Elementen wie Form, Farbe und Volumen bis an die Grenze der Abstraktion vorantreibt. In zahlreichen verschiedenen Zusammenstellungen, die er in einem minutiösen Auswahlverfahren vornimmt und vor einen monochromen, neutralen Hintergrund positioniert, erprobt er unermüdlich das Verhältnis der Dinge zueinander, studiert akribisch die Einwirkung von Licht und Schatten, sowie das Zusammenspiel der Umrisslinien, Raumkoordinaten und Farbflächen in einem variablen Kompositionsgefüge. Die von Morandi wie auf einer Bühne sorgsam platzierten Gegenstände werden oftmals umgestellt, ausgewechselt, Abstände werden neu austariert, Proportionen bemessen, Hell- und Dunkeleffekte erzeugt. In dieser Inszenierung bewirken geringfügige Verschiebungen in der Anordnung ausschlaggebende bildnerische Veränderungen. Durch die Mannigfaltigkeit der sich ergebenden Varianten war für Morandi das „Aufeinandertreffen einer Kaffeekanne mit einer Vase auf einem Tisch bis zu seinem Tod 1964 ein ungelöstes und höchst aktuelles Problem“ (C. Spies). Morandi lotet zudem die Relation zwischen besetztem Raum und Zwischenraum aus, lässt Konturen kontrastierend hervortreten, so dass auch die Leerstellen im Bild gleichsam einen Umriss und damit eine konkrete Präsenz erhalten. Wie bei einem Vexierbild ergibt sich manchmal eine irritierende Gleichwertigkeit von positiven, angefüllten und negativen, ausgesparten Bereichen im Bildraum, die existenzielle Unterscheidung von Anwesenheit und Abwesenheit wird hinfällig. Mit der Loslösung vom realen Entstehungskontext sind die dargestellten Sujets häufig ihrer spatialen und temporalen Verortung enthoben, ihre stille, statuarische Gegenwart erscheint archaisch, zeitlos. Morandi vermochte es dadurch, der Miniaturhaftigkeit seiner bescheidenen Modelle eine Monumentalität zu verleihen, so dass die Gefäße in ihrer Geschlossenheit als Raumkörper gravitätisch wie Gebäude anmuten. Obwohl Morandi den Bezug zur Pittura Metafisica, mit der er sich zwischen 1918 und 1919 auseinandersetzte, dezidiert abgelehnt und sein künstlerisches Anliegen stattdessen in die Nähe der italienischen Meister des Trecento und Quattrocento gerückt hat, bergen seine kompositorischen Gefüge in ihrer sorgfältigen Ausgewogenheit von besetzten und freien Bildbereichen mitunter Anklänge an die Staffage der bühnenhaften, meist menschenleeren Plätze eines Giorgio de Chirico. Morandi strebt nicht nach einem naturgetreuen Abbild der an den Realraum gebundenen Wirklichkeit, sondern befasst sich vielmehr mit der künstlerischen Gestaltung des Bildraumes, mit dem Ausloten malerischer Möglichkeiten. „Das einzige Interesse, das die sichtbare Welt in mir erregt“, schrieb er einmal, „betrifft den Raum, das Licht, die Farbe und die Formen“. Diese flüchtigen Phänomene ergeben eine veränderliche Wirklichkeit, die schwer zu fassen ist. Eine solche Auffassung der Wirklichkeit, die nicht gleichbleibend und konstant, sondern im Wechsel der Stimmungen und Impressionen erfahrbar wird, teilte Morandi mit Paul Cézanne, der den individuellen Blick, die subjektive künstlerische Wahrnehmung und die Künstlichkeit der ästhetischen Erfahrung über die reine Widergabe der Realität stellte. Während die Kubisten die Zerlegung der Form in ihre einzelnen Facetten vornahmen und die Futuristen die dynamische Auflösung der Form in dichten Sequenzen von Bewegungseinheiten suchten, widmete sich Morandi der Form in ihrer wechselhaften Erscheinung. Er schuf konzentrierte, auf das Wesentliche reduzierte Eindrücke, „Impressionen“ dieser unbeständigen Wirklichkeit, deren Elemente sich in seinem Spätwerk schließlich in der Abstraktion nahezu auflösen. Der aktuelle Katalog zur Ausstellung umfasst neben hochwertigen Abbildungen der Exponate auch zwei aufschlussreiche Textbeiträge von Prof. Dr. Christian Spies, Kurator der Sammlung Lambrecht-Schadeberg am Museum für Gegenwartskunst, Siegen, und Neville Rowley, Kurator frühitalienischer Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin. In seinem wissenschaftlich fundierten Textbeitrag "Der Anachronist als Zeitgenosse" setzt Prof. Dr. Christian Spies, Kurator der Sammlung Lambrecht-Schadeberg am Museum für Gegenwartskunst, Siegen, das Schaffen Morandis in einen engen Bezug zu den Meistern des Trecento und Quattrocento. Ergänzend legt Neville Rowley, Kurator frühitalienischer Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin, Morandis künstlerisches Selbstverständnis anhand einer besonderen Begebenheit offen.
Ort: Galerie Karsten Greve bis: 2017-10-28
Künstler: Lucio Fontana
Thema: Die Galerie Karsten Greve Köln freut sich besonders, mit Lucio Fontana – Crosses die erste Ausstellung auszurichten, die sich thematisch mit der Gruppe der keramischen Kreuze und Kreuzigungen von Lucio Fontana (1899 – 1968) überhaupt befasst. Im Mittelpunkt der umfassenden Präsentation stehen über 20 Werke, deren figurative Gestaltung auf Motive der christlichen Ikonografie zurückgeht. Seit bereits 40 Jahren engagiert sich Karsten Greve für das Werk Lucio Fontanas. Schon 1977 wurden in der Galerie Karsten Greve, damals in der Lindenstraße in Köln gelegen, dreißig Arbeiten von maßgeblicher Bedeutung ausgestellt, die sich heute größtenteils in wichtigen Museen, Stiftungen und Sammlungen befinden. Die Ausstellung Plastiken und Bilder 1953-1962 folgte 1980 und bot ebenfalls eine Zusammenstellung aus Concetti spaziali, Buchi und Tagli. 1994 fand eine umfassende Präsentation skulpturaler Werke in der Galerie Karsten Greve Paris statt. 2012 würdigte eine Sonderausstellung mit dem Titel Io sono uno scultore e non un ceramista erneut das plastische Werk Fontanas, welches an zentraler Stelle innerhalb seines Oeuvres steht. Zahlreiche, von der Galerie herausgegebene Publikationen beleuchten wissenschaftlich fundiert das künstlerische Schaffen Fontanas. Der aktuelle, ausstellungsbegleitende Katalog Crosses bietet einen umfassenden Überblick über die vielfältigen Darstellungen der Kreuzmotivik, veranschaulicht durch Textbeiträge von Choghakate Kazarian, Musée d´Art Moderne de la Ville de Paris, und Prof. Ugo Perone, Humboldt-Universität, Berlin. Lucio Fontana verfolgt in seinem Schaffen ein primär plastisches Anliegen, welches sein künstlerisches Selbstverständnis als Bildhauer begründet. Beeinflusst durch die Tätigkeit seines Vaters, der als Steinmetz auf die Fertigung von Grabmälern spezialisiert war, beteiligte sich Fontana zeitweise als Bildhauer in dessen Atelier. Ab 1935 fertigte er eigene keramische Plastiken, ab 1936 entstehen in Zusammenarbeit mit der Manufaktur Sèvres Werke in Porzellan. Er begreift „Keramik als Bemühung um die reine Kunst – Form, Farbe und vibrierendes Licht – antidekorativ, wenn man unter dekorativer Kunst etwas Dekadentes versteht.“ Bereits die frühen farbigen Anilinbilder, deren Komposition nicht nur durch den Farbauftrag, sondern durch leibhaftige Eingriffe in die Integrität des Bildträgers bestimmt war, dienen ihm der Erforschung und Auslotung der Dreidimensionalität. So galt das Aufschlitzen und Durchstoßen als gestalterische Intervention unter Berücksichtigung der unmittelbaren konkreten, materiellen Gegebenheiten der Leinwand. Diese Verletzungen des traditionellen Bildträgers entsprechen einer radikalen Auffassung von Kunst, die seit 1947 von Fontanas Streben nach einer auf den Vorstellungen des Futurismus beruhenden Dynamisierung geleitet war. Schon in seinem Manifesto bianco von 1946 beschwor Fontana die Dringlichkeit der Aufhebung einer statischen, dem Stillstand verhafteten Kunst und propagierte stattdessen die Zeit und die Bewegung im Raum. Diese neue Ästhetik bestand für ihn „in der Inbesitznahme des Raumes, in der Loslösung von der Erde, von der Horizontlinie, die Jahrtausende lang die Basis der Ästhetik und des Proportionsgefühls war.“ (Lucio Fontana). 1946 formierte sich um eine Gruppe von Künstlern in Mailand der Spazialismo, der auf der XXIV. Biennale in Venedig 1948 unter Neue Front der Kunst bekannt wurde. Diese Vereinigung vertrat die Ansicht, dass das traditionelle Bild bzw. der Bildträger „alt“ und damit überholt sei. Unbedingtes Ziel war es, das darstellende, repräsentative Bild bzw. Abbild aufzuheben und stattdessen die Raumerfahrung über alles andere zu stellen, nämlich in der Zusammenwirkung von Zeit, Richtung, Klang und Licht. In dynamischer Umsetzung der Einsicht, dass natürliche Elemente wie Partikel, Strahlen, Elektronen unkontrollierbar und mit gewaltiger Kraft auf Oberflächen einwirken, vollzieht Fontana die Perforierung der „alten“ Leinwandoberfläche mittels Schnitten und Löchern, um Plastizität zu erzielen. Getragen von dieser Ambition, die Malerei in ihrer Flächigkeit und damit in ihrer illusionistischen, über sich hinausweisenden Eigenschaft anzugreifen, führen die revolutionären Gesten Fontanas die Durchlässigkeit der Leinwand herbei. Sie veranschaulichen ihre Räumlichkeit als ein „von aller malerischen und propagandistischen Rhetorik“ befreites bzw. „sich frei entfaltendes, unbegrenztes Kontinuum“, so dass gleichwohl die Grenze zwischen Malerei und Skulptur aufgehoben und die Gattungen in einem reinen Concetto spaziale aufzugehen scheinen. Zeitgleich mit den Neuerungen Fontanas innerhalb des Spazialismo, die raumbezogene, rein abstrakte Kunst voranzutreiben, entstehen figürliche Werke, wobei die Gruppe der Kreuze und Kreuzigungen den Hauptanteil bilden. Damit wird das Raumkonzept des Concetto spaziale auch auf thematisch gebundene Werke angewandt. Die meisten der Kruzifixe und Kreuzigungen sind somit in der Hochphase von Fontanas Beschäftigung mit Raumkonzepten zwischen 1947 und Mitte der 1950er Jahre entstanden. Sein Beitrag zur XXIV. Biennale in Venedig 1948 bestand aus vier plastischen Werken, darunter die in dieser Ausstellung gezeigte Crocifissione (1948). Die Aneignung des Raumes mit expressiv-dynamischer Geste lässt sich in der aufstrebenden Bewegung der Figuren nachvollziehen, in der Aufwallung des drapierten Lendenschurzes Christi und den ausladenden Gewandfalten. Hier betreibt Fontana die „restlose Abschaffung des Volumens“ zugunsten einer räumlichen Öffnung und Ausdehnung in barocker Manier: Die Konfigurationen sind bis auf den markanten Umriss des Kreuzes in den turbulenten Verwirbelungen gleichsam aufgelöst, zu reiner, aerodynamischer Fluktuation und Geschwindigkeit abstrahiert, als Ausdruck des „Dramas der Kraft und der Bewegung“. Die ausgestellten Arbeiten erscheinen somit als Ausdruck von Fontanas neuem raumgreifenden Ansatz und stehen zugleich im Zeichen einer ikonografischen Tradition, zu welcher Darstellungen von Kreuzigung, Kreuzabnahme, Himmelfahrt, Madonna mit Kind gehören. Sie faszinieren besonders dadurch, dass sie das Raumkonzept Fontanas auf betörend sinnliche Weise erfahrbar werden lassen: Durch den Schmelz der Oberfläche und die schillernde Farbgebung, durch die sich steigernde, anschwellende Form, welche die luftige, aufgewirbelte Umgebung der Figur einbezieht, verkörpern sie atmosphärische Ambienti spaziali, in welche die schnelle und spontane Bearbeitung der Tonmasse durch Schnitte und Schlitze sichtbar eingeschrieben ist. Das aufwändige Modellieren weicht einer flüchtigen Technik, die den Entstehungsprozess und das Vor- und Eindringen in den Raum selbst verbildlicht.
Ort: Galerie Karsten Greve bis: 2017-06-17
Künstler: Leiko Ikemura
Thema: Die Galerie Karsten Greve freut sich besonders, die Ausstellung Woman of Fire Dancing with Tree mit neuen Werken von Leiko Ikemura anzukündigen. Mit dieser umfassenden Schau möchten wir die 30-jährige Zusammenarbeit zwischen der Künstlerin und der Galerie Karsten Greve würdigen, die im Jahr 1987 mit einer Einzelausstellung in den damaligen Kölner Räumen am Wallrafplatz begann. Das vielschichtige Werk von Leiko Ikemura erfährt in vielerlei Medien Ausdruck und beansprucht gleichwohl Malerei, Skulptur und Zeichnung als künstlerische Gattungen für sich. Dabei spiegelt sich die formale Ungebundenheit und handwerkliche Flexibilität Ikemuras auch in den verhandelten Themen wider, die vorrangig um Phänomene der Formwerdung und Verwandlung kreisen. Ihre märchenhaften, von Mischwesen bevölkerten Szenarien evozieren Traumwelten und erzählen von Metamorphosen und Mutationen, in denen sich Katzen, Vögel und Mädchen durchdringen und menschlich anmutende Figuren mit landschaftlichen Formationen verschmelzen. Oft sind die Formen nur angedeutet und nicht ausformuliert, so dass sie sich erst in der intensiven Betrachtung vollenden, um sich wie ein Lufthauch sogleich wieder zu verflüchtigen. Diffuse Nebelschwaden führen Gewässer und Gebirge zusammen, lösen den Horizont auf und verdichten sich zu Gesichtern, die wie eine Chimäre plötzlich auftauchen. Vexierbildhaft bildet die Kurve eines Flußlaufes die Kontur eines grazil geschwungenen Körpers. Gestalten werden zu Geistwesen, zu Manifestationen einer wesenhaften Natur. So erscheinen die schwebenden, körperlosen Köpfe mit loderndem Flammenhaar wie Stellvertreter des Elements Feuer oder Personifikationen einer launenhaften Natur, die sich mal sanft, mal stürmisch zeigt (Floating Storm, Haruko). In der Serie Trees offenbaren sich lichterloh flackernde Baumkronen im Wechsel mit düster verhangenem Geäst wie individuelle Persönlichkeiten. In dieser Typologie der Temperamente sind die Bäume cholerisch erhitzt, sanguinisch aufgewühlt oder melancholisch getrübt. Bisweilen lässt die Veredelung der Oberfläche durch feinsten Goldstaub einen Bezug zum Energietransfer in der Alchemie erahnen, deren Lehre sich vorrangig mit der Transmutation unedler Metalle in Gold und Silber befasst. Ikemuras Kosmologie des Wandels und Werdens scheint einem pantheistischen Weltbild zu folgen, nach welchem Gott in allen Dingen existiert. Schon Platon hat diese allgegenwärtige Weltseele als „Bewegung, die sich selbst bewegen kann“ beschrieben. Sowohl das kosmische Gefüge als auch das individuelle Geschöpf sind „beseelt“. Als Ursprung und Prinzip des Lebens vermittelt die Seele zwischen Körper und Geist, Sein und Werden, verwandelt als schöpferische Triebkraft die unbelebte Materie in lebendige Wesen. Diese alles durchströmende, kreative Energie entspricht dem kosmologischen Grundsatz, der als ewiger Fluss von Heraklit in der Formel Panta Rhei festgehalten wurde: „Alles bewegt sich fort und nichts bleibt.“ Ikemuras Werke vermitteln die Offenheit einer sich ständig verändernden Kreation, wobei auch die Beschaffenheit des Materials als produktives Potenzial im künstlerischen Schaffensprozess fruchtbar gemacht wird. Während die klassische Kunsttheorie die Transformation von rohem Material in eine vollendete Form anstrebt, die sich durch die Beherrschung des Werkstoffes vollzieht, gesteht Ikemura dem Material einen schöpferischen Eigenwert zu. So veranschaulichen Skulpturen aus Terrakotta oftmals die ungebändigte, „freie“ Substanz, die wie vulkanische Lavamasse eruptiv ausbricht und erdige Klumpen und amorphe Anhäufungen hinterlässt. Eine unberechenbare Motivation wohnt der modellierten Form inne, eine transformative Kraft, die von innen nach außen drängt. Häufig scheint sich das Verwandlungsmoment im Schlaf einzustellen, so dass die schlummernden Köpfe wie Steine anmuten, aus denen langsam Leben erwächst: Hier und da sprießen kleine Bäume. Auch kommt in den Gemälden der „naturbelassenen“ Qualität der Jute eine eigenständige Wirkung zu. Bei Ikemura dringt die rustikale Gewebestruktur an die Oberfläche und schwingt vordergründig mit, genauso wie die Elemente innerhalb der Komposition – zumeist in wässrig verdünnter Temperafarbe lasierend ausgeführt – in ein spannungsvolles Verhältnis treten. Ikemuras Schöpfungsgeschichten sind damit gleichwohl sensible Reflexionen über die künstlerische Kreativität und werden unter Einbindung verschiedener Kulturen und Religionen bildhaft. Die Künstlerin selbst schöpft aus vielerlei Quellen und Traditionen. Geboren in Tsu, Japan, studierte Leiko Ikemura zunächst spanische Literatur an der Fremdsprachen-Universität Ōsaka und wanderte 1972 nach Spanien aus. Die Zeit von 1973 bis 1978 widmete sie dem Studium der Malerei an der Akademie in Sevilla. Nach ihrer Übersiedlung in die Schweiz hinterließ Leiko Ikemura in der Zürcher Kunstszene der frühen 1980er Jahre ihre ersten markanten Spuren. Zur selben Zeit zeigte der Bonner Kunstverein erstmals ihre Arbeiten. Es folgten zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen, wie 1987 im Museum für Gegenwartskunst in Basel. Neben herausragenden internationalen Präsentationen wurde ihr Werk zuletzt 2016 in einer umfassenden Einzelausstellung im Museum für Ostasiatische Kunst in Köln gezeigt. Ikemura bewegt sich frei zwischen den Kontinenten, verinnerlicht Mythen und Legenden, die, zu allgemeingültigen Symbolen abstrahiert, in ihre Bildsprache einfließen. Wie universelle Archetypen verweisen die Motive auf existenzielle Zustände und die Ursprünge menschlicher Erfahrung.
Ort: Galerie Karsten Greve bis: 2017-04-01
Künstler: Thomas Brummett
Thema: Thomas Brummett ist ein Künstler, dessen Reise auf zwei ineinander verschlungenen Pfaden verläuft. Voller Sensibilität und Achtsamkeit sucht er das Wesen der natürlichen Welt aufzuspüren, indem er seine unmittelbare Umgebung ins Visier nimmt. Sein Augenmerk richtet sich etwa auf einen Zweig, einen flüchtigen Lichtstrahl. Zugleich erforscht er das Medium der Fotografie durch seine experimentelle Herangehensweise, wobei er die multiplen Möglichkeiten der Herstellung eines Bildes mittels Licht und den Spuren von Gegenständen auf licht-empfindlichem Papier auszuloten sucht. Sämtliche Arbeiten von Thomas Brummett stammen aus der Serie Rethinking the Natural, ein lebenslanges Projekt, das er beständig fortsetzt. Brummett wurde 1955 in Colorado geboren und entwickelte schon früh ein besonderes Gespür für die ausge-dörrten Wüstenlandschaften und schwindelerregend hohen Gebirge. Er studierte Keramik und Fotografie an der Colorado State University (BFA, 1979) und der Cranbrook Academy of Art in Michigan, (MFA, 1982) und zog anschließend nach Philadelphia, wo seine Tochter geboren wurde. Thomas Brummett wuchs in einer der Epi-skopalkirche zugehörigen Familie auf, in der mehrere Mitglieder Geistliche waren. Nach ausgedehnten Reisen nach Indien und Asien erkannte er, dass die in den abrahamitischen Religionen geschilderten Erzählungen für ihn an Bedeutung verloren hatten und sah sich zunehmend zum fernöstlichen Taoismus und der buddhistischen Lehre hingezogen. Doch anstatt zu einer transzendentalen Pilgerreise aufzubrechen, die die Erleuchtung im Jen-seits, durch die Hinwendung zu einer im Himmel angesiedelten und von der Schöpfung losgelösten Gottheit zu erlangen sucht, folgte Brummett der fernöstlichen, klösterlichen Tradition und begab sich auf eine Reise der Erforschung des Hier und Jetzt durch die intensive Wahrnehmung der ihn umgebenden Welt. Eine solche ver-stärkte Beobachtung unmittelbarer Erscheinungen findet eine Entsprechung in der wissenschaftlichen Methodik. Es ist daher wenig verwunderlich, dass die moderne Wissenschaft und Mathematik von taoistischen und bud-dhistischen Gedanken durchdrungen ist. So schrieb der österreichische Logiker Ludwig Wittgenstein einst: „Der Ort, an den ich gehen muss, ist der Ort, an dem ich bereits bin“ (Notizen, 1930). Auch Brummetts Arbeiten wohnt diese Kombination aus meditativer Praxis und moderner Wissenschaft inne. Die beiden untrennbar miteinander verknüpften Schwerpunkte der künstlerischen Auseinandersetzung Brum-metts lassen sich besonders deutlich in der Werkreihe Infinities und Light Projections erkennnen. In der Werk-reihe Light Projections nutzte Brummett die sogenannten „Zerstreuungskreise“. Diese Zerstreuungskreise sind ein optischer Effekt, den die Linse erzeugt, wenn sie nicht scharfgestellt ist. Diese Eigenschaft der Linse wird mit dem japanischen Wort für „verschwimmen“ oder „verwackeln“, bokeh, bezeichnet. Brummetts Vorgehens-weise, durch die Beherrschung dieser Zerstreuungskreise Bilder zu erzeugen, ist einzigartig in der Geschichte der Fotografie. Die Abzüge dieser Serie sind nach Brummett „eine gegenständliche Darstellung des Lichts = des Unendlichen“. Für ihn sind die Light Projections „ein perfektes visuelles Symbol des Unendlichen“. Nach Aus-sage des Künstlers „ist das Licht Teil der natürlichen Welt, es bildet die Grundlage allen Lebens und der Ener-gie. Ich habe hier meine Aufmerksamkeit nicht von der Natur abgewendet, sondern sie vielmehr auf ihre Essenz gerichtet. Ich habe die Natur auf ihre reinste Form reduziert – Licht“. Mit diesen Worten greift Brummett auf Aussagen der Mystiker zurück, welche stets das Licht mit der Unendlichkeit in Verbindung brachten, und diese Konzepte mit göttlichen Zuweisungen versahen. Die Begriffe Licht und Unendlichkeit erfahren durch Brummett eine besondere Betonung und übergeordnete Bedeutung, die schon in der klassischen griechischen Tradition in Verbindung mit „dem Guten“, „dem Rechten“ und „dem Dreieck“ steht. Nach Plato sind diese Konzepte Aus-druck des Göttlichen. Die Verbindung zwischen dem Licht, der Unendlichkeit und einer Göttlichkeit ist somit tief in westlichen Denkkulturen verwurzelt. Für einen Amateurastronomen ist es einfach, ein Foto durch ein Standteleskop aufzunehmen, aber für einen Nicht-Wissenschaftler ist es unmöglich, sich auf ein Teleskop zu begeben, welches die Erde außerhalb ihrer Atmosphäre umkreist. Um Fotos des Weltalls zu produzieren, benutzte Brummett daher von der NASA zur öffentlichen Verfügung gestellte Aufnahmen, die durch das Weltraumteleskop Hubble entstanden sind. Ausge-hend von diesen Aufzeichnungen von Licht – einem transatmosphärischen Rückblick durch die Zeit – bearbeitet der Künstler die Aufnahme gleichsam für die Drucklegung. Er verringert die Sättigung und überlagert die Bil-der schichtweise mit anderen Motiven, die allesamt aus der Natur stammen. Diese Bildebenen umfassen Fotos von Sternen, Magnolienbäumen und Schneeflocken auf einem Scanner, sowie Spuren von Staub und Schimmel aus seinem Studio. (Infinities, 2013-16). Brummett versucht den Gedanken von William Blake bildhaft einzu-fangen: Das Aussehen der Welt, „wenn die Türen der Wahrnehmung frei wären und alles so erscheinen würde, wie es ist, unendlich“ (Die Vermählung von Himmel und Hölle, 1793). Der Künstler bezeichnet seinen Arbeitsprozess in der Dunkelkammer als „entropisch“. Mit dieser aus der Ther-modynamik entliehenen Begrifflichkeit wird ein Vorgang beschrieben, bei dem Energie umgewandelt wird: „Ich stelle zunächst einen schwarzen Abzug des Bildes her und erwecke ihn dann durch Bleichen, Bürsten und den neuerlichen Entwicklungsprozess zum Leben. Jedes Bild ist einzigartig, weil der Vorgang an sich vom Zu-fall bestimmt wird. Das Bleichen greift das Metall im Papier an und frisst es buchstäblich auf.“ Ein Ablauf, der in der Tat entropisch ist, „da die Silberatome sich von einem sehr geordneten Zustand in einen chaotischen Zu-stand der Auflösung oder auch Aufsplitterung bewegen, was wiederum wunderschöne Linien und Ränder er-zeugt.“ (Auszüge aus einem Text von Lynn Gamwell, 2016)
Ort: Galerie Karsten Greve bis: 2017-01-07
Künstler: Norbert Prangenberg
Thema: Im Mittelpunkt der Ausstellung NORBERT PRANGENBERG Skulptur stehen seine großformatigen, als Figuren bekannten Keramiken. Nach der letzten Werkschau des Künstlers in den Kölner Galerieräumen im Jahr 2012 konzentriert sich die aktuelle Ausstellung vor allem auf die plastische Arbeit Prangenbergs.
Ort: Galerie Karsten Greve bis: 2016-10-29
Künstler: Cy Twombly
Thema: CY TWOMBLY Malerei auf Papier 2. September – 29. Oktober 2016 Vernissage: Freitag, 2. September 2016, 18 – 21 Uhr PRESSETEXT Die Galerie Karsten Greve Köln freut sich, die Ausstellung Cy Twombly – Malerei auf Papier anzukündigen, die eine besondere Auswahl aus verschiedenen Schaffensphasen dieses großen Künstlers würdigt. Es handelt sich hierbei bereits um die 15. Einzelausstellung, die Karsten Greve diesem Ausnahmekünstler seit 1975 widmet. Anfang der 1980er Jahre war Cy Twombly in Deutschland gewiss kein unbekannter Künstler, doch bevor er von einem breiteren Publikum wahrgenommen wurde, bewegte sich das Interesse an seiner Malerei, Zeichnung und Skulptur eher im Kreise visionärer Kenner. Cy Twombly (1928 - 2011) gehört seit dem Abstrakten Expressionismus in New York als Zeitgenosse von Ro-bert Rauschenberg und Jasper Johns zu den Hauptvertretern der internationalen Avantgarde. Nach seinem Stu-dium am Black Mountain College führen ihn Anfang der 1950er Jahre erste Reisen nach Nordafrika und Euro-pa, vor allem nach Italien, wo er ab 1957 seine Wahlheimat findet. Ein Einzelgänger, der New York verlässt, um sich in Rom niederzulassen. Inmitten der mediterranen Umgebung von Sperlonga findet Twombly erneut die Freiheit des offenen Bildraumes und neue Inspirationen für seine Werke. Italien führt den Künstler mit sei-ner reichen historischen Vergangenheit zu einer intensiven Beschäftigung mit mythologischen Themen, die er in einer äußerst differenzierten, mehrere Techniken einbeziehenden Bildsprache behandelt. Schauplätze und Dich-ter der griechischen und römischen Mythologie von Venus und Adonis bis Sappho werden nicht nur in seinen Bildtiteln verewigt. Zahlen werden zu Datierungen, Worte zu Empfindungslinien, Linien zu Tönen, Töne zu Spannungen, Weiß zu Auflösung. In den 1950er Jahren konzentriert sich Twombly fast ausschließlich auf das Verhältnis zwischen Zeichen und Wort, beziehungsweise Zeichnung und Sprache. Der Farbe wird eher eine neutrale Funktion zuteil, sie dient sogar an einigen Stellen zur Übermalung und Verschleierung der Zeichen. Weiß als Symbol für das Unberührte und Nichtbewusste. Der vielfältige Gebrauch verschiedener Techniken ist sehr charakteristisch: Bleistift, Ölkrei-de, Öl und Wandfarbe gehen eine ästhetische, oft haptische Verbindung mit dem Papierträger ein. Gerade bei seinen Papierarbeiten hat der oft beschriebene graphische Charakter seiner Werke eine besonders spontane, kali-graphische und doch ungeheuer konzentrierte Wirkung. Erst angesichts des Lebenswerks Cy Twomblys begreift das Publikum die Komplexität seines Zeichensystems und seiner scheinbar spontanen Geste. Manchmal scheint es, als wolle Cy Twombly uns zeigen, was den Geist eines Künstlers bewegt – als wolle er das umfassende Wissen, welches er in sich barg und mit dem er sich stets beschäftigte, sichtbar, sogar spürbar ma-chen. Wenngleich die Grundlage seines Stils der Abstrakte Expressionismus ist, setzt sich Twombly jedoch nicht mit den Formen unserer gegenwärtigen Alltagskultur auseinander wie zum Beispiel Rauschenberg, mit dem er eine Zeit lang ein Studio in New York teilte. Cy Twombly ergründet vielmehr die Möglichkeiten unserer Ver-gangenheit, der europäischen Bildtradition. Er vermittelt zwischen den Stilen, vereint sie mit Poesie und intel-lektuellem Kontext, bis sie zu seinem eigenen persönlichen Stil verschmelzen. Cy Twomblys Beziehung zur Linie ist ein zentrales Thema seiner Kunst. Seine Schrift ist unverwechselbar und spontan als seine erkennbar, da sie mehr Hand- als Pinselschrift ist. Die Oberfläche vibriert in einer steten Bewegung und macht Cy Twomblys Œuvre einzigartig. ÜBER DEN KÜNSTLER 1928 in Lexington, Virginia, als Edwin Parker Twombly Jr. geboren und unter Cy Twombly weltweit bekannt geworden, besucht Twombly die Washington Lee University (1947 - 1949) sowie das legendäre Black Mountain College 1951, als Franz Kline als Professor lehrt. 1952 erhält der Künstler ein Stipendium, das ihm Reisen nach Europa sowie Nordafrika ermöglicht. 1959 zieht Twombly nach Rom, von wo aus er weiterhin regelmäßige Reisen unter anderem innerhalb Italiens (Gaeta, Neapel), nach Griechenland sowie in die USA unternimmt. 1964 wird Cy Twombly zum ersten Mal eingeladen an der Biennale in Venedig teilzunehmen, wo er auch später seinen berühmten Zyklus zur Seeschlacht von Lepanto zeigt. 1977 ist er auf der documenta 6 in Kassel vertreten und erhält 1987 den Rubenspreis, der ihn zeitgleich mit einer in Zürich beginnenden Retrospektive ehrt. Weltweit führende Museen wie die Menil Collection in Houston, das MoMa und Whitney Museum in New York, die Tate in London und das Centre Pompidou in Paris würdigen Cy Twomblys Werke bereits zu seinen Lebzeiten mit mehreren Retrospektiven. Cy Twombly verstirbt 2011 in Rom. Seine Arbeiten sind heute in zahl-reichen angesehenen öffentlichen und privaten Sammlungen zu finden.
Ort: Galerie Karsten Greve bis: 2016-09-25
Künstler: Mimmo Jodice, Robert Polidori, Yiorgos Kordakis, Sergio Vega
Thema: Pressetext zum PHOTOSZENE-Festival 2016 STATUS QUO Gruppenausstellung mit Fotografien von Mimmo Jodice, Robert Polidori, Yiorgos Kordakis und Sergio Vega Vernissage: Freitag, den 19. August 2016, 18 – 20 Uhr Ausstellungsdauer: 20. August 2016 – 25. September 2016 Ausstellungsort: Galerie Karsten Greve, Wallrafplatz 3, 50667 Köln Öffnungszeiten: Mi-Fr 15-18.30 Uhr Anlässlich des diesjährigen Kölner Photoszene-Festivals freut sich die Galerie Karsten Greve die Gruppenausstellung Status Quo mit ausgewählten Arbeiten von Mimmo Jodice, Robert Polidori, Yiorgos Kordakis und Sergio Vega anzukündigen. Mit dieser Ausstellung lädt sie interessierte Besucher erstmals wieder in ihre historischen Räumlichkeiten am Wallrafplatz 3, 50667 Köln ein. Mimmo Jodice, Robert Polidori, Yiorgos Kordakis und Sergio Vega setzen sich aufgrund ihrer individuellen fotokünstlerischen Darstellungsweise und technischen Methoden vollkommen unterschiedlich mit vorgefundenen Momenten unserer heutigen Welt auseinander. Von archäologischen Zeugnissen der Antike, aber auch Ruinen der kriegerischen Gegenwart, über scheinbar sorglose Strandidyllen einer postmodernen Gesellschaft bis hin zu literarisch inspirierten Abbildern gesellschaftlich-kultureller Zustände reichen die Motive – ob in der unmittelbaren Umgebung ihrer Heimat oder an entfernt gelegenen Orten der Welt aufgespürt. Vor dem Hintergrund des diesjährigen Festivalthemas The State I am in lassen sich die Werke dieser vier ausgewählten, aus unterschiedlichen Ländern stammenden Fotokünstler als Visualisierungen des Status Quo unserer sich stetig im Wandel befindlichen Welt, als Momentaufnahmen ihrer kulturellen Vielfalt, aber auch ihres gegenwärtigen Zustands lesen. Über die Künstler Mimmo Jodice wurde 1934 in Neapel geboren, wo er bis heute lebt und arbeitet. Aktuell ehrt das Museo MADRE in Neapel das Lebenswerk Mimmo Jodices mit einer umfassenden Retrospektive seiner zwischen 1960 und 2016 entstandenen Werke. (23.06. – 24.10.2016) Als einer der ersten italienischen Fotografen seiner Region fotografierte Jodice nicht nur die Einwohner Neapels, sondern auch die Landschaften und kulturelle Umgebung der neapolitanischen Küste. Stets in Schwarz-Weiß gehalten, setzt er in seinen fotokünstlerischen Arbeiten archäologische Fragmente, antike Stätten und Skulpturen im geheimnisvollen Licht des Mittelmeeres in Szene. In der einheitlichen Formensprache seiner Arbeiten und mit dem Spiel von Grenzen der Realität in seinen Darstellungen, fängt Jodice die tiefste Identität der Orte, Personen und Objekte ein und erfasst damit sowohl kulturelle als auch ästhetische und emotionale Momente. Robert Polidori wurde 1951 in Montréal, Kanada, geboren. Polidori lebt und arbeitet heute in New York und Los Angeles und gilt als einer der international führenden zeitgenössischen Fotografen. Mit seinen großformatigen Arbeiten geht er über die Grenzen der reinen Architekturfotografie hinaus, indem er den Betrachter durch die hohe Detaildichte seiner Arbeiten immer tiefer in die abgebildeten Orte eintauchen lässt. Seine Fotografien entstehen bei natürlichem Licht mit langen Belichtungszeiten; für seine Arbeiten verwendet er ausschließlich Großformatfilme, deren Bildqualität er höher als die der digitalen Fotografie einstuft. Die gezeigten Motive aus der Serie Hotel Petra fotografierte Polidori 2010 im Libanon, als er 20 Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs erstmals nach Beirut zurückkehrte. Dort fand er das vom Krieg gezeichnete ‚Hotel Petra‘ vor, welches zwar noch existierte, aber in seiner menschlichen Verlassenheit dem natürlichen Verfall ausgeliefert war. In den vorgefundenen Räumen, deren Wände stark an expressionistische Farbkompositionen erinnern, offenbarten sich für Polidori natürliche Dokumente einer gegenwärtigen Archäologie. Yiorgos Kordakis wurde 1973 in Athen, Griechenland, geboren, wo er heute lebt und arbeitet. 2013 wurde Kordakis mit dem ersten Platz der Photography Masters Cup Awards in New York geehrt. In der Serie Global Summer fotografiert der Künstler mit seiner Polaroid-Kamera Strände in Europa und den USA und gibt Einblick in die dort vorgefundenen Badekulturen. Anhand dieser Thematik ‚studiert‘ er sozusagen das Verhalten der Menschen, die, trotz ähnlicher Bedürfnisse, aufgrund ihrer verschiedenen Kulturen und Lebensumstände große Verhaltensunterschiede offenbaren. Im speziellen ‚studiert‘ Kordakis, wie sich Personen unterschiedlicher Kulturen in Bezug auf das Wasser als ein natürliches Element verhalten. Der Künstler weist darauf hin, dass je nach Umgebung und/oder Herkunft das Verhalten in der Nähe von Wasser – ob am Meer oder am Swimmingpool – vollkommen andersartig sein kann: Während die einen entspannt und amüsiert sind, entblößen andere nicht nur ihre Körper, sondern damit regelrecht ihre innere Natur. Charakteristisch für Kordakis‘ Fotografie ist die ans Surrealistische angrenzende, verschwommene Darstellung, da Licht, Temperatur und Druck beim Polaroid-Film nicht zu kalkulieren sind. Sergio Vega wurde 1959 in Buenos Aires geboren. Er lebt und arbeitet heute in Gainsville, Florida. Zu seinen aktuellen Serien gehört The Art of Motorcycle Maintenance, die Vega in der Region Brasiliens Mato Grosso aufgenommen hat und von Robert M. Pirsigs Publikation Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten (Originaltitel: Zen and the Art of Motorcycle Maintenance) aus dem Jahr 1974 inspiriert ist. Je zwei Fotografien unterschiedlicher Inhalte werden von Vega paarweise montiert und damit in direkten Bezug zueinander gestellt: Im politisch-philosophischen Kontext zeigt er damit Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten auf – sowohl im Mikrokosmos eines jedes Einzelnen als auch im globalen Gefüge unserer heutigen Gesellschaft: Ein defektes Motorrad muss repariert werden, wie ebenso jegliche Problematik, mit der wir in der Realität konfrontiert werden.
Ort: Galerie Karsten Greve bis: 2016-08-27
Künstler: Georgia Russell, Claire Morgan, Pierrette Bloch, Shihua Qiu, Mimmo Jodice, Jean-Michel Othoniel, Gideon Rubin, Leiko Ikemura, Norbert Prangenberg, Gotthard Graubner, Catherine Lee, Paco Knöller, Raúl Illarramendi, Lawrence Carroll
Thema: Die Galerie Karsten Greve Köln freut sich, die Summer Show mit internationalen Künstlern der Galerie aus drei Generationen in einer Gruppenausstellung zu präsentieren. Gezeigt werden Skulpturen, Fotografien sowie figurative und abstrakte Malereien und Zeichnungen. Wie vom Wind verwehte Felder bewegen sich die farbigen Leinwandarbeiten der ursprünglich aus Schottland stammenden und in der Nähe von Paris lebenden Künstlerin Georgia Russell (*1974). Bekannt dafür, Papier, Fotografien und ganze Bücher mit dem Skalpell in Landschaften und abstrakte Objekte zu verwandeln, widmet sich die Künstlerin in ihren aktuellen Werken der Leinwand, auf der sie zunächst mit Acrylfarben arbeitet und die sie dann von Hand schneidet. Die mehrlagigen, durchlässigen Strukturen werden von transparenten Fäden im Schwebezustand gehalten. Papier ist der bevorzugte Bildträger von Pierrette Bloch (*1928), mitunter ergänzt durch Weichfaserplatten. In Schwarz auf Weiß oder Weiß auf Schwarz entstehen punktuelle Formen, Striche, netzartige Gebilde, kalligraphische Andeutungen. Auch schwarze Schnüre, Bänder, Fäden auf textilem Untergrund werden zu geschriebenen Kringeln, die in den Raum hinausragen. Im Kontrast dazu – fast ganz in Weiß - stehen die Leinwandarbeiten des chinesischen Malers Qiu Shihua (*1940). Seine Werke wirken wie rohe, leere Leinwände, jedoch entdeckt man bei näherem Hinsehen Spuren von Farbe, die schemenhafte Wälder und nebelige Landschaften andeuten. Viel offensichtlicher dagegen erscheinen die Meeresveduten des süditalienischen Fotografen Mimmo Jodice (*1934), doch wirken auch sie auf den zweiten Blick wie eine flirrende Fata Morgana. In feinen, zum Teil architektonischen Konstruktionen setzt sich die gebürtige Irin Claire Morgan (*1980) mit dem Gegensatz von Zivilisation und Natur auseinander. Minutiös formt sie an einzelnen Nylonfäden Löwenzahnsamen oder Fruchtfliegen zu geometrischen Formen, die die von ihr selbst präparierten Tiere umfangen. Das Thema der Vergänglichkeit spielt eine wesentliche Rolle in ihren filigranen, poetischen Skulpturen. Die Leichtigkeit der durchsichtigen, überdimensionalen Ketten des französischen Künstlers Jean-Michel Othoniel (*1964) täuscht: so spielerisch die Skulpturen auch wirken mögen – ähnlich den zarten Aquarellpunkten in seinen Zeichnungen gleichen die massiven Glasperlen fliegenden Wassertropfen, doch verbirgt sich dahinter schweres, hartes Material und eine durchdachte architektonische Statik. Die Reise ans Meer, Erinnerungen an vergangene Geschichten und zusammen verbrachte Tage auf dem Land, greift Gideon Rubin (*1973) in seinen fast skizzenhaften aber dennoch vollkommenen Portraits und Landschaften auf. Der gebürtige Israeli malt nach Fotografien, meist aus den 1920er Jahren und der Kriegszeit. Indem er die Gesichtszüge ausspart und freie Flächen in der Landschaft betont, überlässt er den Betrachter seiner Phantasie. Figurative Skulpturen und Zeichnungen der japanischen in Berlin lebenden Künstlerin Leiko Ikemura (*1951) bleiben auf ganz andere Weise unbestimmt. Oft vereinen ihre Figuren und Landschaften Mischwesen aus Mensch und Tier und einen rätselhaften Zustand zwischen Traum und Wirklichkeit. Die kleinformatigen Gemälde auf Holz und Kupfer von Norbert Prangenberg (1949-2012), der Maler und Bildhauer war, sind wenngleich überwiegend abstrakt, vielfach von der Natur inspiriert. Konzentrierte farbige Formen blitzen wie Edelsteine, Blüten oder undefinierbare sommerlich-bunte Objekte aus erdigem Bildgrund hervor, eine Horizontlinie kann nur erahnt werden. Ganz anderer Art sind die fast kubistischen Formen der amerikanischen Bildhauerin Catherine Lee (*1950). Als in alter Raku-Technik glasierte Skulpturen, die mit Nägeln zusammengehalten werden, erinnern sie an wertvolle Steine vergangener Epochen und Monolithe. Die schwebenden Rauten und facettierten, aufgesplitterten Formen tauchen wie konzentrierte, kristalline Momente ebenfalls in Paco Knöllers (*1950) neuesten Aufwachräumen auf. Mehrere Schichten von Lack und Ölkreide werden auf Holz aufgetragen, in die oberste Farbschicht zeichnet das Malermesser dann Linien, die den Lackgrund durchscheinen lassen. Linie und Farbe sind für den Künstler von entscheidender Bedeutung. Die frühen Papierarbeiten Gotthard Graubners (1930-2013) verweisen bereits auf seine Farbraumkörper. Farbige Formen erhalten auf dem Papier eine lebendige Körperhaftigkeit, Volumen und Raum. Ein Ende in der Spurensuche, aber einen Neuanfang in der Abstraktion finden die Leinwandarbeiten des Venezolaners Raúl Illarramendi (*1982). Er sucht nach Spuren in den Straßen, auf Fahrzeugen, Häuserwänden, Türen oder Fenstern, die Menschenhände, der Regen oder sonstige Einflüsse hinterlassen haben und überträgt diese Formen in seine Werke. Der Künstler rekonstruiert sie mit Buntstift auf Gouachegrund, wobei er die Farbe um die zu zeichnenden Formen herum aufträgt. Er arbeitet sozusagen „umgekehrt“, denn was schließlich als Zeichnung erscheint, sind eigentlich die freigelassenen Stellen. Trotz der so unterschiedlichen Kontexte und Techniken der Künstler haben die ausgestellten Werke etwas Gemeinsames: ohne räumliche Verankerung schweben einzelne Punkte, Linien, Formen gravitationsfrei durch den Raum. Auch die gegenständlichen Arbeiten verbindet etwas Unbestimmtes und Fließendes, eine entrückte Stimmung. Der sommerliche Blick auf Horizontlinien und Uferlandschaften, in steter Bewegung schwingend, kann unbeschwerte oder melancholische Assoziationen mit sich bringen, aber sicher stellt sich kein Gefühl von Erdenschwere und Alltäglichkeit ein.
Ort: Galerie Karsten Greve bis: 2016-06-18
Künstler: Paco Knöller
Thema: Die Galerie Karsten Greve Köln freut sich, die Ausstellung Paco Knöller – Lidrand des Sees. Retrospektive 1986 – 2016 anzukündigen. Die Retrospektive umfasst die letzten drei Jahrzehnte von Paco Knöllers Schaffensperiode und ergründet die Entwicklungsverläufe seiner bisherigen künstlerischen Herangehensweisen sowie seiner neuesten Arbeiten. In den 1980er Jahren erlangte Knöller durch seinen eloquenten Umgang mit Farbe und seine experimentellen Arbeitsmethoden Bekanntheit und wird heute zu den wichtigen zeitgenössischen Künstlern seiner Generation gezählt. Neben zahlreichen innovativen Ausdrucksformen offenbart sich dies auch in der Einzigartigkeit seiner Arbeit mit dem traditionellen Medium des Holzschnitts. In Lidrand des Sees. Retrospektive 1986 – 2016 findet sich eine illustrative Auslese aller richtungsweisenden Werkzyklen zusammen, welche bezeichnende Ausgangspunkte seiner gestalterischen Entfaltung umreißt und auf räumlicher sowie thematischer Ebene durch diese Entwicklung führt. Die repräsentativen Arbeiten aus dem Zeitraum zwischen 1988 und 2008 waren in musealen Einzelausstellungen zu sehen. In Ölkreide und Pigment auf großflächigen Papierbögen geschaffen, beschrieben Paco Knöllers frühe Arbeiten Szenen, in denen wuchtige, technoide Elemente neben menschenähnlichen Gebilden erscheinen. Heraufbeschworen durch die finstere Ikonografie, wird das Gefühl einer existentiellen Vorahnung und unaufgelösten Spannung in ihrer eingeschränkten Farbpalette greifbar. Mit zunehmender Distanzierung zur figurativen Repräsentation, bedienten sich die darauffolgenden Arbeitszyklen Paco Knöllers einer reduzierteren, fragmentierten Bildsprache, welche oft das Motiv des Kopfes, in Form von anspielungsreich platzierten Linien, enthielten. Paco Knöller entwickelte sich nach der Jahrtausendwende dahingehend weiter, seine unkonventionelle Serie farbkräftiger Holzschnitte zu erschaffen, in der er die traditionelle Technik mit malerischen Elementen zusammenführte. Naturgemäß neigt Knöller dazu, die intrinsischen Eigenschaften seiner Arbeitsmaterialien zu pointieren, herauszufordern und auszuschöpfen. Es ist die kraftvolle Wechselwirkung von Farbe und freier Linienführung, welche das Werk Knöllers kennzeichnet und ein fesselndes Schauspiel erzeugt. Angeleitet von dem grundlegenden Bestreben eben diese Linie und Farbe eins werden zu lassen, wurde die Arbeit des Malerzeichners bereits zutreffend als sehr direkter und freier Umgang mit Farbe umschrieben. Außerhalb jeder förmlichen Beschränkung, wird diese durch die ambivalente Präsenz von Spontanität und vorsichtiger Überlegung geprägt. Diese symbiotische Überlagerung sowie das axiomatische Kontinuum aus der intuitiven zeichnerischen Fertigkeit des Künstlers, sind Ausgangspunkt und Impuls für sein beständig unverkennbares Œuvre. Paco Knöller überrascht, indem er kontinuierlich neue Seherlebnisse bietet. Beispielhaft hierfür ist die Methode, welche seine neueren Werke prägt: Nachdem er die Oberfläche der kantigen Bildträger – denen eine skulpturale Anmutung zu eigen ist und welche von ihm prosaisch als 'Hölzer' bezeichnet werden – in einer nahezu stratigrafischen Anordnung mit Lack grundiert hat, baut Knöller mit den Handballen, in halbtransparenten bis opaken Schichten, Ölkreiden darauf auf und legt so einen atmenden, irisierenden Farbmantel an. Die Oberfläche lädt durch ihre taktile Beschaffenheit beinahe dazu ein, berührt zu werden. Mit einem Malmesser zeichnet er Linien in die Ölkreideschicht, durchdringt die Übergänge zwischen den Farbtönen und legt so in einem symbiotischen Austausch zwischen Malerei und Zeichnung die glänzenden Lack-Nuancen der Unterhaut frei. Die Linie, welche die farblich changierenden Felder durchzieht und die glänzenden Nuancen zum Vorschein kommen lässt, wird so zum Hauptprotagonisten in diesem luziden Spiel scheinbar zufälliger und gleichzeitig wohlerwogener Anordnung von Form und Textur. Ebenfalls ausgestellt werden ausgewählte Arbeiten aus einem der bisher umfassendsten Werkzyklen des Künstlers Künstliche Paradiese. Schlafmohnalphabet, welcher durch die schemenhaften Umrisse leuchtender Mohnkapseln als Verkörperung eines rätselhaften und deutungsreichen Behältnisses charakterisiert wird. Andere Werkgruppen auf Holz geben mit Titeln wie Brief an die Blinden oder Dem Wind Hinweise auf ihr poetisches Formenspektrum. Auch zu sehen sind Hölzer aus der Serie The Thinking Reed, benannt nach einem Text von Agnes Martin, die in ihrer Verschmelzung üppiger Farbtöne eine organisch ausgeglichene Harmonie verströmen. Durch den Widerstand gedämpfter Farben die von der Energie intensiv strahlender Elemente zehren, samtige Weichheit neben glatten Lackflächen und die spekulative Beobachtung von nur partiell verdeckten Schichten, übermitteln Knöllers Arbeiten ihre Sinnlichkeit an den Betrachter und erscheinen so in ihrer vollen Komplexität und Intensität. Die Retrospektive schließt mit der 2016 fertiggestellten Arbeit Aufwachraum, welche den Mittelpunkt der Ausstellung bildet. Bestehend aus drei blauen hölzernen Flächen, enthält das Werk Anklänge an eine sich in die Ferne erstreckende ozeanische Weite, welche durch die mäandernden Linien von denen es durchzogen ist, wieder im hier und jetzt verankert wird. Der Titel Aufwachraum, welcher freimütig innerhalb der Grenzen von Vorstellungskraft und Assoziation umherstreift und dem eben diese verankernde und besänftigende Ruhe innewohnt, bezieht sich auf einen Zustand des Ankommens, auf einen Raum zwischen Traumwelt und Wachsein. Paco Knöller wurde 1950 im schwäbischen Obermarchtal geboren. Er begann sein Studium 1972 bei Joseph Beuys und studierte bis 1978 an der Kunstakademie Düsseldorf. Ebenfalls im Jahr 1978 richtete ihm die Städtische Galerie Ravensburg die erste Einzelausstellung aus. Seitdem sind seine Arbeiten regelmäßig in führenden deutschen Museen gezeigt worden, wie der Nationalgalerie Berlin (1988), der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf (1990), dem Sprengel Museum Hannover (1997), der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe (1997), dem Museum Hamburger Bahnhof Berlin (2002), dem Städtischen Kunstmuseum Spendhaus in Reutlingen (2007) sowie dem Kunstmuseum Dieselkraftwerk in Cottbus (2008) als Eröffnungsausstellung nach dessen Umbau. Im Jahr 2001 wurde Paco Knöller mit dem “Oberschwäbischen Kunstpreis” ausgezeichnet. Im selben Jahr trat er eine Lehrtätigkeit an der Hochschule für Künste in Bremen an, welche er bis 2013 ausführte. Paco Knöller lebt und arbeitet in Berlin.
Ort: Galerie Karsten Greve bis: 2016-04-09
Künstler: John Chamberlain
Thema: Die Galerie Karsten Greve freut sich, die Ausstellung John Chamberlain – Skulptur & Fotografie mit Werken des renommierten US-amerikanischen Künstlers John Chamberlain (1927-2011) ankündigen zu können. Die Einzelausstellung würdigt die markantesten Ausdrucksformen und Entwicklungen in Chamberlains Œuvre, indem sie Skulpturen, Fotografien und Papierarbeiten vereint. Die ausgestellten Werke wurden durch Karsten Greve, der seit nunmehr über 30 Jahren John Chamberlain als Galerist vertritt, persönlich vom Künstler erworben. Das gestalterische Repertoire Chamberlains umfasst insbesondere die Disziplinen der Skulptur, der Fotografie und des Films, aber auch Malerei, Zeichnung, Collage und Druckgraphik, stets geleitet von einem intuitiven, beinahe ritualistischen Schaffensprozess, bei dem allein die Ideengebung und das eigene Ermessen des Künstlers die Leitlinie bilden. Die für ihn charakteristischen Merkmale der instinktiven Improvisation, des unbändigen Strebens nach Neuentdeckungen sowie die Infragestellung gewohnter Konventionen der Bildhauerei lassen die solitäre Position Chamberlains in der zeitgenössischen Kunst erkennen. Wiederholte Versuche, ihn künstlerischen Bewegungen oder teils sogar widersprüchlichen Kategorien zuzuordnen, bleiben vergeblich und unterstreichen lediglich seine Einzigartigkeit. Zwischen abstraktem Expressionismus, Pop Art und Minimalismus changierend, beflügelten seine Werke die Fantasie anderer Künstler und ließen insbesondere durch die Verwendung von Karosserieteilen von Automobilen – gefeiert als historische Innovation Chamberlains in der Kunst – als auch eine außergewöhnliche Farbgebung Kritiker fortwährend staunen. Aufgrund seiner häufig anspielungsreichen Werktitel wurden ihm mitunter sozialkritische Tendenzen zugesprochen, während er selbst Deutungen in diese Richtung entschieden zurückwies. Zweifellos trafen seine farbintensiven Arbeiten jedoch den Nerv der obsessiven Konsumkultur im modernen Amerika. Gleichzeitig als Verkörperung neutraler Bedeutungsfreiheit, gar reiner Ausdruckslosigkeit gedeutet oder aber in sozio-kulturelle Zusammenhänge eingeordnet, stellten diverse Werkinterpretationen den Künstler wiederum ins Zentrum eines komplexen Diskurses. Während seines gesamten Schaffens experimentierte John Chamberlain in verschiedensten künstlerischen Richtungen. Im Jahr 1956 entdeckte er jedoch, in einem Moment schicksalhafter Erfindung, seine unver-wechselbare Assemblage-Technik, die den Mythos belebte, amerikanische Nachkriegskunst entspringe einer Synthese aus Inspiration, Muskelkraft und Zufall, gleichzeitig handle der Künstler aber aus einer kontrollierten kreativen Intuition und Absicht heraus. Chamberlains ausbalancierte, zu eindrucksvollen Monolithen geformte Skulpturen stellten anfänglich einen visuellen Bezug zu den vorausgegangenen Arbeiten von David Smith, Franz Kline und der lebhaften Farbpalette Willem de Koonings her. Angetrieben von einem großen Interesse am Zusammenspiel von Volumen, Anordnung und Farbe, entwickelte er seine individuelle Arbeitsweise, die sich durch eine aggressiv-kraftvolle Bearbeitung und Verformung von Materialien auszeichnete, um dann kompaktere volumetrische Zusammenstellungen wiederaufzunehmen. Zunächst aus kleinen Metallfundstücken, im Weiteren aus verschrotteten Autowrackteilen bestehend, veränderten sich nachfolgende Arbeiten in größere, zusammengeschweißte Formen aus gedrehtem und verkrümmten Stahl, welche in ausgereifter Form gleichsam monumentale Scheiterhaufen aus Metall bildeten, bestehend unter anderem aus fabrikneuen Elementen, die der Autoindustrie entstammen. Als Ziel hatte er bei jedem Werk den Moment im Blick, in dem alle Bestandteile plötzlich perfekt ineinandergreifen und den er selbst ‘the right fit‘ nannte. Als notorischer Rebell missachtete Chamberlain zudem die kritische Betrachtung der Verwendung von Farbe in der Skulptur, indem er die vorhandene, industriell polierte Farbgebung in seinen Arbeiten um weitere Nuancen ergänzte. Wechselwirksam zu seinen Skulpturen, zeigt sich das zentrale Thema der ‚Verkrümmung des Raums‘ (engl. ‘bending space‘) auch in John Chamberlains ebenso spontan-gestischen und improvisierten fotografischen Kompositionen, welche seinen spielerischen und zugleich direkten Umgang mit kreativen Prozessen widerspiegeln. Mit Hilfe einer Widelux-Kamera, die ursprünglich zu Zwecken der urbanen und ländlichen Dokumentation durch Panoramaaufnahmen entwickelt wurde, begann Chamberlain 1977 zu experimentieren. Während der sukzessiven Belichtungszeit führte er die Kamera mit schwenkenden oder ruckartigen Bewegungen durch den Raum. Diese beinahe filmische Methode ermöglichte es ihm, verschiedene Perspektiven in einem einzigen Bild festzuhalten, Umrisse, Strukturen, Farben und Licht auf überraschende Weise zu verformen und Bewegungsspuren sichtbar zu machen. Die Galerie Karsten Greve hebt in der aktuellen Ausstellung essenzielle Grundlagen seines Œuvres hervor und skizziert die künstlerische Wandlungsfähigkeit Chamberlains, die sich anhand von maßgeblichen Skulpturen wie beispielsweise Silver Plait (1976), Pastoraldebris und Bloodydrivetrain (beide 2007), aber auch von einzelnen Papiercollagen und rund 40 ausgewählten charakteristischen Fotografien nachvollziehen lässt. Bereits im Rahmen der Ausstellung Choices im New Yorker Guggenheim Museum im Jahr 2012 präsentiert, stellt Gondola Charles Olson (1982), einen Höhepunkt der Ausstellung dar. Die großformatige Bodenskulptur aus der berühmten dreizehnteiligen Werkgruppe der Gondolas, schuf Chamberlain als Hommage an amerikanische Schriftsteller, Dichter und andere Kreative – Charles Olson selbst war ein Semantiker - welche intensiv mit der Verwendung von Sprache in Verbindung standen und betitelte sie jeweils nach ihren Namen. Ein Beispiel aus seiner Gruppe von Kisses (1979) strahlt die unvergleichliche Energie, die all seinen Werken innewohnt, auf unverkennbar sinnliche Weise aus. 1927 in Rochester, Indiana, geboren, besuchte John Chamberlain Mitte der 1950er Jahre das legendäre Black Mountain College, an dem der Austausch mit den anwesenden Künstlern und Dichtern wie Charles Olson, Robert Creeley und Robert Duncan, tiefgreifende Auswirkungen auf seine anschließende Karriere haben sollte. Bereits seit den frühen 1960er Jahren haben Chamberlains Arbeiten Eingang in zahlreiche bedeutende Sammlungen gefunden. Im Jahre 1961 war er auf der Biennale in São Paolo sowie 1964 auf der Biennale in Venedig vertreten. 1971 und 1986 widmeten ihm das Guggenheim Museum in New York und das Museum of Contemporary Art in Los Angeles jeweils große Retrospektiven, gefolgt von bedeutenden Ausstellungen in der Kunsthalle Baden-Baden (1991) und im Stedelijk Museum Amsterdam (1996). Bis zu seinem Tod im Jahr 2011 in New York arbeitete Chamberlain in Studios in New York, Florida und zuletzt Shelter Island.
Ort: Galerie Karsten Greve bis: 2016-01-23
Künstler: Luise Unger
Thema: Die „Sehnsucht, etwas Unergründliches fassen zu können“, erfüllt das skulpturale und zeichnerische Schaffen Luise Ungers. Die Galerie Karsten Greve Köln präsentiert zum ersten Mal eine umfassende Einzelausstellung mit überwiegend neuesten Skulpturen aus Edelstahldraht sowie Arbeiten auf Papier. Bereits 2009 wurde Ungers Werk eine Einzelschau in den Räumen des Pariser Galeriestandorts gewidmet. Luise Ungers Formensprache ist fast immer abstrakt, umfasst aber ebenso geometrisch-architektonische wie biomorphe Elemente. Vor allem für ihr organisch-rundes Repertoire führt die Kölner Künstlerin ihre Inspiration zum großen Teil auf Strukturen und Kreisläufe aus der Natur zurück. In ihren früheren Skulpturen experimentierte Luise Unger mit verschiedenen Werkstoffen wie Holz, Metall, Gummi, Wachs oder Baumwolle. Seit etwa fünfzehn Jahren setzt sich hingegen ihr Interesse an aufwendig gehäkelten Skulpturen aus Edelstahldraht durch. Das daraus von Hand entstehende Gewebe ermöglicht ihr, nahtlos gerundete Formen zu schaffen, die sie in verschiedenen Stadien noch modellierend beeinflussen kann. Aus dünnem, aber robustem, letztlich hartem Draht erwachsen voluminöse, zarte, gleichwohl komplexe Gebilde, denen eine fragile Weichheit zu eigen ist. Luise Ungers Werke betören durch ihre Leichtigkeit, ihre Schönheit und Poesie, obwohl sie einen langwierigen, mühevollen Entstehungsprozess durchlaufen. Angesichts der tausendfach ausgeführten Bewegungen der Häkelnadel, die an langsames Pflanzenwachstum erinnern, stellt sich die meditative Vorstellung von Unendlichkeit ein. Gemeinsam ist ihren gehäkelten Drahtskulpturen die Mehrschichtigkeit, seien sie freihängend, wand- oder sockelbezogen, seien es rund geschlossene oder asymmetrisch offene Formen. Die Schichten liegen wie Netze übereinander, bleiben durchlässig für Licht, Luft und den Blick des Betrachters, der wie mit Röntgenstrahlen verdichtete und durchscheinendere Bereiche aufspürt. Doch die innerste Stelle ist meist ein Hohlraum, ein umschlossenes Nichts, ein von Membranen umgebenes, unfassbares Zentrum. Es kann eine Metapher für ein unergründliches Geheimnis sein, eine Erkenntnis, der tiefinnerste Kern von Menschen und Dingen. Schon von einem leichten Lufthauch werden die schwebenden Gebilde bewegt und verdreht, wodurch das Auge eine der Materialebenen erneut fokussieren muss. Je nach Lichteinfall scheinen sich konkave und konvexe Flächen umzukehren. Momentweise herrscht eine transzendentale Gleichheit von Innen und Außen. Parallele Aspekte lassen sich in Luise Ungers Papierarbeiten wiederfinden, die jedoch einen eigenständigen Werkkomplex bilden. Auch diese fordern das Auge mal mit kurvenreichen, mal mit gradlinigen Strukturen heraus. Dabei spielen unterschiedliche Texturen dort eine Rolle, wo zum Beispiel dichte Graphitspuren eine reflektierende, immaterielle Qualität annehmen oder wo ausgeschnittene Bereiche zusätzliche Ebenen erschließen. Der wechselseitige Bezug wird deutlich, wenn die Drahtskulpturen wie dreidimensionale, schwebende Zeichnungen wirken und ihr Schattenspiel auf eine Wand projizieren. Luise Unger wurde 1956 im schwäbischen Bad Saulgau geboren und studierte von 1981 bis 1989 Bildhauerei bei Erwin Heerich und Ulrich Rückriem an der Kunstakademie Düsseldorf. Ihre Arbeiten werden regelmäßig in Galerien und Museen ausgestellt; u.a. beteiligte sich die Künstlerin von 1999 bis 2004 an der jährlichen Präsentation Großen Kunstausstellung NRW im Museum Kunstpalast in Düsseldorf. Luise Unger lebt und arbeitet in Köln.
Ort: Galerie Karsten Greve bis: 2015-10-31
Künstler: Qiu Shihua
Thema: Die Galerie Karsten Greve freut sich, zum DC Open 2015 die Ausstellung Aura of Nature mit Gemälden des chinesischen Künstlers Qiu Shihua zu präsentieren. Die erste Begegnung mit den zwischen 2000 und 2013 entstandenen Gemälden des 1940 in Sichuan geborenen Qiu Shihua ist bestimmt durch ein Irritationsmoment, denn statt einer benennbar abstrakten oder figürlichen Malerei breitet sich auf den zumeist großformatigen Leinwänden eine augenscheinliche Leere aus. Aus dem Nichts flächendeckender Weiß-in-Weiß-Tonigkeit, welche den Naturton der rohen Lein-wand wie einen dünnen Schleier lasierend bedeckt, werden nur schwach und schemenhaft Kontraste und Konturen sichtbar. Schattierungen verdichten sich zu Hügeln und Tälern, Gebirgskämmen und felsigen Abgründen, Waldsilhouetten und Wellen. Die Sonne blitzt auf als Lichtpunkt und Orientierungshilfe in den undurchdringlichen Nebelschwaden. Leichte Farbmodulationen in milchig-transparentem Grundton durchbrechen die Monochromie und offenbaren sich bei längerer Betrachtung als Überlagerung zartfarbiger Schichten in blassem Grau, Blau, Rosa, Gelb. Es sind minimale Hinweise, die eine Gegenständlichkeit andeuten. Durch das kaum merkliche Zusammenspiel von Licht und Schatten und das folglich verzögerte In-Erscheinung-Treten dieser landschaftlichen Gegebenheiten ist der Vorgang der Bildwerdung entschleunigt, zugleich wird die ausgedehnte Auseinandersetzung mit der Leere zur intensiven Übung des Sehens und zur spirituellen Erfahrung. „Alles ist flach und ruhig. Form ist unwichtig. Es ist wie während der Meditation, wenn sich der ganze Kosmos in weißen Dunst auflöst. Hier scheinen Zeit und Raum ausgelöscht. Menschliche Begierden sind unwichtig.“ (Qiu Shihua) Denn die Landschaftsgemälde Qiu Shihuas sind keine realitätsgetreuen Abbilder oder Ergebnisse einer sorgfältigen Naturbeobachtung, sondern resultieren, von der konkreten Wirklichkeit entrückt, aus der Introspektion und Imagination, die Erinnerungen oder Ahnungen aufkommen lassen. Wesentliche Kompositionselemente und Koordinaten erachtet Qiu als unwesentlich: „Für mich zählen Norden, Süden, Westen und Osten nichts, ebenso wenig wie Rot, Gelb oder Blau, und schon gar nicht Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Mit einer unendlichen Leere im Herzen gibt es weder Kommen noch Gehen; sie sind ein und dasselbe. So sind auch meine Werke: Einfach und blass, ruhig und leer. Alles Sein und Nicht-Sein ist in ihnen enthalten, vollständig abgeschlossen. In diesem Null-Zustand enthüllt sich die ursprüngliche Verfasstheit der Seele.“ In ihrer auf bloße Andeutungen reduzierten Anlage erweisen sich Qiu Shihuas Gemälde als Projektionsflächen für individuelle Impressionen, die von dem Betrachter einzubringen sind, um das Bild gleichsam zu beleben. Damit werden sie als Seelenlandschaften, Stimmungsbilder erlebbar. Nach Qius Auffassung ist der Vorgang der Betrachtung reziprok: Während der Betrachter das Bild in Augenschein nimmt, „blickt dieses zurück“. Beim Verweilen vor den Bildern findet eine Energieübertragung zwischen Betrachter und Bild statt, ein „Austausch kosmischer Kräfte“. Nicht das Was, sondern das Wie ist für diese Bilder, vom Geist taoistischer Lehre durchdrungen, essentiell. Durch die dialogische Dynamik einer interaktiven Rezeption eröffnen sich Möglichkeiten der Veränderung, sowohl auf Bild- wie auch auf Bewusstseinsebene. Qiu Shihuas Kunst der Langsamkeit folgt einer ganzheitlichen Konzeption, in der Produktion und Rezeption, Werden und Vergehen zusammenfallen. Wichtig ist der Weg, nicht die Ursache oder das Ziel. Qiu merkt an, dass sich die Schöpfung eines Kunstwerkes im produktiven Übergang von Nichts zum Etwas und zurück zum Nichts vollzieht. Die vollendete Kreation, das abgeschlossene Produkt lehnt er als statisches Konzept ab und befürwortet stattdessen die ständige Prozesshaftigkeit ohne endgültige Fixierung. Als Maler beansprucht Qiu keine Autorität: Nicht er beherrscht das Bild, sondern das Bild leitet ihn, weist ihm den Weg. So ist Qiu Shihua darauf bedacht, die taoistische Maxime „Handeln durch Nicht-Handeln“ auf die Malerei anzuwenden. Das Bild, die flüchtige Erscheinung, entsteht im Spannungsfeld zwischen Schein und Sein, im Zwischenraum der Kontraste Hell und Dunkel, Licht und Schatten. Zentrale Themen des Taoismus sind in der Landschaft – auch in den Gegensatzpaaren Fest-Fließend, Hoch-Tief – verankert. Umgekehrt basiert die traditionelle chinesische Landschaftsmalerei auf dem taoistischen Ganzheitsprinzip und der Vereinigung von Gegensätzen. Der chinesische Begriff für Landschaft, Shanshui, setzt sich aus den Komponenten shan (Berg) und shui (Wasser) zusammen und betont in ihrer Zusammenführung die komplementäre Einheit beider unterschiedlichen natürlichen Gegebenheiten. Landschaft wird als Bewegung zwischen den Polen verstanden, als Wechselwirkung zwischen Oben und Unten, Vertikal und Horizontal, Hart und Weich, Opak und Transparent, usw. Der Taoismus erkennt die Existenz im Wandel, in den Übergängen, die sich der Beschreibung und Beobachtung entziehen. Wie der Begründer des Taoismus Laotse nicht versucht, sich vom Unaussprechlichen, dem menschlichen Verstand sich Entziehenden ein Bildnis zu machen, so beobachtet auch Marcel Duchamp „eine Trennung, ein Intervall oder einen unmerklichen Zwischenraum, eine Entfernung oder Unterscheidung, die nicht wahrnehmbar ist, sondern nur durch die Vorstellungskraft erlebbar ist“ und prägt den Begriff des Inframince: Als „das Mögliche, das das Werdende einschließt – der Übergang vom einen in das andere findet im inframince statt“ reflektiert er Qiu Shihuas Weltanschauung und künstlerische Auffassung. Geboren 1940 in Sichuan, China, begann Qiu Shihuas Auseinandersetzung mit der Malerei ohne eine vorangegangene künstlerische Ausbildung. 1962 schloss er an der Xi´an Kunstakademie ein Studium der Ölmalerei ab. Zu einer Zeit, als die Volksrepublik China sich gen Westen verschlossen hielt und den Sozialistischen Realismus als Propagandakunst förderte, begann Qiu Shihua Naturstudien im Freien zu betreiben. Während der Kulturellen Revolution in den 70er Jahren arbeitete er als Plakatmaler für ein Kino in Tongchuan. 1984 ließ er diese Tätigkeit hinter sich und besuchte Europa und die Gobi Wüste. Diese Erfahrungen bewirkten eine einschneidende Veränderung in seiner künstlerischen Produktion, welche fortan auch durch seine intensive Beschäftigung mit dem Taoismus bestimmt wurde. In diesem Zusammenhang löste sich Qiu Shihua von der unmittelbaren Landschaftsmalerei um sich stattdessen mit der Darstellungen seelischer Zustände zu widmen. Das Werk von Qiu Shihua ist heute international bekannt und vielfach in Ausstellungen weltweit vertreten. Unter zahlreichen Gruppenausstellungen sind zu nennen: die Wanderausstellung Mahjong - Kunstmuseum Bern (2005), Hamburger Kunsthalle (2006) und Museum der Moderne Salzburg (2007), The Sublime is Now im Franz Gertsch Museum, Burgdorf (2006) und Shanshui im Kunstmuseum Luzern (2011). Seine Werke wurden auch auf den Biennalen von São Paulo (1996), Venedig (1999) und Shanghai (2004) ausgestellt. 2012 widmeten die Museen Hamburger Bahnhof, Berlin und Pfalzgalerie, Kaiserslautern Qiu Shihua umfassende Einzelpräsentationen. Qiu Shihua lebt und arbeitet in Beijing und Shenzhen, China.
Ort: Galerie Karsten Greve bis: 2015-08-29
Künstler: Ballen, Roger
Thema: Die Galerie Karsten Greve freut sich, Werke des seit über 30 Jahren in Südafrika beheimateten Fotografen Roger Ballen in einer umfassenden Einzelausstellung zu präsentieren, in deren Mittelpunkt seine jüngste Werkgruppe Asylum of the Birds steht. In diesen Fotografien, die meist zwischen 2008 und 2013 aufgenommen wurden, hält der 1950 in New York geborene Künstler (Alb-)traumszenarien von komplexer Symbolik fest. Die zugrunde liegenden, oft improvisierten Inszenierungen wurden allesamt in einem ärmlichen Haus am Rande von Johannesburg vorgenommen, wobei Ballen sowohl die Bewohner als auch die sie umgebenden Tiere für die Besetzung berücksichtigt. Die verschmutzten Wände, zerbeulten Kartonagen und fleckigen Stoffdrapierungen des verwahrlosten Interieurs bilden die Kulissen für Handlungen, die primär von Vögeln ausgehen. Seit der Antike als Symbol für die Seele bekannt, wird der Vogel auch von Ballen in seiner Verkörperung ungebändigten Freiheitsdrangs zur Darstellung des Unbewußten eingesetzt. Die damit einhergehende unwägbare Unruhe und Überraschung, das plötzliche und unkontrollierbare Moment, das in der ständigen Bewegung liegt, steigert die unwirkliche Anmutung der bühnenhaften Arrangements, denen immer ein psychologisches Moment innewohnt. Zudem werden sie spannungsvoll aufgeladen durch kryptische Zeichnungen von Ballen selbst oder von seinen Darstellern, welche als Chiffren des Unbegreiflichen und Unberechenbaren in Erscheinung treten. In Ballens schöpferischem Selbstverständnis ist das Bild bzw. die Vorstellung schon im Unbewußten angelegt und lässt sich auf keinen Ursprung zurückführen. Auf praktischer Ebene geht es dem Künstler darum, ausgehend von einem Gegenstand, einer Person oder einer beiläufigen Begebenheit, eine Beziehungskette und somit eine Ordnung, ein sinnvolles Gefüge zwischen verschiedenartigen Elementen herzustellen. Die tatsächlich entstandenen Bilder sind ein Ergebnis zahlreicher Entscheidungen, wie die unzähligen Setzungen des Pinsels in einem Gemälde oder die genaue Wortwahl in einem Gedicht. Ballen versteht sich als Organisator, der das sichtbare Chaos in einen schlüssigen Zusammenhang überführt. Während das eingefangene Bild die Widersprüchlichkeit und Brüchigkeit der condition humaine kommentiert, entzieht sich die Komposition doch der eindeutigen Interpretation und Festlegung von Bedeutung. So konstatiert Ballen: „Meine Bilder informieren nicht, sie sind kohärente Kommentare auf das Chaos einer unverständlichen Welt… Wenn ich die Bedeutung der Bilder bestimmen könnte, wären sie nichts weiter als bloße Fotografien.“ Ballen widmet sich somit dem Bild in seiner verrätselten Eigenschaft als Traum, Vision, Halluzination oder Fantasie, so dass seine Szenarien symbolhaft über sich hinausweisen und auf Urformen bzw. Archetypen verweisen, die auf allgemein menschliche Erfahrungswerte Bezug nehmen und im kollektiven Unbewußten eingeschrieben sind. Ballens Privatmythologie entspringt einer existenziellen Notwendigkeit, die eigene rätselhafte Identität herauszufordern. Unbeeindruckt von der Unterscheidung zwischen Realität und Imagination überwinden seine Aufnahmen die rein (dokumentarische) Fotografie und erzeugen aufgeladene Bildwelten, welche die Grenzen zwischen Fiktion – Dokumentation, Traum – Realität, Wahn – Wirklichkeit unterlaufen. Mit der Entfernung Ballens vom realitätstreuen Abbild und der Hinwendung zum Bild als Manifestation eines geistigen oder psychischen Zustands vollzieht sich auch die Veränderung der von ihm eingesetzten Mittel. Zunehmend treten Zeichnung, Malerei und Graffiti in den Vordergrund. Während in den am Portrait orientierten Ansichten Ballens Protagonisten vor Wänden stehen, die mit ihren eigenen zeichnerischen Spuren und spontanen Markierungen übersät sind – gleichsam als erweiterte Charakterisierung ihrer selbst –, haben sich mittlerweile derartige Äußerungen verselbständigt und treten unabhängig von einer sichtbaren Bezugsperson wie Chimären auf Vorhängen, Wänden, Pappkartons auf. Wie von Geisterhand ausgeführt verschmelzen diese Zeichnungen mit den Darstellern und erinnern sowohl an die surreale Technik der écriture automatique als auch an die Art brut-Ästhetik von Jean Dubuffet und die Graffiti-Fotografien von Brassaï. Durch die Zusammenführung von Zeichnungen, Abbildungen in Zeitungsausschnitten, gemalten Konterfeits auf Karton, die den Akteuren vorgehalten werden, ergibt sich die Nähe zur Fotomontage oder auch zur Collage. Die geringe Tiefenperspektive und die unmittelbare Vordergründigkeit des Bühnenaufbaus wird durch punktuell platzierte plastische Elemente durchbrochen. Körperteile, Puppenfragmente, verbogene Kleiderbügel, schlangenartig gewundene Elektrokabel sowie Tierknochen öffnen die flächigen Anordnungen und ergeben vielschichtige Kompositionen. In ihrer Annäherung an Malerei, Zeichnung, Installation überschreiten Ballens Schöpfungen die Grenzen der Fotografie. Ihre mediale Uneindeutigkeit berührt auch die Ebene des Theaters und der Sprache, zumal die einzelnen Kompositionselemente, die wie Chiffren oder verschlüsselte (Sinn-)Bilder anmuten, ihre Sinnhaftigkeit innerhalb eines übergeordneten Kontexts erhalten, dessen Kenntnis der Betrachter nicht zu erlangen vermag. Damit knüpft Ballen auch an das Absurde Theater an, welches die Thematisierung existenzieller Fragestellungen an eine komische Sinnentleerung von Sprache als konventionelles Kommunikationsmittel knüpft. Trotz seiner experimentellen Herangehensweise und der vielfachen Bezüge, welche die Werke herstellen, liegt eine Kontinuität in Ballens ungebrochener Verwendung des Mediums der Schwarz-Weiß-Fotografie, deren Minimalismus, Abstraktion und Subtilität der Künstler schätzt. Auch seine durchgehende Verhaftung am quadratischen Format der Abzüge lässt erkennen, dass Ballen die Form dezidiert festlegt, um die gleichberechtigte Existenz jedes Elements im Bild zu gewährleisten.
Ort: Galerie Karsten Greve bis: 2015-05-23
Künstler: Raúl Illarramendi
Thema: Die Galerie Karsten Greve Köln freut sich, nach vorangegangenen Präsentationen in unseren Häusern in Paris (Drawing from Nature, 2013) und St. Moritz (2014), dem gebürtigen Venezolaner Raúl Illarramendi (*1982) die erste umfassende Einzelausstellungen in Deutschland zu widmen. Das faszinierende Werk Illarramendis besticht durch seine handwerklich perfekt ausgeführte und hochästhetische Wiedergabe von Oberflächen des öffentlichen Raums, in die sich Spuren der Benutzung und Abnutzung eingeschrieben haben. Als Vorlage dienen Illarramendi Fotografien, die auf seinen Streifzügen durch urbane Gegenden entstehen. Gegenstand seiner akribischen Beobachtungen sind die Manifestationen des täglichen Lebens, die in Form von Kritzeleien, Schmierereien, Flecken und weiteren Gebrauchsspuren auf Lkw-Planen, Garagentoren, Karosserien, Abfallcontainern usw. sichtbar werden und die im großstädtischen Erscheinungsbild eher unbewusst wahrgenommen werden. Derartig beiläufige Hinterlassenschaften im städtischen Umraum berichten von einer Anwesenheit oder Aktion, die sich durch Markierungen des Körpers, z.B. in Finger- oder Fußabdrücken ausdrückt. Damit sind sie Zeugnisse und zugleich Zeichen des Dagewesenen, die von Illarramendi katalogisiert und bildnerisch umgesetzt werden. Das Spontane, Gestische dieser flüchtigen Spuren wird durch die kontrollierte Vorgehensweise Illarramendis gebändigt. Seine Leinwände grundiert er mit bis zu 7 Schichten, die er dann sorgfältig abschleift, damit die Oberfläche die matte Textur von Papier annimmt. Auf diese trägt Illarramendi mit Gouache farbige Partien auf, gefolgt von dem zeitaufwendigen Auffüllen der Flächen mit unzähligen Buntstiftstrichen, deren Farbspektrum in Reaktion oder harmonischer Entsprechung zu den zugrundeliegenden Tönen gewählt wird und in deren Verdichtung sich das Negativ der Zeichnung offenbart. Denn durch die Ausmalung des Hintergrundes und der Freilassung der Partien, die als Spuren bzw. Markierungen erkennbar werden, umgeht Illarramendi die zeichnerische Setzung zugunsten ihrer Aussparung. Aufgrund solcher Leerstellen bezeichnet er diese Darstellungen als „Anti-Zeichnungen“, um die seine Serie EA (Evidence of Absence) kreist. Auch in der bislang 15 Gemälde umfassenden, auf Zuwachs angelegten Serie TI (Terra Incognita) treten skizzierte Pläne, gekritzelte Telefonnummern, rudimentäre Wegbeschreibungen hervor, die sich in Ermangelung eines Stücks Papier durch die Abtragung der Staub- oder Schmutzschicht mit dem bloßen Finger auf Lkw-Türen und Fenstern niedergeschlagen haben. Die Entstehung der Zeichnung kommt durch die Entfernung des oberflächlichen Belags zustande und Illarramendi überträgt diese Technik auf seine archaisch anmutenden, gleichsam „abwesenden“ Zeichnungen. In seiner Serie TI, deren Titel Terra Incognita in Anspielung auf die kartografischen Aufzeichnungen der Entdecker Amerikas zugleich die Realität und Rätselhaftigkeit der eingelassenen Schriftzeichen betont, führt Illarramendi erstmals solche bewusst ausgeführten Skizzen in sein Werk ein, die im Gegensatz zu den meist zufälligen Spuren und Fingerabdrücken seiner Serie EA (Evidence of Absence) stehen. Wie ein flüchtiger Gedanke, ein Gruß oder eine bestimmte Gefühlsäußerung richten sich diese konkreten und faktischen Diagramme als unmittelbare Botschaft an einen individuellen Adressaten. Lesbarkeit und Bedeutung sind untrennbar mit diesem verbunden und verlieren sich schon bald nach ihrer Werdung in der Abstraktion des Anonymen und Allgemeinen. Illarramendi betont den dokumentarischen Charakter dieser Motive, in dem er auch die Materialität des Mediums berücksichtigt und die zwischen Gold und Silber angesiedelte Tonalität der zugrunde liegenden Fotografie übernimmt. In seinen Übertragungen zeigt und erfüllt sich somit Illarramendis Anliegen, die doppelte Medialität in der physischen Präsenz beider Oberflächen – sowohl die pulverisierten Rückstände auf einer schmutzigen Fensterscheibe als auch die Farbigkeit des Fotopapiers – zu bewahren, indem er sie in den Graphitpartikeln seines Bleistiftes, die sich über die Leinwand legen, vergegenwärtigt. Durch seine künstlerische Aneignung überführt Illarramendi alle belanglosen Vorlagen in atmosphärisch dichte „Seerosen des digitalen Zeitalters“, wie Sébastien Gokalp die Werke Illarramendis in Anlehnung an die ikonischen Gemälde des Impressionisten Claude Monet beschreibt. Raúl Illarramendi wurde 1982 in Caracas, Venezuela, geboren und begann seine künstlerische Ausbildung 1998 als Assistent des Malers Felix Perdomo. In der Folge wurde er Mitglied des Circulo de Dibujo des Contemporary Art Museum of Caracas Sofia Imber. Er nahm Studien der Bildenden Kunst und der Kunstgeschichte an der University of Southern Indiana in Evansville, USA auf, sowie an der Université Jean Monet in St. Étienne, Frankreich, wo er seinen Master of Fine Arts erlangte. Er wurde mehrfach für seine Arbeit in den USA und Frankreich ausgezeichnet, zuletzt 2012 mit dem Jean Chevalier-Preis für Malerei in Lyon. Raúl Illarramendi lebt und arbeitet in Méru, Frankreich.
Ort: Galerie Karsten Greve bis: 2015-04-11
Künstler: Joel Shapiro
Thema: Die Skulpturen von Joel Shapiro sind oft vektorielle Vorstöße in alle Richtungen, lineare Gefüge mit denen der Künstler die drei Dimensionen erschließt, die gemeinhin zur Beschreibung von plastischem Volumen angewendet werden. Aus einzelnen Komponenten, meist längliche, rechteckige Balken aus Holz oder Bronze, ergeben sich durch unbestimmbare Ausrichtungen mit variierenden Schwerpunkten und ständigen Gewichtsverlagerungen dynamische Verhältnisse zwischen den Konfigurationen und der Position des Betrachters. Damit befasst sich Shapiro nicht nur mit grundlegenden geometrischen Parametern, sondern betont die Bewegung, die räumliche Anpassung des eigenen Körpers an die vorgefundenen physischen Proportionen der Kunstwerke als entscheidende Bedingung zur Wahrnehmung dieser: wechselnde Standorte ergeben verschiedene Perspektiven. Bisweilen erscheinen die Formen menschlich, wie Gliedmaßen ragen die geraden Elemente in den Raum hinein, in tänzerische Posen oder akrobatische Verrenkungen gebannt. Shapiros skulpturale Interventionen, deren Einzelteile sich jederzeit neu zu formieren scheinen, lassen die Koordinaten zur Bestimmung von Länge, Breite und Tiefe hinfällig werden, Halt- und Orientierung gebende Konstanten geraten ins Ungleichgewicht.
Ort: Galerie Karsten Greve bis: 0000-00-00
Künstler: Robert Polidori
Thema: Die Galerie Karsten Greve freut sich, neue Fotografien von Robert Polidori in einer umfassenden Einzelpräsentation zu zeigen, die mehrere Werkgruppen in Bezug zueinander setzt. Erstmals werden in der Ausstellung Exteriors and Interiors Motive aus den Serien Hotel Petra und Dendritic Cities gezeigt, die der 1951 in Montréal, Kanada geborene Fotograf zwischen 2008 und 2011 aufgenommen hat. Polidoris Ansichten von Außenräumen und Innenräumen aus dem städtischen Zusammenhang wirken wie Portraits, die zeitlich bedingte Veränderungen im gegenwärtigen Erscheinungsbild sichtbar machen. Hotel Petra besteht aus Innenansichten eines Gebäudes, das durch gewaltsame Einwirkungen und Verwitterung gezeichnet erscheint. Polidori hat in Beirut das neben dem ehrwürdigen Grand Théatre de Beyrouth gelegene Hotel Petra aufgesucht, das nach den Zerstörungen des libanesischen Bürgerkriegs nahezu 25 Jahre lang abgeriegelt blieb. Von menschlichen Eingriffen verschont, ist es dem „natürlichen“ Verfall überlassen gewesen. Die Wände sind mit zahlreichen Farbschichten bedeckt, die im Laufe der Zeit abgeblättert und verblasst sind, so dass zugrundeliegende Farbtöne in changierenden Intensitäten zum Vorschein kommen. Diese altersbedingten Auflösungsprozesse ergeben ein breites Spektrum an Nuancen: „Die Blau-, Gelb- und Orangetöne und der wahnsinnige Farbumfang haben mir sofort gefallen. Die Szene ist wie eine Studie über das Sichauflösen und Überlagern von Farbe.“ (Polidori) Polidori betont jedoch nicht nur die malerische Qualität dieser Wände, sondern vielmehr den geschichtlichen Aspekt, der dieser „natürlichen Malerei“ innewohnt. Er bezeichnet diese rein durch zeitliche Einwirkungen entstandenen Abstraktionen als „Archäologie der Malerei“: „Wände sind das Trägermaterial, auf dem Zeit sichtbar wird.“ (Polidori) So sind in diesen Momentaufnahmen die Zeit (und ihre Auswirkungen) verdichtet, der von Polidori eingefangene Zustand wird zur historischen Manifestation. In der Chromatik farblicher Abstufungen offenbart sich – einem Palimpsest vergleichbar – die Chronologie geschichtlicher Ereignisse. Die charakteristischen Oberflächenstrukturen des Gebäudes, dessen verwundete Schönheit der einheimischen Bevölkerung als Sinnbild der schmerzhaften Erfahrung des Krieges dient, lassen sich nicht nur als individuelles Portrait, sondern auch als Mahnmal, als Wahrzeichen kollektiver Erinnerung begreifen. Obwohl er die Poesie abgetragener, verwaschener Farbqualitäten anerkennt, ist Polidori kein Anhänger einer ästhetisierenden Ruinenromantik. Stattdessen folgt er seinem realitätsnahen, fast dokumentarischen Bedürfnis, das „Gedächtnis der Gemäuer“ mit seiner Kamera zu erfassen und damit ausgehend vom Sichtbaren das erweiterte Augenmerk auf die verborgenen Hintergründe zu lenken: „um ein vollständiges Bild des Geschehens zu erhalten“. Da für Polidori oberflächliche Merkmale immer Indikatoren tiefgreifender Strukturen darstellen, sind die von ihm abgebildeten Situationen Zeugnisse einschneidender sozialer, historischer und politischer Veränderungen, die sich in einer einzigartigen äußeren Form niedergeschlagen haben. In der Ausstellung wird durch die Gegenüberstellung der malerischen Wandflächen des Hotel Petra mit den Nahaufnahmen alternder Gemälde aus Schloss Versailles (aus der Reihe Parcours Muséologique Revisité) deutlich, dass Polidori in seiner sorgfältigen Beobachtung vorgefundener Zustände die Insignien der Vergänglichkeit hervorhebt. „Mich interessieren die Spuren der Zeit in einem Raum, einem Gebäude oder einer Stadt.“ (Polidori) Diesen Spuren der Zeit geht Polidori auch in seinen Panoramen der Serie Dendritic Cities nach. Hier befasst er sich mit dem Phänomen des wuchernden Wachstums sogenannter `cités sauvages´, deren unkontrollierte Ausbreitung vor allem in den Außenbezirken moderner Großstädte keiner urbanistischen Planung folgt, sondern aus unmittelbaren gesellschaftlichen Gegebenheiten resultiert. Ob es sich um einen Slum in Indien oder eine Favela in Brasilien handelt: stets ziehen Polidori solche Städte an, die „plötzlich auftauchen und nach 50 Jahren wieder verschwinden. Es sind temporäre Strukturen, die aus einer Notwendigkeit heraus erwachsen sind.“ Eines dieser Szenarien des Wandels, in denen eine zeitliche Entwicklung ablesbar wird, ist der indische Slum Dharavi. Ursprünglich am Stadtrand von Indiens Megalopolis Mumbai gelegen, wurde er bald von der Stadt umwachsen, so dass er heute – unüblich für einen Slum – mitten in der Stadt liegt. Um den akuten Platzmangel zu umgehen, werden durch Abriss und improvisierten Aufbau neue Wohnmöglichkeiten geschaffen für den ständigen Zustrom an Menschen. Ähnlich wie die Farbschichten auf den Wänden des Hotel Petra sind hier die Hütten übereinandergestapelt, aufgetürmt und ergeben ein unübersichtliches Gewirr aus ein- und zweistöckigen Gebäuden. Der schnelle Wandel des Stadtbildes zeichnet sich auch in den Ansichten von Ammann, Jordanien ab. Hier sind beinahe alle Gebäude nach 1991 entstanden, als die Stadt in der Folge des Irak-Konflikts und der Vertreibung der Palästinenser aus Kuwait verstärkt Flüchtlinge aufgenommen hat, wodurch die Errichtung von Unterkünften notdürftig vorgenommen wurde. Im Unterschied zu seinen Innenansichten, die mit einer langen Belichtungszeit aufgenommen werden, entstehen diese Arbeiten aus vielen einzelnen, kurz belichteten Aufnahmen einer vorgefundenen Situation, die er zu einem vielschichtigen, äußerst dichten Motiv zusammensetzt, dessen unregelmäßig verlaufende Kontur als formale Entsprechung der ungeregelten, zügellosen Ausbreitung gesehen werden kann. Die neue Komposition enthält somit Einzelheiten, die nicht einer einzigen, sondern multiplen Perspektiven entstammen. Polidori gesteht nicht dem einen entscheidenden Moment sondern mehreren „entscheidenden Momenten“ (Polidori) den gleichen Wert zu, so dass sie simultan im Bild koexistieren. Mit dieser Vorgehensweise kommentiert er zugleich die Geschichtsschreibung, die durch Prozesse der Überlagerung und Verdrängung bestimmte Auffassungen des Gewesenen durchsetzt bzw. durch andere ersetzt und die Pluralität zugunsten einer singulären Sichtweise aufhebt. Auch übertragen auf das persönliche Erleben, wird der Vorgang der Erinnerung zur permanenten Umschichtung und Neuordnung von Erfahrungswerten. Robert Polidori übersiedelte in den siebziger Jahren von seinem Geburtsland Kanada nach New York, wo er zunächst für Jonas Mekas am Anthology Film Archiv arbeitete. 1980 erlangte er seinen Master an der State University of New York. 1998 wurde ihm der World Press Award für seine Dokumentation zum Bau des Getty Museums verliehen. Bereits zweimal wurde er mit dem Alfred Eisenstaedt Award für Magazinfotografie ausgezeichnet (1999 und 2000). 2007 und 2008 erhielt er den Communication Arts Award. Die Arbeiten Polidoris befinden sich unter anderem in der Sammlung des Metropolitan Museum of Art und im Museum of Modern Art, New York, sowie im Victoria and Albert Museum in London und in der Bibliothèque Nationale in Paris. Besondere Anerkennung erlangte Robert Polidori nicht nur durch seine langjährige Tätigkeit für das Magazin The New Yorker, sondern auch durch beeindruckende Projekte wie seine Langzeitdokumentation der Renovierung des Château de Versailles ab Mitte der 1980er Jahre, die mehrfach prämiert wurde. Zu seinem fotografischen Werk sind zahlreiche Kunstbände erschienen, zuletzt Eye and I mit beeindruckenden Menschenbildern. Robert Polidori lebt und arbeitet in Los Angeles.
Ort: Galerie Karsten Greve bis: 2014-08-09
Künstler: Catherine Lee
Thema: Die Galerie Karsten Greve Köln freut sich, Werke der international renommierten US-amerikanischen Künstlerin Catherine Lee zu präsentieren. Das Werk der 1950 in Pampa, Texas, geborenen Lee spiegelt ihre Auseinandersetzung mit den Grundideen abstrakter Formgebung wider. Es besticht durch die Viel-falt der verwendeten Materialien, umfasst es sowohl die monumentale Bronzeskulptur als auch die kera-mische Plastik und die kleinformatige Zeichnung auf Papier. Mittelpunkt der aktuellen Ausstellung bilden Gemälde, die in zeitlichem Abstand zueinander entstanden sind und doch die konstante Beschäftigung Lees nicht nur mit minimalistischen Kompositionsprinzipien, sondern auch mit den Phänomenen der Zeit und der Repetition, bzw. mit gleich bleibenden Vorgängen veranschaulicht. „My work is always serial, always repetitive; it’s a sort of marking of time, like a record of being in the world.“ (Lee) Jüngst entstandene Gemälde, die alle zur Serie Quanta gehören, werden mit Arbeiten aus der Serie der Mark Paintings, zusammengeführt, die aus den 1970er Jahren stammen. Beiden ist das quadratische Format gemein, sowie die Aufteilung der Bildfläche in ein Raster. Das Raster begreift Lee als den Aus-gangspunkt ihrer Malerei, welches sie – parallel zum Gitter der geografischen Daten in der Kartografie – als das einfachste Hilfsmittel zur Verortung begreift und für die Strukturierung der Bildfläche einsetzt. So befindet Lee: „It’s the most basic way of making order out of nothing.“ Lees künstlerisches Schaffen liegt immer in der aktiven Widerholung begründet. Der Akt des farbigen Auffüllens der einzelnen Zellen in der Gitterstruktur bringt sie mit multiplen Vorgängen in Verbindung: mit dem Verstreichen der Zeit, wobei die leeren Quadrate im Laufe der Zeit nach und nach an Farb-qualität zunehmen. Zugleich ähnelt der gleichmäßige Auftrag von Farbschichten dem regelmäßig rhyth-misierten und automatischen Ein und Aus der Atmung: der bewusst ausgeführte Pinselstrich wird zur existenziellen Geste. So wie die Zeit in Einheiten gegliedert ist, die sich zu Stunden, Tagen und Monaten addieren, so ist für Lee jedes Quadrat ähnlich, aber nicht gleich. Dabei versucht sie bewusst, autobiogra-fische Spuren und die damit verbundene Lesbarkeit des Gemäldes zu vermeiden, die durch eine lineare, narrative Vorgehensweise zustande kommen. Statt wie beim Schreiben einer von oben nach unten, rechts nach links verlaufenden Bewegung zu folgen, in der Unterbrechungen und Pausen Störungen des Flusses markieren, strebt sie eine gleichwertige Behandlung im Sinne eines ahierarchischen All-overs an. Die meisten Titel verweisen auf Bezeichnungen der verwendeten Farben, so z. Bsp. Madder Trumps Green (Krapprot übertrumpft Grün) oder auf einzelne Zeilen von ihr verfasster Gedichte (Immediate the Resonance of No). Ein Gemälde kann sowohl durch einen einzigen, als auch mit bis zu vier Farbwerten gestaltet sein, wobei Lee die Beschränkung auf zwei Töne favorisiert, die miteinander in ein dynami-sches Wirkungsverhältnis treten, das Lee wie einen harmonischen Zweiklang beschreibt. Immer wird das aufgezeichnete Raster vollständig flächendeckend mit einer einzigen Mischfarbe gefüllt. Nach der Trocknung wird eine weitere Mischfarbe darüber gelegt, wobei diese neue Schicht den darunter liegen-den Farbton verfremdet. Der Akt des Malens ist ein Prozess der allmählichen Werdung, des Sichtbarmachens, der sich vollzieht, wobei er für Catherine Lee auch – aber nicht nur – eine Meditation darstellt. Ihre Aufmerksamkeit ist zu höchster Konzentration angehalten, nur eine leichte Ablenkung würde zu einer Abweichung in der Hand-habung des Pinsels und zum Verlust des Gemäldes führen. Für Lee stellt jeder Pinselstrich eine affirma-tive Geste dar, in der die Tätigkeit des Malens mit der eigenen gegenwärtigen Existenz übereinkommt. Ein weiteres wichtiges Medium für Catherine Lee ist die Skulptur. Neben den Gemälden, die im Zen-trum dieser Ausstellung stehen, ist auch eine spezielle Auswahl keramischer Skulpturen zu sehen, die in der Raku-Brenntechnik gefertigt wurden. So sind Silverbacks und Rift ebenfalls durch Wiederholungen geprägt, jedoch wohnt ihnen eine andere Qualität inne, bedingt durch die Körperhaftigkeit der skulptu-ralen Elemente. Dabei ermöglicht die simultane Wahrnehmung des Volumens und der bildhaften Ober-flächenbehandlung die vierdimensionale Anschauung des „Bildkörpers“. Diese keramischen Raku-Werke sind während Lees Gastprofessur am Institut für Künstlerische Keramik und Glas, FH Koblenz entstan-den. Das skulpturale Werk Lees greift die Spannung auf, die in der Simultaneität von Gleichheit und Verschiedenheit, Einheitlichkeit und Individualität liegt, und lässt die übergeordnete Struktur mit den vielfältigen Varianten der einzelnen Komponenten in ein dynamisches Wechselspiel treten. Wie bei den Gemälden ist hier die Reihung als regelmäßiges Nebeneinander formal verwandter Einheiten das gestal-terische Prinzip. Das Konzept der reinen Abstraktion ist zentral für Catherine Lees schöpferischen Prozess und speist sich aus ihren Eindrücken von der Landschaft ihrer Herkunft: „Where I grew up, the landscape was just no-thing, it was flat, and there was nothing to stop the wind from blowing through an empty landscape. I’m working from that all the time, a really reduced perspective, a sense of vastness, of space.“ (Lee) Lees künstlerische Vorgehensweise beruht nicht auf der Abstraktion von vorgefundenen Formen aus der Natur als reduzierte, immer noch dem Abbild verhaftete Auffassung, sondern steht vielmehr in Verbindung mit ihrer Idee von Spiritualität. Nicht der Gegenstand, sondern das Geistige als Ursprung jeder Formwerdung bildet den Ausgangspunkt ihrer Schöpfung: „making something out of nothing“. Catherine Lee lebt und arbeitet in New York und Texas. Ihre Arbeiten sind in zahlreichen namhaften Sammlungen in den USA und Europa vertreten: The San Francisco Museum of Art, The Museum of Fine Arts, Houston, The Museum of Modern Art in New York und Tate Gallery in London. Über Ausstellun-gen im Lenbachhaus (München, 1992), im Irish Museum of Modern Art (Dublin, 2005), sowie im Musée d’Art Moderne La Terrasse (Saint Etienne, 2006) und im Hôtel des Arts (Toulon, 2006) ist der Künstlerin eine breite öffentliche Aufmerksamkeit zuteil geworden. Neben Lehrtätigkeiten an der Universität von Texas San Antonio (1983, 2000) und der Columbia Universität New York (1986-87) hatte sie 2011 einen Gastlehrauftrag am IKKG Institut für Künstlerische Keramik und Glas, FH Koblenz (Höhr-Grenzhausen).
Ort: Galerie Karsten Greve bis: 2014-05-31
Künstler: Claire Morgan
Thema: Die Galerie Karsten Greve widmet der 1980 in Belfast geborenen Künstlerin Claire Morgan mit „The Slow Fire“ die zweite Einzelausstellung in Köln. Die aktuelle Präsentation umfasst raumgreifende Installationen -teils frei schwebend, teils in Vitrinen-, sowie begleitende Zeichnungen und Studien. In ihren Werken inszeniert Claire Morgan dramatische Interaktionen zwischen Tier und Natur. Dabei gebraucht sie einen Naturbegriff, der von ihrem ausgeprägten Umweltbewusstsein durchdrungen ist und den schonungslosen Umgang des Menschen mit den Ressourcen des Planeten beinhaltet. Ich untersuche Situationen, in denen die Natur auf Herausforderungen reagiert, die durch uns und unsere Nebenprodukte verursacht werden. (Morgan) Protagonisten von Morgans Szenarien sind von ihr fachkundig präparierte Tiere, die –auch stellvertretend für den Menschen– in der Gegenüberstellung mit ihrer Umgebung die Wechselbeziehung zwischen Lebewesen und Habitat als äußerst fragiles System veranschaulichen. So steht in Bound (2014) eine Rabenkrähe vor einer großen Kugel, die wie eine überdimensionierte Blume von zart durchscheinender, vielfarbiger Qualität erscheint. Jedoch sind deren „Blütenblätter“ bunte Fetzen aus Polyurethanfolie, so dass die Blume letztlich eine Verwertung von Plastikmüll ist. Claire Morgan verleiht dieser Begegnung eine schicksalhafte Konnotation, die der Titel „bound“ (=festgebunden, gefesselt) verstärkt und die Beziehung zwischen Mensch bzw. Tier und Umwelt symbolisiert. Jedoch bildet Morgan keineswegs Schreckensvisionen ab, sondern stellt vielmehr Szenarien stiller Schönheit dar, welche die Wiederherstellung harmonischer Einheit zwischen Natur und Kultur, Tier und Umwelt zu verkörpern scheinen. In ihren ausgewogenen, ätherisch wirkenden Installationen und Szenarien umgibt Morgan die Tierpräparate mit mathematisch genau berechneten Polygonen und Kugeln, sowie architektonisch anmutenden, symmetrischen Einheiten. Es sind hauchzarte Gespinste, die allesamt aus lichtdurchlässigen und schwerelosen Materialien wie Pusteblumensamen, Fruchtfliegen oder zerrissener Kunststofffolie gefertigt und auf feine Nylonfäden gezogen werden. Diese überempfindlichen Konstruktionen sind von Morgan meist wie schwebende Käfige oder Sphären angelegt, welche die Tiere oft wie in einem märchenhaften Dornröschenschlaf sanft umfangen. Die hochästhetischen Arrangements von Morgan veranschaulichen sowohl das Konfliktpotenzial, das in der Auseinandersetzung mit einer nunmehr künstlich geprägten Umwelt gegeben ist, als auch die Möglichkeit der gleichberechtigten Koexistenz von Natur und Kultur. Zugleich schließt Morgans Naturbegriff den natürlichen Kreislauf zwischen Leben und Tod, Werden und Vergehen ein. So können vor dem Hintergrund der ausgeprägten Sensibilität der Künstlerin für ökologische Phänomene und des von ihr gewählten Ausstellungstitels The Slow Fire ihre Werke als zeitgenössische Vanitas Darstellungen aufgefasst werden. Mit slow fire beschreibt der US-amerikanische, 2008 verstorbene Schriftsteller David Foster Wallace in seinem jüngsten, posthum veröffentlichten Roman The Pale King die Vorstellung, dass alles eitel und nichtig sei, die Claire Morgan aufgreift: …dass wir nichts sind, dass unsere einzige Sicherheit als Individuen eine unbestimmbare Lebensdauer und der anschließende Tod ist. (Morgan) In Hangover (2014) sitzt ein täuschend lebensechter Rotfuchs stolz aufrecht, der glänzende buschige Schweif elegant um den Körper gelegt. Über dem prächtigen Tier hängt ein tiefschwarzer Kasten, einem drohenden Unheil gleich, der sich bei näherer Betrachtung als dichte Ansammlung unzähliger Schmeißfliegen herausstellt. Die Doppeldeutigkeit des Titels „Hangover“, dessen herkömmliche Bedeutung „Kater“ die unvermeidliche Ernüchterung nach dem Rausch bezeichnet und im Wortlaut „hang over“ „darüber hängen“ meint, lässt sich auf eine metaphorische Ebene übertragen: die unumgängliche Konfrontation mit dem Tod. Jedoch bleibt die unmittelbare Aktion aus, stattdessen verharren beide Positionen im Stillstand, die spannungsvolle Gegenüberstellung weicht einem stimmungsvollen Gleichgewicht, in dem die Zeit angehalten zu sein scheint. Die Gegensätze Natur-Kultur, Leben-Tod, Leib-Seele sind in Einklang gebracht und vermitteln eine ganzheitliche Auffassung des Daseins zwischen irdischer Existenz und Transzendenz. Morgans Werke erweisen sich allesamt als kontemplative Kompositionen, in denen die Bewegung der Lebewesen angehalten wird um eine spirituelle, geistige Dimension jenseits der unmittelbar erfahrbaren Materialität zu eröffnen. Claire Morgan erhielt 2004 den Annual Bursary Award der Royal British Society of Sculptures, den Roy Noakes Award der Royal British Society sowie 2006 den Premio Fondazione Arnaldo Pomodoro der Fondazione Pomodoro in Mailand. Neben ihrer Beteiligung an zahlreichen internationalen Gruppenausstellungen, u.a. 2009 im Palais de Tokyo, Paris und 2010 im Museum of Arts and Design, New York, ist Claire Morgan eine Vielzahl internationaler Einzelausstellungen gewidmet, u.a. in Belfast, London und Paris. 2014 -15 findet eine umfassende Präsentation ihrer Werke im Osthaus Museum, Hagen, sowie im Stadtmuseum Jena statt. Für weitere Information kontaktieren Sie bitte die Galerie: info@galerie-karsten-greve.de
Ort: Galerie Karsten Greve bis: 2014-03-27
Künstler: diverse, u.a. Norbert Prangenberg, Leiko Ikemura, Robert Polidori, Georgia Russell
Thema: Die Galerie Karsten Greve freut sich, die Ausstellung KÜNSTLERRÄUME anzukündigen, deren Bespielung nicht konstant bleibt, sondern innerhalb der Laufzeit kontinuierlich verändert wird. Statt also eine endgültige Ausstellungssituation zu schaffen, ergibt dieses dynamische Konzept der sukzessiven Entstehung temporäre und räumliche Ausstellungs-Einheiten. Die Aufteilung der Galerie in Bereiche, die den Werken einzelner Künstler in einem bestimmten Zeitraum vorbehalten sind, führt zu verschiedenartigen Künstler-Räumen, deren Zusammenspiel wechselvolle, spannungsreiche Gegenüberstellungen ermöglicht. Dabei wird die singuläre Wirkkraft der einzelnen Werke hervorgehoben und zugleich die vergleichende Betrachtung angeregt, Kontraste und Korrespondenzen aufzuspüren. Durch die Vielfalt der gleichzeitig vertretenen künstlerischen Positionen gestaltet sich der jeweilige Parcours abwechslungsreich, wobei neben den wandgebundenen Gemälden und Fotografien vor allem skulpturale Werke mit ihrer raumgreifenden Präsenz die Ausstellungsfläche strukturieren. Im resultierenden interaktiven Spannungsfeld eröffnen sich überraschende Begehungsmöglichkeiten und außergewöhnliche Blickachsen, die dem Besucher eine lebendige Zusammenstellung künstlerischer Positionen vor Augen führen. Für die erste Version der Künstlerräume sind Robert Polidori, Georgia Russell, Leiko Ikemura und Norbert Prangenberg vorgesehen, sowie ein Raum, der den chinesischen Künstlern Ding Yi, Shen Fan und Ma Jun gewidmet ist.
Ort: Galerie Karsten Greve bis: 2014-01-11
Künstler: Georgia Russell
Thema: „Cutting out is a sort of freedom of expression. For me it’s drawing, but I draw with a scalpel.” Georgia Russell arbeitet mit chirurgischer Genauigkeit, das klinische Skalpell zweckentfremdet zum künstlerischen Werkzeug. In filigranen Gesten schneidet sie ihre skulpturalen Papierarbeiten aus Notenblättern, Grafiken, Zeitungen oder Fotos, manchmal auch aus ganzen Büchern und transformiert Althergebrachtes zu fantastischen Kunstobjekten. Die Galerie Karsten Greve widmet ihr erstmalig in Deutschland eine umfassende Einzelausstellung. Ausgehend von der Arbeit mit der Collage beginnt Georgia Russell um die Jahrtausendwende mit dem Zerschneiden von Büchern. Die Idee dazu gründet in einem Studienaufenthalt der Künstlerin in Paris, wo sie beim Anblick gebrauchter Lektüren, die wie tot und ungeliebt in den Regalen verstaubten, beschließt ihnen neues Leben einzuhauchen. Bereits das „unbearbeitete“ Buch ist für Georgia Russell wie ein skulpturales Objekt, das sinnbildlich die zahllosen Hände, die es einst gehalten haben, widerspiegelt und die unzähligen mit ihm verbundenen Gedanken zurückwirft. Die Dinge, die sie bearbeitet, die Bücher, die alten Fotografien oder Grafiken, findet sie auf Flohmärkten oder in Antiquitätenläden – es sind die Dinge, die einst ausgemustert wurden und die somit Bezug nehmen auf eine persönliche Anekdote, deren Geheimnisse zwar nicht preisgegeben werden, jedoch deren Informationen längst vergangener Zeiten greifbar machen. Einzelne Teile lässt die Künstlerin zuweilen unberührt, wie etwa den Buchrücken oder das Titelblatt und macht ihre Objekte auf diese Weise zu Verbindungsstücken zwischen Vergangenheit und Gegenwart und gibt ihnen mit der Transformation ein neues Leben und eine neue Bedeutung. Ambivalent mag der schmale Grat zwischen Verlust und Erhaltung ihrer Objekte sein, so wie die „destruktive“ Arbeit mit dem Skalpell die Materie zu verletzen scheint, sie sich zu Eigen macht und die Zerbrechlichkeit offen legt. Für die Künstlerin aber bedeutet das Schneiden nicht Zerstörung der Form, sondern vielmehr die Befreiung einer ganz neuen skulpturalen Materie, einer verborgenen Anatomie der Objekte, die sie mit ihrer Arbeit sichtbar machen will. Mit scheinbar schnellen und impulsiven Schnitten werden die Arbeiten energetisch aufgeladen und entbehren zunächst jeglicher Figuration. Tatsächlich aber zeigt sich dem Betrachter das Ergebnis einer nahezu meditativen Arbeit, die durch einen bedachten Rhythmus geprägt wird und im Stil von Jackson Pollock und dessen iterativer Technik ein einzigartiges Geflecht in einer taktilen Oberfläche entstehen lässt. Georgia Russell wurde 1974 in Elgin, Schottland geboren. Ab 1991 besuchte sie Kurse zu Kunst und Design am Aberdeen College in Schottland und studierte bis 1997 an der Universität zu Aberdeen Bildende Kunst. Im Jahr 2000 schloss sie ihre Studien am Royal College of Art in London mit einem Master in künstlerischen Drucktechniken ab. Zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen in international renommierten Institutionen zeigen die Anerkennung, die der jungen Künstlerin zuteil wird, so beispielsweise die Ausstellung „Slash: Paper under the Knife“ im Museum of Art&Design, New York oder „The Book Borrowers: Contemporary Artists transforming the Book“ im Bellevue Arts Museum in Washington. Ebenso finden sich Arbeiten in bedeutenden privaten sowie öffentlichen Sammlungen, beispielsweise im Victoria and Albert Museum, London und im Centre Georges Pompidou, Paris. Georgia Russell lebt und arbeitet in Paris.
Ort: Galerie Karsten Greve bis: 2013-11-02
Künstler: Leiko Ikemura
Thema: In sich versunkene anonyme Figuren, schemenhafte weibliche Wesen und kosmische Landschaften, die in einen unendlichen Raum führen – seit Mitte der 1990er Jahre hat sich das Werk Leiko Ikemuras zu einem unverwechselbaren und homogenen Oeuvre verdichtet. Die Galerie Karsten Greve widmet ihr im Rahmen der DC Open eine umfassende Einzelausstellung und zeigt aktuelle Arbeiten der Künstlerin. In Japan geboren und aufgewachsen, entschloss sich Leiko Ikemura als junge Studentin, in Europa zu leben, zunächst in Spanien, dann in der Schweiz, schließlich in Deutschland. Oft wird in ihrer Kunst als bestimmendes Moment die Begegnung zweier Kulturen charakterisiert: sie verarbeitet die westliche Kunstgeschichte, die Themen und Formensprache aber lassen den Betrachter ebenso in die japanische Tradition eintauchen, in der die Asymmetrie, das Unvollständige und das Uneindeutige verehrt werden. „Die Imagination ist die stärkste Kraft in meiner Kunst“, so die Künstlerin, und es ist eben dieses Spiel, mit der Phantasie etwas zu vollenden und so in einen Dialog zu treten mit der an Grenzen, Eindeutigkeiten und an Symmetrie orientierten westlichen Tradition. Ikemuras Kunst ist der Versuch, sich der rationalen Kontrolle zu entziehen und in die Unmittelbarkeit eines sinnlich-emotionalen Erlebens einzutauchen. Der Betrachter scheint sich in einer Art Zwischenwelt wieder zu finden, in Horizontlandschaften mit optisch entgrenzten Bildräumen oder in kosmischen Landschaften, deren Formen anthropomorph interpretiert werden - menschliche Wesen, die sich zu Tieren ausformen oder Bäume und Felsen, die sich zu menschlichen Gesichtern wandeln. Die Übergänge sind stets fließend - in Malerei oder Skulptur, in Landschaft oder Menschenbild. Leiko Ikemura verzichtet konstant auf die Individualisierung des Dargestellten und bildet ihre Figurationen aus intuitiver Körperlichkeit. Während sich die Landschaftsbilder auf diese Weise als Raum voller Möglichkeiten offenbaren, scheint es umso widersprüchlicher, dass die Künstlerin ein besonderes Interesse an der Darstellung des unmittelbaren Gesichts entwickelt hat. Doch auch ihre Aquarellporträts reihen sich in jene genuine Unkörperlichkeit und zeigen genauso viel, wie sie verbergen. In unkontrolliert verlaufenden Malschichten verselbstständigt sich das Porträt und verweigert sich der getreuen Abbildfunktion hin zu „Gesichtslandschaften“, die sich ebenso der Thematik ihrer Kunst verschreiben: die Überwindung des Subjekt-Objekt-Dualismus. Leiko Ikemura wurde in Tsu/Japan geboren. Sie absolvierte ein Studium der Bildhauerei in Osaka, Sevilla und Granada. Von 1979 bis 1983 lebte sie in der Schweiz, ab 1985 in Köln. 1983 trat Ikemura erstmals mit einer Einzelausstellung im Bonner Kunstverein in die Öffentlichkeit, der zahlreiche Ausstellungen in international renommierten Häusern folgen sollten: „Beyond the horizon“ im Toyota Municipal Museum of Art / Toyota (2000), „Sculpture Painting Drawing“ in der Kunsthalle Recklinghausen (2004-2005), „Zwischenräume: Leiko Ikemura und Günther Förg“ in der Langen Foundation / Neuss (2007), „Leiko Ikemura. Transfiguration“ im National Museum of Modern Art, Tokyo (2011), „Leiko Ikemura: Mare e Monti“ im Kolumba Museum Köln (2012), „Leiko Ikemura: Korekara oder die Heiterkeit des fragilen Seins“ im Museum für Asiatische Kunst, Berlin (2012) sowie „Leiko Ikemura: i-migration“ in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe (2013). Leiko Ikemura lebt und arbeitet in Köln und Berlin, wo man sie 1991 als Professorin für Malerei an die Hochschule der Künste (heute Universität der Künste) berief. 2009 wurde ihr Werk mit dem August Macke Preis ausgezeichnet.
Ort: Galerie Karsten Greve bis: 2013-08-03
Künstler: Fausto Melotti
Thema: Fausto Melotti gilt als Pionier der geometrischen Abstraktion in Italien. Sein künstlerischer Ruf gründet auf jenen geometrisch-abstrakten und zugleich figürlich-poetischen Gebilden, welche imposant die zwei formenden Disziplinen seines Schaffens aufzeigen: die Musik und die Ingenieurskunst. Daneben hinterließ er ein umfangreiches zeichnerisches Werk sowie keramische Arbeiten und seine Teatrini, welche sich durch ihre unverwechselbare Handschrift mit jenen phantasievollen Drahtskulpturen zu einem überraschend in sich geschlossenem Gesamtwerk verbinden. Die Galerie Karsten Greve widmet Fausto Melotti als Vorreiter einer absoluten Kunst erneut eine umfassende Einzelausstellung. Mit Leichtigkeit balanciert Melotti zwischen Stilen und Bewegungen, Gattungen und sogar Disziplinen, ohne dass sein Werk je von einer bildnerischen Formensprache vereinnahmt würde. Kennzeichnend steht die unentwegte Suche nach neuen Materialien und Gestaltungsmöglichkeiten. Stein, Bronze, Gips, Ton und Terrakotta, Messing, Stahl oder Kupfer, darunter auch gefundene Materialien – scheinbar spielend arrangiert er seine Kunst zu geheimnisvoll fabulierenden Objekten, die in ihrer Konstruktion durch Zahlen, Maße, Proportionen und rationale Mechanik kontrastiert werden. Ähnlich wie sein Zeitgenosse und langjähriger Freund Lucio Fontana sucht auch Melotti früh die substanzielle Darstellung der Dinge frei von allen Nebensächlichkeiten und zeigt in seinen Arbeiten das Streben nach einer Einfachheit im Ausdruck und in der Behandlung und der Auswahl des Materials auf. Inspiriert durch seinen Anschluss an den Kreis der rationalistischen Abstrakten um die Galleria del Milione in Mailand ab 1933-34 nähert er sich seiner künstlerischen Vorstellung: streng geometrische Konstruktionen im Sinne der platonischen Ideenlehre. Als Leitgedanke steht die Modulation, denn diese, so Melotti, „kommt von Modul = Regel = Ordnung.“ Jene Arbeiten werden vereinheitlicht als Skulptur mit einer Nummer betitelt und reminiszieren der Musik, Mathematik, Bildhauerei und schließlich der Architektur. Stilistisch blickt diese revolutionäre Formenvereinfachung früh auf den Minimalismus der 1960er Jahre. Als Quelle seiner Arbeit dient Melotti stets die eigene Zeichnung, die ebenso sämtliche Medien und Möglichkeiten auslotet. Tausende Bleistift- und Federzeichnungen, Pastelle und Aquarelle bezeugen die sakrale Bedeutung als Vermittler von Gedanke und Hand und kommunizieren auf diese Weise mit den verschiedenen Gattungen: zunächst die keramischen Vasen, die freien Figurinen aus Terrakotta und die in deren Weiterentwicklung als miniaturhafte Reliefs mit Figuren und Objekten entstandenen Teatrini. In der meisterlichen Verschmelzung von höchsten künstlerischen Ansprüchen und traditionellen kunsthandwerklichen Formentypen zeigt Melotti jenes gerade in Italien tief ausgeprägte Gespür für die alten keramischen Techniken auf. Zu nennen sind hier ebenso die über 500 bassorilievi aus Gips oder Terrakotta, die parallel als eigenständige, in sich geschlossene Werkgruppe entstehen und die weniger Flachreliefs als skulpturale, auch collagierte und bemalte Wandobjekte darstellen. Kontrastiert wird diese Dichte und Schwere jener traditionellen Materialien ab den 1950er Jahren mit einer neuen skulpturalen Werkreihe, die an die Geometrien der 1930er anknüpft: Inspiriert von Calder und Giacometti führt Melotti seine Arbeiten in konstruktivistischer Klarheit und poetischer Erzählkraft zu filigraner Leichtigkeit und räumlicher Transparenz. Die grazilen, kunstvoll strukturierten Gebilde aus dünnem Draht in Löttechnik zeigen sich als dreidimensionale Zeichnungen im Raum, als fein verästelte Konstruktionen, in die Melotti oft bemalte Textilien, bunte Stoffbänder, Metall-Gespinste oder kleine figurative Plastiken integriert. Sein Ausspruch "Mein Tun ist ein Spiel und wenn es gelingt, ist es Poesie" steht bezeichnend für die gewichtslos wirkenden Skulpturen, die sich zwischen konstruiertem Minimalismus und geheimnisvoll sprechenden Bild-Metaphern verorten. Unbeeinflusst von äußeren Strömungen, welche die internationale Kunst seit den 1960er Jahren in schnellem Wechsel hervorgebracht hat, schafft Melotti sein unverwechselbares Spätwerk, deren Spannung sich über stete Gegenpole erzeugt: Figuration und Abstraktion, Phantasie und Ratio, Poesie und Realität, Leichtigkeit und Melancholie werden vereint zu einem weit ausgreifenden Werk der italienischen Moderne. Fausto Melotti wurde 1901 in Rovereto bei Trient geboren. Seine Arbeiten fanden erst spät, Ende der sechziger Jahre weitläufige Beachtung und werden seitdem in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen, vor allem in Italien, geehrt. Eine erste große Retrospektive im deutschsprachigen Raum wurde im Jahr 2000 vom Institut Mathildenhöhe, Darmstadt und dem Wilhelm Lehmbruck Museum, Duisburg realisiert. 2010 widmete ihm die Kunsthalle Mannheim eine umfassende Werkschau, die im Folgejahr im Kunstmuseum Winterthur gezeigt wurde. Fausto Melotti verstarb 1986 in Mailand.