Ort: PARROTTA CONTEMPORARY ART bis: 2023-08-18
Künstler: SONJA ALHÄUSER, MIRJAM BAKER, BENJAMIN BADOCK, ANDREA BÜTTNER, FREDA HEYDEN, DETLEF ORLOPP, ANKICA MARJANOVIC, GABRIELE UND HELMUT NOTHHELFER, TIMM RAUTERT, CLARE STRAND
Thema: Die diesjährige Sommerausstellung der Galerie Parrotta widmet sich in einer Gruppenausstellung mit elf beteiligten Künstlerinnen und Künstlern in Köln und Bonn dem Thema des Festes. In Köln sind die Fotografien von Katarzyna Kozyra, Timm Rautert, Gabriele und Helmut Nothhelfer und Clare Strand zu sehen. Kozyras Fotografien gehen zurück auf ihre Performance „Fressen“ am Teatr Powszechny in Warschau, die sich wiederum auf die Landshuter Hochzeit von 1475 bezieht, die als das größte Fest des Mittelalters gilt. Das Künstlerpaar Gabriele und Helmut Nothhelfer fotografiert seit den frühen siebziger Jahren Menschen auf öffentlichen Konzerten, Kundgebungen oder Festen und Timm Rautert hielt 1978 das Einstandsessen „Hommage à Karl Marx – Galadiner für berühmte Namensträger“ von und für Professor Daniel Spoerri fest. Auf Burg Lede in Bonn weitet sich der Blick auch medial und bezieht den Garten mit einem Jahrmarktstand der Fotografin Clare Strand und die Küche mit einem Bankett von Sonja Alhäuser mit ein. Das Fest unterbricht die Routine der Alltagswelt durch den Einbruch einer ganz anderen Wahrheit, wie es Mikhail Bakhtin am Beispiel des Karnevals gezeigt hat. Das Fest ist eine Institution, die Ungleichzeitigkeit und Andersheit ermöglicht und dabei festen Spielregeln folgt. Die These vom Verfall echter Festlichkeit wird am radikalsten von den Festtheoretikern des sogenannten Collège de Sociologie vertreten, die das Fest als alle Regeln verwerfende „kollektive Ekstase“ definieren. Demgegenüber hat insbesondere Roger Caillois in seinem L`Homme et le Sacré die Festveranstaltungen der modernen Massengesellschaft als reine Manipulation und Perversion verurteilt. Die Videoarbeit „Little Sisters. Luna Park Ostia “ von Andrea Büttner erlaubt durch die Darstellung zweier Ordensschwestern, die auf einem Jahrmarkt bei Rom eine Entenangel-Bude betreiben, einen ganz neuen Blick auf das sogenannte Spektakel und stellen mit ihrem Konzept der „Littleness“ etablierte Wertvorstellungen in Frage. Als Urform des Festes hat das gemeinsame Mahl (Kommunion) einen besonderen Stellenwert auch in dieser Ausstellung. Sonja Alhäuser, die sich in ihren Werken mit Sinnlichkeit, Verführung und barocker Opulenz beschäftigt, arbeitet mit Genussmitteln wie Butter, Marzipan oder Schokolade aus welchen sie Skulpturen formt. In einem eigens für die Burg Lede konzipierten Bankett, inszenierten sie die Überfülle von Festmahlen und hält in vielfigurigen Essens- und Rezeptzeichnungen die Vergänglichkeit der Genusswelt und den metabolischen Kreislauf bis in die tiefsten Eingeweide mit Leichtigkeit und Witz fest. Wie die Ästhetik des Feierlichen, Gehobenen, der angemessenen Form und des „leichten“ Lachens einem Set festlicher Codes folgt, so ist die Karnevalisierung dieser Codes ein besonders ergiebiges künstlerisches Feld. Das Schwanken des Festes zwischen Anspruch und unzureichender Form, zwischen Albernheit und Pathos, zwischen Unter- und Überfüllung schafft einen diffusen und beunruhigenden Effekt des Peinlichen, der den Genuss unterbricht und die Erwartung des Skandals nährt oder einen unausweichlichen Sog der Melancholie in Gang setzt. // Musik von der Künstlerin und DJ Maria Wildeis am Abend des 06.05.23.
Ort: PARROTTA CONTEMPORARY ART bis: 2023-07-21
Künstler: SONJA ALHÄUSER, MIRJAM BAKER, BENJAMIN BADOCK, ANDREA BÜTTNER, FREDA HEYDEN, DETLEF ORLOPP, ANKICA MARJANOVIC, GABRIELE UND HELMUT NOTHHELFER, TIMM RAUTERT, CLARE STRAND
Thema: Die diesjährige Sommerausstellung der Galerie Parrotta widmet sich in einer Gruppenausstellung mit elf beteiligten Künstlerinnen und Künstlern in Köln und Bonn dem Thema des Festes. In Köln sind die Fotografien von Katarzyna Kozyra, Timm Rautert, Gabriele und Helmut Nothhelfer und Clare Strand zu sehen. Kozyras Fotografien gehen zurück auf ihre Performance „Fressen“ am Teatr Powszechny in Warschau, die sich wiederum auf die Landshuter Hochzeit von 1475 bezieht, die als das größte Fest des Mittelalters gilt. Das Künstlerpaar Gabriele und Helmut Nothhelfer fotografiert seit den frühen siebziger Jahren Menschen auf öffentlichen Konzerten, Kundgebungen oder Festen und Timm Rautert hielt 1978 das Einstandsessen „Hommage à Karl Marx – Galadiner für berühmte Namensträger“ von und für Professor Daniel Spoerri fest. Auf Burg Lede in Bonn weitet sich der Blick auch medial und bezieht den Garten mit einem Jahrmarktstand der Fotografin Clare Strand und die Küche mit einem Bankett von Sonja Alhäuser mit ein. Das Fest unterbricht die Routine der Alltagswelt durch den Einbruch einer ganz anderen Wahrheit, wie es Mikhail Bakhtin am Beispiel des Karnevals gezeigt hat. Das Fest ist eine Institution, die Ungleichzeitigkeit und Andersheit ermöglicht und dabei festen Spielregeln folgt. Die These vom Verfall echter Festlichkeit wird am radikalsten von den Festtheoretikern des sogenannten Collège de Sociologie vertreten, die das Fest als alle Regeln verwerfende „kollektive Ekstase“ definieren. Demgegenüber hat insbesondere Roger Caillois in seinem L`Homme et le Sacré die Festveranstaltungen der modernen Massengesellschaft als reine Manipulation und Perversion verurteilt. Die Videoarbeit „Little Sisters. Luna Park Ostia “ von Andrea Büttner erlaubt durch die Darstellung zweier Ordensschwestern, die auf einem Jahrmarkt bei Rom eine Entenangel-Bude betreiben, einen ganz neuen Blick auf das sogenannte Spektakel und stellen mit ihrem Konzept der „Littleness“ etablierte Wertvorstellungen in Frage. Als Urform des Festes hat das gemeinsame Mahl (Kommunion) einen besonderen Stellenwert auch in dieser Ausstellung. Sonja Alhäuser, die sich in ihren Werken mit Sinnlichkeit, Verführung und barocker Opulenz beschäftigt, arbeitet mit Genussmitteln wie Butter, Marzipan oder Schokolade aus welchen sie Skulpturen formt. In einem eigens für die Burg Lede konzipierten Bankett, inszenierten sie die Überfülle von Festmahlen und hält in vielfigurigen Essens- und Rezeptzeichnungen die Vergänglichkeit der Genusswelt und den metabolischen Kreislauf bis in die tiefsten Eingeweide mit Leichtigkeit und Witz fest. Wie die Ästhetik des Feierlichen, Gehobenen, der angemessenen Form und des „leichten“ Lachens einem Set festlicher Codes folgt, so ist die Karnevalisierung dieser Codes ein besonders ergiebiges künstlerisches Feld. Das Schwanken des Festes zwischen Anspruch und unzureichender Form, zwischen Albernheit und Pathos, zwischen Unter- und Überfüllung schafft einen diffusen und beunruhigenden Effekt des Peinlichen, der den Genuss unterbricht und die Erwartung des Skandals nährt oder einen unausweichlichen Sog der Melancholie in Gang setzt.
Ort: PARROTTA CONTEMPORARY ART bis: 2021-10-29
Künstler: Timm Rautert
Thema: Timm Rautert wird aus Anlass seines achtzigsten Geburtstages eine Ausstellung mit Arbeiten, die ihn in den vergangenen Jahren beschäftigt haben, auf Burg Lede in Bonn kuratieren. Konfrontieren wird er eigene Arbeiten mit Werken aus seiner Sammlung, um so vielleicht den Blick von den Lebewesen und Dingen umzulenken und auf die Bilder selbst zu richten. Nach dem Erfolg seiner großen Retrospektive, Timm Rautert und die Leben der Fotografie, im Museum Folkwang, Essen, entfaltet sich nun in drei unterschiedlichen Räumen sein sehr persönlicher Kosmos.
Ort: PARROTTA CONTEMPORARY ART bis: 2021-10-28
Künstler: Margret Hoppe
Thema: » … In den 80er Jahren der ehemaligen DDR geboren, bin ich in einem geschlossenen und diktatorischen System in einer Familie aufgewachsen, die durch den Berliner Mauerbau Trennung und Verluste erlebt hat. Heute finde ich in den Relikten der militärischen Vergangenheit in Südfrankreich einen Bezug zu meiner eigenen Geschichte. Im Rahmen des Residenzprogrammes von Le Garage Photographie und dem Goethe-Institut bewege ich mich auf den Spuren der Geschichte, der architektonischen Überreste, die sich wie getarnt – fast bis zur Unsichtbarkeit – in die Landschaft integrieren. Die künstlichen Befestigungsanlagen werden Teil der lokalen Landschaft und sind sich selbst überlassen. Zugleich habe ich mich mit der Geschichte Marseilles als Exilstadt intensiv beschäftigt, um den Erlebnissen jener nachzuspüren, die Europa in Richtung Amerika mit dem Schiff verlassen wollten …« Margret Hoppe
Ort: PARROTTA CONTEMPORARY ART bis: 2020-10-04
Künstler: Bernhard Johannes Blume, Joseph Beuys, Björn Braun, Ian Hamilton Finlay, Pawel Freisler, Robert Haiss, Sr. M. Pietra Löbl, Antonia Lotz, Derek Jarman, Howard Sooley, Antje Majewski, Pieter Laurens Mol, Gabriela Oberkofler, Gabriel Rossell-Santillán, Ursula Schulz-Dornburg, Katrin Vellrath, Lois Weinberger, Georg Winter, Susanne M. Winterling
Thema: POESIE DES GÄRTNERNS. DER GARTEN ALS METAPHER UND KÜNSTLERISCHES WIRKUNGSFELD 26. Juni 2020 – 4. Oktober 2020 PARROTTA CONTEMPORARY ART KÖLN 26. JUNI – 4. OKTOBER 2020 ÖFFNUNGSZEITEN: MI – FR 13 – 18 UHR I SA 11 – 16 Uhr ERÖFFNUNG: FREITAG, 26. JUNI 2020, 18 – 21 UHR PARROTTA CONTEMPORARY ART BONN 27. JUNI – 4. OKTOBER 2020 ÖFFNUNGSZEITEN: FR – SA 14 – 18 UHR ERÖFFNUNG: SAMSTAG, 27. JUNI 2020, 11 – 18 UHR Ausgehend von der Natur als Nährboden für eine aufklärerisch kritische Gesinnung bringt die Ausstellung „Poesie des Gärtnerns. Der Garten als Metapher und künstlerisches Wirkungsfeld“ die konzeptuellen Annäherungen von 19 Künstlerinnen und Künstlern an das Thema des Gärtnerns zur Anschauung. Dabei werden die beiden Standorte der Galerie Parrotta in Köln und Bonn zu ganz unterschiedlichen Wirkungsfeldern. Auf dem weitläufigen Gelände um die Burg Lede mit ihrer historischen Parkanlage, die auf Pläne des Reform-Gartenarchitekten Walter Baron von Engelhardt zurückgeht, finden Pflanzungen und ortsspezifische Interventionen statt, die dem Prinzip des „Säens und Erntens“ verpflichtet sind. Das Spektrum der Medien umfasst neben Fotografie, Malerei, Zeichnung und Skulptur auch Installation, Performance und musikalische Komposition. Auf der Fotografie „Die Erde halten“ des kürzlich verstorbenen Lois Weinberger ist der Rumpf des Künstlers zu sehen, der in seinem Arm und in seiner gegerbten Hand dunkle Erde geradezu liebevoll hält. Pflanzen stehen im Werk Lois Weinbergers im Mittelpunkt seines Diskurses über das Verhältnis zwischen Natur und Gesellschaft. Doch mit seiner „Poetik des Ruderalen“ – von Pflanzen, die in Brachlandschaft wachsen – steht Weinberger der klassischen Gartenkunst diametral gegenüber. Entgegen einer anthropozentrischen Vorstellung einer „ursprünglichen Natur“ und „gegen die Ästhetik des Reinen und Wahren, gegen ordnende Kräfte“, wie er sagt, interessiert Weinberger gerade der herangewehte Wildwuchs. Die elementare Wertschätzung der Erde als reine Potentialität – aus der alles wächst, wuchert und vergeht – teilt der Anti-Gärtner mit dem beispielhaften Gärtner unter den Künstlern – Ian Hamilton Finlay. Der schottische Künstler, Dichter, Philosoph und Gartengestalter schuf ab1965 seinen "Little Sparta" genannten Garten südlich von Edinburgh, um ihn kaum je mehr zu verlassen. Die Abgeschlossenheit des Gartens stellt einen elementaren Aspekt des Gärtnerns dar. Hebt sich der Garten und das Reich des Gärtners doch unweigerlich gegenüber einem entweder als Wildnis oder als Zivilisation gekennzeichneten Außen ab. Dies trifft auch auf Derek Jarmans Garten „Prospect Cottage“ zu, der ebenfalls zur Bastion, zur Kampfansage wird. Im unheilvollen Schatten des Kernkraftwerks von Dungeness gestaltete Derek Jarman zusammen mit Howard Sooley einen unorthodoxen Garten, der von Sooley auch fotografisch dokumentiert wurde. Als Heilung einer Landschaft in feindlicher Umgebung begreift Jarman sein Anliegen, wobei der Überlebenskampf der Pflanzen im charakteristischen unwirtlichen Kies der Küstenregion symbolhaft seine eigene Krankheitserfahrung widerspiegelt. Eine in Rousseaus Sinne herbeigesehnte „Rückkehr“ in ein ungetrübtes Naturidyll muss eine Illusion bleiben, „Fortschritt“ lässt sich nicht rückgängig machen. Vielmehr muss er, als erreichter Zustand der Menschheitsgeschichte und auch in seiner gesellschaftspolitischen Dimension, einbezogen werden in die aktive Auseinandersetzung mit den Konzeptionen von „Garten“ und „Natur“. Antje Majewski und Pawel Freislers „Der Apfel. Eine Einführung. (Immer und immer und immer wieder)“ ist eine komplexe Installation aus Gemälden, Objekten und Filmen über den Apfel als Beispiel für den Verlust an Biodiversität und gleichzeitig ein Aufruf zur Pflanzung. Daran anknüpfend komponierte Katrin Vellrath, die als Kind im Garten der Burg Lede spielte, für den örtlichen Adelheidis-Chor eine Apfelhymne. Die gemeinsam mit Nagetieren entstandenen Skulpturen von Björn Braun sind hochgestapelte, äußerst fragile Säulen etwa aus angenagten Rettichen oder Kartoffeln, die an die Endlose Säule (1937) von Constantin Brancusi denken lassen und damit zugleich auf Transzendentes und Profanes des Gärtnerns verweisen. Die Ausstellung bietet einen Rahmen für die Entfaltung des Gartens zwischen Theorie und Praxis, zwischen entrücktem Ideal und materieller Realität, vor allem aber zwischen Saat und Ernte. In diesem Zeitraum offenbart sich die Poesie des Gärtnerns im Lichte ständiger Veränderung und Ungewissheit. Es muss offen bleiben, ob und wie die Saat aufgeht. Gerade die in Teilen auf das 13. Jahrhundert zurückgehende Anlage von Burg Lede scheint als geschichtsträchtiger Ort besonders geeignet, eine Vielfalt zeitabhängiger Beschreibungen und Betrachtungen von Natur zusammenzuführen und damit Historizität und Aktualität in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen. Neu angestoßene Veränderungsprozesse erscheinen hier stets im Spiegel einer longue durée. Schon die programmatische Schrift des vorgenannten Gartenkünstlers Walter von Engelhardt „Kultur und Natur in der Gartenkunst“ fordert die Aufhebung der Opposition. Die Ausstellung wird großzügig gefördert durch die Stiftung Kunstfonds Bonn. Die Ausstellung endet am 4. Oktober mit einem Erntedankfest und ist begleitet von einem Rahmenprogramm für Kinder und Erwachsene. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.
Ort: PARROTTA CONTEMPORARY ART bis: 2020-01-24
Künstler: JÜRGEN ALTMANN, EDWARD BEIERLE, SCARLET BERNER, KURT BENNING, DIETER BLUM, WOLFGANG GÄFGEN, JUTTA GÖRLICH, DIETMAR HENNEKA, MANFRED KAGE, RENÉ KANZLER, ADOLF LAZI, GUIDO MANGOLD, WILL MCBRIDE, MARCUS NEUFANGER, ULRICH SCHMITT, MENJA STEVENSON
Thema: kuratiert von Christian Gögger Die Fotografie hat sich in den letzten Dekaden gegenüber den anderen Bildgattungen zu einem gleichwertigen künstlerischen Medium entwickelt. Diese dynamische Emanzipation aus dem spezifischen Bildverfahren in eine breitgefächerte Kunstform beeinflusst Produktion und Rezeption gleichermaßen., wobei alle Bereiche der Fotografie Anerkennung findet Vor diesem Hintergrund versammelt die Ausstellung in unseren Standorten Köln und Bonn 17 Positionen aus den unterschiedlichsten Zusammenhängen. Vertreten ist die Fotografie als Dokument, als Werbung, als Kommentar; Fotografie aus und für Politik, Ökonomie und Gesellschaft; Fotografie als Kunst und schließlich Fotografie, die sich selbst reflektiert. Die Digitalisierung hat sowohl die Herstellung des Bildes revolutioniert als auch unsere Wahrnehmung von Fotografie nachhaltig geprägt. So ist die der Fotografie wesentliche Abbildungsfunktion von Wirklichkeit zunehmend in den Hintergrund getreten, während Manipulation und freie Gestaltung zu vorherrschenden bildgebenden Verfahren werden. Alles durch den Fotoapparat Fixierte, durch den Computer Bearbeitete befindet sich im Spektrum zwischen Image und Imagination und liefert reichlich Material für den ästhetischen Diskurs. Nicht nur die Fotografie und ihr Kontext haben sich verändert, sondern auch die Auffassung als eigenständige Kunstform hat sich zunehmend etabliert. Der Betrachter ist für diesen künstlerischen Mehrwert, der durch die Präsentation zusätzlich verstärkt wird, empfänglich, und bereit, sich auf das Versprechen für eine verbindliche Metaerzählung einzulassen. Die Ausstellung Fixiert – From Image to Imagination führt Fotografien aus verschiedenen Bereichen zusammen, um die Bandbreite der Tendenzen im Umgang mit dem fotografischen Medium zu beleuchten: Porträt, Landschaft, Werbung, Street-Photographie, Reportage, Fotogramm, Sachaufnahme, Zeitdokument, Serie, analytische und subjektive Fotografie, aktuelle wie historische Aufnahmen. Die beiden Fotojournalisten Guido Mangold und Will McBride haben in den 1960er-Jahren für das Magazin twen das Selbstverständnis der jungen Bundesrepublik bebildert. Einige ihrer Fotos haben als Inkunabeln ins deutsche kollektive Gedächtnis Eingang gefunden: Willy Brandt neben John F. Kennedy im offenen Wagen; die Porträts von Donna Summer und Uschi Obermaier; die über viel Jahre das Magazin GEO prägenden Landschafts- und Kulturaufzeichnungen. Wenn es „Werbe-Ikonen“ gibt, dann wohl auch „Werbe-Ikonographen“. Die inszenierten Magazinfotos von Dietmar Henneka und Dieter Blum für Mercedes, Porsche, Shell und Marlboro sind legendär. Als jüngeres Pendant gehört hier auch Jürgen Altmann dazu. An das Ortsspezifische seiner Erzählwelten knüpft seine unmittelbare Street-Photography an. Jutta Görlich und Edward Beierle fangen in ihren Fotoperformances Gerüchte und Geschichten aus dem Dorfleben in Straubing ein und spiegeln sie an Toren, Fenstern und Mauern in den Dorfalltag zurück. Scarlet Berner bedient sich der Fotografie als eine Art Selbstvergewisserung eigener Arbeit in anderen Zusammenhängen. Sie nimmt sich die amateurhaft wirkenden Abbildungen aus Carl Einsteins Buch Negerplastik von 1915 zum Vorbild und arrangiert mit Scherenschnitten aus Zeitungspapier eigene Fotos welche die Wiedergabe primitiver Plastik suggerieren neu. Im beinahe Unkenntlichen offenbart sich das Typische. Ulrich Schmitt und René Kanzler hinterfragen das Medium Fotografie systematisch. Schmitt widmet sich mit Akribie der Geschichte der mit der Fotografie verbundenen Chemographie, René Kanzler arbeitet auf der Basis soziologisch-wissenschaftlicher Voraussetzungen für die Bildproduktion und -rezeption. Marcus Neufanger markiert einen Gegenpol zur Lichtbildnerei: er zeichnet! Seine Porträts fixieren internationale Stars der (Foto-)Kunstszene, typisiert in Bild und Wort. Für die junge Fotografin Menja Stevenson ist das Medium Fotografie schon umstandslos ein künstlerisches. Ganz selbstverständlich zeichnet sie in ihren Arbeiten urbane Impressionen Tokios in Farbe und Form auf und überführt sie in diaphane Leuchtkästen. Einer der bedeutendsten Wissenschaftsfotografen hat seine ersten Exponate im Kontext der ZERO-Kunst der 1960er-Jahre vorgestellt. Manfred Kage ist u. a. der Pionier für die polychrome Fotografie durchs Mikroskop und die Sichtbarmachung von Ton und Schall mit psychedelischem Effekt. Für eine moderne, ästhetische Sachfotografie steht die Arbeit von Adolf Lazi, einem Fotopionier, der ab den 1930er-Jahren bildnerische Maßstäbe setzte und sie in seiner Stuttgarter Fotoschule auch lehrte. Hansi Müller-Schorp leitete ab 1980 das Fotostudio von Willi Moegle, ein weiterer bedeutender deutscher Produktfotograf. Bemerkenswert früh entstehen ihre perfekten, kühl poetischen Stillleben, auf der Basis dieser kommerziellen Sachfotografie. Die Künstler Wolfgang Gäfgen und Kurt Benning eint der Umstand, dass die Fotografie nur einen Teil ihrer künstlerischen Arbeit ausmacht. Für ersteren eröffnet das Fotografieren einen obsessive Parallelwelt zum Zeichnen, Malen und Drucken. Ein sehr eigener surrealer Kosmos aus Licht, Schatten und Spiegelung wird darin aufgespannt. Benning dagegen zeichnet auf, dokumentiert, überhöht: im Porträt, auf der Straße, im Erfassen von Objekten. Zuletzt, 2017, ehrte ihn eine große Präsentation im Museum Kolumba in Köln.
Ort: PARROTTA CONTEMPORARY ART bis: 2019-10-18
Künstler: Yann Mingard
Thema: In seinem zwischen 2015 und 2018 entstandenen fotografischen Projekt „Everything is Up in the Air, Thus Our Vertigo“, geht Yann Mingard seinem tief verankerten Interesse einer „fotografischen Diagnostik von Zeitgenossenschaft“ nach. Der in Colombier lebende schweizerische Künstler, der vormals im Gartenbau tätig war, befasst sich mit den vom Menschen auf der Erde hinterlassenen Spuren in ihren sichtbaren und spürbaren Auswirkungen in Natur, Technologie und Gesellschaft. Er lenkt den Blick auf globale Phänomene, die er wie ein Wissenschaftler durch Zusammentragung und Auswertung von Information erforscht. Dabei sammelt er Beobachtungen aus verschiedenen Zeiten, vereint historische Dokumente und aktuelle Bild- und Textquellen in einer Art Bestandsaufnahme der durch menschliche Handlungsmacht bestimmten Welt in einzelnen Szenarien. Ausgehend von geologischen Phänomenen wie Sedimentation und Schichtung verdichtet Mingard das Material in vielschichtigen Zusammenhängen, kombiniert mitunter räumlich und zeitlich weit auseinanderliegende Ereignisse. Das Unterkapitel „Seven Sunsets“ besteht aus der paarweisen Gegenüberstellung von aktuellen Webcam-Bildern des diffusen, smogbelasteten Himmels über chinesischen Metropolen und Bildausschnitten aus feurig glühenden Himmelsdarstellungen von J.M. William Turner. In diesen Diptychen wird unter Verweis auf eine Studie veranschaulicht, dass die mitunter spektakulären und romantischen Farbeffekte des Himmels durch Ruß- und Aschepartikel eines Vulkanausbruchs beeinflusst und damit letztlich auch auf eine Umweltverschmutzung zurückzuführen sind. Sowohl die aktuellen Aufnahmen als auch die historischen Gemälde dienen gleichermaßen als visuelle Beweise, die zur langfristigen Untersuchung des Klimawandels beitragen. „Crested Ice“ behandelt den langfristigen Umgang mit radioaktiven Unfällen und Abfällen auf der Ebene von Wissenschaft und Politik. Als Projekt „Crested Ice“ wurden die Maßnahmen der US-Regierung bezeichnet, die nach dem Absturz eines B-52 Bombers mit einer Ladung Wasserstoffbomben über Grönland im Jahr 1968 ergriffen wurden, um die Ausbreitung radioaktiver Stoffe einzudämmen, die Trümmer zu finden und das verseuchte Material zu entsorgen. Mit dem Einsatz zur Dekontamination gingen Bemühungen einher, den Vorfall zu vertuschen und das Geschehen „unsichtbar” zu machen. In diesem Zusammenhang wird von Wissenschaftlern über ein Warnsystem nachgedacht, welches in einer fernen Zukunft funktionieren soll, in der Sprachen vielleicht obsolet geworden sind und auch die Menschheit längst ausgestorben ist. Als ein wirkmächtiges Symbol, welches über die Reichweite menschlicher Kommunikation hinausgehen und für Bewohner ferner Galaxien verständlich sein könnte, wurde das Gemälde „Der Schrei“ von Edvard Munch erachtet. Im Zentrum der Serien „Great Aletsch Glacier“ und „Pray“ stehen Klimawandel und Veränderungen der Umwelt. Die weitreichenden Folgen von Erderwärmung und Gletscherschmelze auf betroffene Landschaften und Menschen reichen bis in lokale, religiöse Praktiken hinein, die zur Beeinflussung der Gletscherentwicklung Bestand haben. So haben die Einwohner von Fiesch in Schweizer Kanton Wallis seit 1678 in einer jährlich am Gedenktag des Hl. Ignatius stattfindenden religiösen Prozession um den Rückgang des Aletsch-Gletschers gebetet, dessen fortschreitende Bewegung das Dorf bedrohte. Im Angesicht des Klimawandels und der Gletscherrückgänge, wurde 2009 seitens der Gemeinde der päpstliche Segen für die Abänderung des Gelübdes eingeholt, um die Prozession nun mit dem entgegengesetzten Gebet durchzuführen, dessen Ziel nun der Erhalt des Gletschers war. Für die Serie „Ice Core“ fotografierte Yann Mingard Eisbohrkerne. „Diese Arbeit dreht sich um das Zeitalter, in dem der Mensch den größten Einfluss auf die Umwelt hat, und um geologische Untersuchungen zum Klimawandel. Der ungefähr drei Zentimeter große Eisbohrkern, der auf diesem Bild zu sehen ist, ist eine Probe aus einem 8000 Jahre alten Stück Antarktis-Eis, mit der am Institut des Géosciences de l´Environnement in Grenoble geforscht wird. in einem Container bei minus 30 Grad (damit das Eis nicht schmilzt) untersuchen Wissenschaftler unter Mikroskopen die Sauerstoffbläschen und deren unterschiedliche Schichten in Eisbohrkernen. So gewinnen sie Informationen aus der Vergangenheit, aber zugleich sind sie fragil. Wenn wir nicht aufpassen, verschwinden sie einfach im Nichts. Denn die Gletscher schmelzen und mit ihnen all diese kostbaren Daten... Auf eine Art zeigt sich hier, was wir Menschen seit der industriellen Revolution mit unserer Umwelt machen: Wir sind dabei, sie zu „nichts“ zu reduzieren.“ (Yann Mingard) War sein vorheriges Projekt Deposit noch langfristiger und enzyklopädischer angelegt, so ist das aktuelle Projekt in seiner künstlerischen Strategie allegorischer, aber nicht weniger weitreichend und relevant. Anhand der Visualisierung von Spuren, die auf Eingriffe und letztlich auf Störungen der Umwelt verweisen, wird nicht nur die destruktive Kraft des Menschen als Handlungsmacht des Anthropozän veranschaulicht, sondern zugleich der Besucher angehalten, seine Verantwortung als Bürger und Konsument zu reflektieren. In den oft dystopisch anmutenden Arrangements aus Stillleben, Landschaftsbildern und angeeigneten Dokumenten steht nicht nur der Zustand der Welt an sich im Fokus seiner künstlerischen Auseinandersetzung. Mingard reflektiert zugleich auch die mit den globalen Transformationen einhergehende Veränderung der medial konditionierten gesellschaftlichen Gesinnung, der individuellen Wahrnehmung und Geisteshaltung – zwischen Wunderglaube und Politikverdrossenheit. Yann Mingard, geboren 1973, studierte an der École Supérieure des Arts Visuels in Vevey in der Schweiz. Das Fotomuseum Winterthur widmete „Deposit” 2014 eine große museale Einzelausstellung, die anschließend im Folkwang Museum in Essen gezeigt wurde. Das jüngste Projekt „Everything is up in the air, thus our vertigo“ ist derzeit in einer umfassenden Einzelausstellung am Musée de l´Elysée in Lausanne präsentiert. Werke von Yann Mingard befinden sich in zahlreichen internationalen Sammlungen wie Folkwang Museum, Essen (D), Fotomuseum Winterthur (CH), Musée de l’Elysée (CH), FNAC (F), Banque Cantonale Neuchâteloise (CH), Banque Julius Baer, New York (USA) FAP, Fonds d’art Plastiques, Lausanne (CH).
Ort: PARROTTA CONTEMPORARY ART bis: 2019-07-27
Künstler: Benjamin Badock, Anna und Bernhard Johannes Blume, Kilian Breier, Benjamin Bronni, Edmund Clark, Ann-Josephin Dietz, Markus Döhne, Judith Feger, Peter Granser, Robert Haiss, Christian Hellmich, Margret Hoppe, Kristiane Kegelmann, Matthias Köster, Kirsten Lampert, Mizi Lee, Macdonaldstrand, Yann Mingard, Pieter Laurens Mol, Lisa Mühleisen, Laura Müller-Said, Detlef Orlopp, Timm Rautert, Gabriel Rosell-Santillán, Tim Otto Roth, Bettina Scholz, Oliver Sieber, Katja Stuke, Georg Winter, Susanne M. Winterling, Simone Westerwinter, Hendrik De Wit, Marie Zbikowska
Thema: Zum diesjährigen 50. Jubiläum der ersten bemannten Mondlandung zeigt die Galerie Parrotta Contemporary Art in Köln und Bonn die Ausstellung „From the Rocket to the Moon“. Mit der Mission Apollo 11 gelang es den Astronauten Neil Armstrong und Buzz Aldrin am 21. Juli 1969 den Mond zu betreten. Das weltbewegende Ereignis, dessen Live-Übertragung fast 500 bis 600 Millionen Menschen vor den heimischen Fernsehbildschirmen gebannt zusahen, fand Ausdruck in den inzwischen legendären Worten von Armstrong: „Ein kleiner Schritt für den Menschen, aber ein riesiger Sprung für die Menschheit.” Auch markierte es die Kulmination des Wettrüstens der beiden Großmächte des Kalten Kriegs, das sich auf den All ausdehnte. Schon 1957 hatte die Sowjetunion den Satelliten Sputnik in die Erdumlaufbahn befördert und damit den „Wettlauf ins All“ ausgelöst. Als Folge des „Sputnikschocks“ gründeten die USA 1958 die NASA. Drei Jahre später, 1961, schickte die UdSSR den ersten Menschen, Juri Gagarin, in den Weltraum. In den unter „From the Rocket to the Moon“ gezeigten Werken treten vielfältige Aspekte und Assoziationen zutage, die das Thema „Rakete“, „Mond“, und „Weltall“ spielerisch umkreisen und beleuchten. Dabei wird zwischen den Begriffen „Rakete“ und „Mond“ ein breites visuelles Spektrum eröffnet, welches das gesamte Universum – vom elementaren Teilchen bis hin zu den großräumigen Galaxien – erfasst. Einen konkreten physikalischen Bezug zum Weltall stellt die Blitz- und Klangskulptur „Cosmic Mirror“ (2008/2019) her, die Tim Otto Roth in Kollaboration mit dem KIT-Centrum Elementarteilchen- und Astroteilchenphysik (KCETA) realisierte. Ein bis zwei Mal pro Sekunde entladen sich grell die Energien der kosmischen Strahlung, die aus den Tiefen des Universums beständig auf unseren Planeten einwirken, und somit sicht- und hörbar werden. Im Laufe der Menschheitsgeschichte bestimmt die Auseinandersetzung mit der Umgebung Weltbilder und Erklärungsmodelle. Trotz technischem Fortschritt und der jüngsten Weltraumforschung bleibt die Erkundung unbekannter Welten und unendlicher Weiten des Universums ungebrochen faszinierend. In der Ausstellung werden Himmelskörper wie Planeten oder Sterne naturwissenschaftlich zitiert, aber auch in Bezug auf die menschliche Seele sinnbildhaft interpretiert. Insbesondere wird der Einfluss kosmischer Elemente auf das subjektive Empfinden reflektiert, deren zugeschriebene Effekte auf Persönlichkeit und Temperament, Wahrnehmung und Verhalten bisweilen ins Absurde gekehrt. Solche anfälligen Gemütszustände und Sensibilitäten erforscht Pieter Laurens Mol. Selbstironisch über die künstlerische Disposition sinnierend, die bisweilen pathologische Züge annimmt, erkennt er die Auswirkungen des Saturn – in der Renaissance als Stern der Melancholie bekannt – auf das sensible, zu Schwermut neigende Gemüt. Die klare Grenze zwischen Wirklichkeit und Wahnsinn verschiebt sich bei Anna und Bernhard Johannes Blume. Das Chaos dringt in „Küchenkoller“ (1986) in die geordnete, kleinbürgerliche Lebenswelt ein. Kartoffeln werden von unbestimmbaren – übersinnlichen? – Kräften durcheinandergewirbelt oder schweben im schwerelosen Zustand außerhalb der Reichweite der erstaunten Hausfrau. Auch Bei Robert Haiss lösen sich die Dinge aus ihren alltäglichen Bezügen und erscheinen in einem ungewohnten Licht. Ein Paar dunkler Filzpantoffeln, das beiläufig auf einem fahlen hellgrauen, an die Mondoberfläche gemahnenden Grund platziert ist, daneben das angeschnittene Halbrund eines nicht näher definierbaren Objekts... Sofa? Sonde? Satellit? („im Schatten“, 2019) Durch die Verschiebung des Blicks entstehen neue Realitätsebenen. Die fantasievoll verkleideten Protagonisten von Oliver Sieber scheinen aus Parallelwelten hervorzutreten. Sie verkörpern Charaktere aus der Fantasy-Welt des Manga Comics „Sailor Moon“, in der weibliche Kriegerinnen das Sonnensystem vor bösen Mächten verteidigen. Die Identifikation mit diesen fiktiven, mit übernatürlichen Kräften ausgestatteten Figuren entstammt der japanischen Fanpraxis des Cosplays. In ihrer schicksalhaften Deutung galten astronomische Objekte schon immer als Manifestationen des existenziellen Wunschs nach Bestimmung des Ursprungs und der Sehnsucht nach Einbettung in einen übergeordneten metaphysischen Sinnzusammenhang. Das Ei erlangt in seiner mythischen und symbolischen Bedeutung als Urform des Lebens und Fruchtbarkeitssymbol bei Mizi Lee einen zentralen Stellenwert („Das Loch“, 2018). Als Hohlkörper wird es zur Camera Obscura, fotografische Aufnahmen bilden sich auf den Innenwänden der Schale ab. Zugleich erinnert die Kavität an die Unermesslichkeit des sich ausdehnenden Universums oder aber die unentrinnbare Sogwirkung des Schwarzen Lochs. Die philosophisch-religiöse Auffassung der Welt als geordnetes und harmonisches Ganzes, das sich im analogen Verhältnis zwischen Mikro- und Makrokosmos spiegelt, ist z. Bsp. im Werk von Laura Müller-Said („Mikrokosmos I“, 2018) vertreten. Auf den historischen Moment der Mondlandung selbst bezieht sich Timm Rautert mit seiner Arbeit „Lift Off“ (1969). Rautert hält darin das mediale Ereignis vor dem heimischen Fernseher fest und reflektiert damit das elektronische Bild mit dem fotografischen Bild, während Pieter Laurens Mol das charakteristische Lächeln von Juri Gagarin an einem den Fahnenmast hoch über Burg Lede in Bonn wehen lässt. Auf dem Gelände bildet Hendrik de Wit die staubige Mondoberfläche mitsamt dem ersten Fußabdruck plastisch nach, deren Abbild sich jedoch erst auf den zweiten Blick offenbart („Grundriss,“ 2000). Gegenstand der Fotografien von Margret Hoppe und den Tafelbildern von Markus Döhne ist die Rakete als Vehikel der Raumfahrt. In ihrer spielzeugartigen Anmutung unterlaufen Hoppes bunte, „selbstgebastelte“ Varianten die Komplexität des technischen Wunderwerks humorvoll. Auch die Zusammensetzung modularer Elemente in Benjamin Badocks „Plattenbau“ (2008) erinnert an einen Raketenkorpus, während die Projektile von Peter Granser ("Was einem Heimat war“, 2011) offensichtlich eine andere Art von Rakete darstellen. Indirekt weist Ann-Josephin Dietz durch die Veränderung natürlicher Lichtverhältnisse auf den Wechsel zwischen Tag und Nacht („Zutaten für einen Apfelkuchen“, 2017) und bildet damit im Prozess fortschreitender Zeit die Bewegung der Erde um ihre eigene Achse ab. Nicht nur ferne Himmelskörper werden hier ins Visier genommen, sondern auch wird ein anderer Blick auf unseren Heimatplaneten gerichtet. Bei Yann Mingard tritt ein Gesteinsbrocken wie ein Fremdkörper auf („Rock, Tsaidam Desert, China“, 2004), während die Beschaffenheit der von Detlef Orlopp fotografierten landschaftlichen Oberflächenstrukturen auf vermeintlich unbekanntes Terrain verweist. Die Materialität von zerklüftetem Gestein einerseits und bewegter, metallisch funkelnder Wasseroberfläche andererseits scheint hier in der Wahrnehmung aufgehoben und wirkt gleichsam überirdisch fremd.
Ort: PARROTTA CONTEMPORARY ART bis: 2019-03-23
Künstler: Margret Hoppe, Yves Bélorgey
Thema: 1919 gründete der Architekt Walter Gropius das "Staatliche Bauhaus" in Weimar, um in der Zusammenführung von Kunst und Handwerk eine neue Formensprache zu entwickeln. Die Formensprache auf allen Gebieten der freien und angewandten Kunst und Architektur zeichnet sich durch die Vision eines neuen modernen Menschen aus, welche nach den verheerenden Folgen des Ersten Weltkrieges in Abkehr von der Ästhetik des Historismus die Gestaltung bestimmte. Vor dem Hintergrund des Bauhaus-Jahres 2019 zeigt die Galerie Parrotta Contemporary Art Werke von MARGRET HOPPE und YVES BÉLORGEY, die sich mit verschiedenen stilistischen Mitteln intensiv mit der Architektur der Moderne auseinandersetzen. In ihrem fotografischen Werk befasst sich Margret Hoppe (*1981) mit der architektonischen Hinterlassenschaft der Moderne. Nach ihrer eingehenden Auseinandersetzung mit Gebäuden von Le Corbusier in Europa und Indien widmet sich die Fotografin in ihrer jüngsten Serie „Unterbelichtete Moderne“ den im Schatten der illustren Bauhaus-Klassiker stehenden Bauten in Mitteldeutschland. Gegenstand der in der Galerie Parrotta Contemporary Art gezeigten Ansichten sind die Textilfabrik und Frauenklinik in Gera, sowie das Kreiskrankenhaus in Zwenkau von Thilo Schoder, ebenso wie das Haus Schminke in Löbau von Hans Scharoun. Obgleich Hoppe die unmittelbare Realität festhält und damit einem dokumentarischen Ansatz folgt, ist die Auswahl der Motive und die ausschnitthafte Wiedergabe der Gebäude rein subjektiv. Selten ist die übergeordnete Form des Baukörpers ganzheitlich erfasst, stattdessen kommen in Teilansichten architektonische Strukturen zum Vorschein. Durch ungewöhnliche Perspektiven rückt Hoppe bestimmte Details in den Fokus, legt vielschichtige Facetten frei. Der Blick in ein Treppenhaus in der Textilfabrik von Thilo Schoder in Gera offenbart ein dynamisches Gefüge von Vertikalen, Horizontalen und Diagonalen: die steile Linie der Stufenabfolge, sich wiederholend in der Schräge des Handlaufs, die aufrechten Säulen und filigranen Streben des Geländers, die hellen Flächen der Auftritte, die zarte Binnenzeichnung der Fliesenwand. Das Zusammenspiel der Geraden ist ferner verstärkt durch scharf konturierte Licht -und Schattenbereiche. Auch in anderen Aufnahmen betonen Hell-Dunkel Kontraste architektonische Gliederungselemente, Wandflächen sind gleichsam zerlegt zugunsten einer grafisch-geometrischen und damit zweidimensional anmutenden Anordnung von Farbfeldern und Konturen, hinter welchen die räumliche Tiefe oft zurückweicht. Durch die klare Auffächerung der Architektur in Strukturen erscheint die Komposition konstruktivistisch. Somit überführt Margret Hoppe die abgebildete Architektur geradezu in eine malerische Ebene: Die ganzheitliche architektonische Konstruktion weicht hinter einer sorgfältig austarierten Bildkomposition zurück. Durch ihre Reduktion auf Grundelemente wie Linie, Fläche und Farbe befindet sich die Architektur im Übergang zur Abstraktion. Margret Hoppe, die als „Archäologin“ oder „Archivarin“ moderner Architektur bekannt ist, erfasst die Orte in ihrer Zeitlosigkeit als Denkmal und macht zugleich ihre Zeitlichkeit sichtbar. In diesem Spannungsfeld spürt sie die „Überreste utopischer Visionen“ auf und bildet neben den originären Eigenschaften Zeichen der Gegenwart ab, die auf die menschliche Anwesenheit, die Veränderung durch Umnutzung und Sanierung, aber auch auf Verwitterung und Verfall zurückzuführen sind. Es entstehen so behutsame Portraits von Architektur, die sowohl einen originären Zeitgeist verkörpern als auch die Zustände eines gesellschaftspolitischen Wandels – und dessen Auswirkungen auf den Umgang mit historischer Substanz – im Laufe der Zeit wiederspiegeln. - Am Anfang des Werks von Yves Bélorgey (*1960) steht seine intensive Beschäftigung mit dem urbanen Raum, die Veränderung von dessen (Infra-)Struktur und Gestalt im Laufe der Zeit. Der Künstler begibt sich auf Reisen und unternimmt ausgedehnte Streifzüge, um eine bestimmte Stadt zu erkunden, den Gebäuden eines gewissen Architekten nachzugehen oder eine einzelne Straße – wie zuletzt die Rue des Pyrenées in Paris – in den Fokus seiner Untersuchung zu stellen und systematisch zu erfassen. Währenddessen entstehen zahllose Fotografien als „Reise- „ oder „Arbeitsdokumente“ die Bélorgey in seinem Atelier zu Fotocollagen zusammensetzt, um sie als Vorlagen für seine Darstellungen zu verwenden. Er befasst sich immer mit mehreren Ansichten eines Ortes gleichzeitig, folglich wird dieser in thematisch verwandten Gruppen facettenreich beleuchtet und dokumentiert: Stadtviertel, Straßen, Gebäude, Plätze, private Wohnräume werden mittels Grafitpulver auf Papier und Pigment auf Leinwand abgebildet. Seine künstlerische Handschrift – die individuelle Führung des Zeichenstifts oder der malerische Duktus – sucht er beispielsweise durch den Einsatz von Schwamm und Lappen, sowie selbstgefertigte Schablonen zu neutralisieren, um eine matte, gleichmäßige Oberfläche zu erzeugen, die einen „Raum ohne Konturen“ beschreibt. In Analogie zur Foto-Reportage verpflichtet sich Bélorgey einer größtmöglichen Wirklichkeitstreue, er betont die verbindliche Wiedergabe des Gesehenen und damit den „Wahrheitscharakter“ seiner Werke. Vor allem aufgrund ihres heterogenen Erscheinungsbildes, das verschiedene, zeitspezifische Umgangsformen mit bestehender Architektur widerspiegelt, stehen moderne Wohnviertel und Siedlungen in den städtischen Randzonen oder Vororten im Mittelpunkt des Interesses von Yves Bélorgey. Er sucht mit malerischen Mitteln anhand der Spuren, die das gemeinschaftliche Leben im Stadtbild hinterlässt, ein „Bild“ der Gesellschaft zu fertigen. Einerseits offenbaren sich die Hochhäuser und Wohnkomplexe in ihrer ursprünglichen Existenz, also als historisches Bauwerk. Andererseits wird in ihrer Erscheinung auch ihre unmittelbare, konkret gelebte Realität, die sich aus der Aneignung durch die Menschen ergibt, ablesbar. Moderne Gebäude sind damit Ausdruck von Zeitlichkeit und Geschichte, bezeugen jedoch gleichwohl durch die Integration in den Alltag ihrer Bewohner einen unmittelbaren, zeitgenössischen Aspekt. Auch Bélorgeys jüngste Werke folgen dieser Absicht, Vergangenheit und Gegenwart zu veranschaulichen, ausgehend von der sorgfältigen Beobachtung der Eigenschaften von originärer Bauweise und den Zeichen aktueller Nutzung andererseits. Thematisch kreisen sie um das „Neue Frankfurt“, ein von Architekt und Stadtplaner Ernst May zwischen 1925 und 1930 entworfenes und realisiertes Siedlungsprojekt. An den Fassaden und in den privaten Innenräumen der Anlage spürt Bélorgey nachträgliche Baumaßnahmen, gestalterische Einwirkungen, aber auch Verfallserscheinungen auf, die spannungsvoll mit der originären Substanz interagieren. „Ich habe begonnen, das Wohnhaus als ein historisches Denkmal darzustellen, welches bewohnt und verwandelt wird.“ (Bélorgey) Vor diesem Hintergrund ist es Bélorgey ein Anliegen, den Betrachter als Bewohner anzusprechen. Ausgehend von den Ansichten der Hausfassaden und Eingangsbereiche, sowie von möblierten Innenräumen, ergibt sich die Möglichkeit, die Bilder zu „betreten“. Die physische Präsenz der Gemälde, vor allem das überlebensgroße Format 240 x 240 cm lädt dazu ein, die Räumlichkeiten zu „begehen“ und diese zugleich in Bezug zur eigenen Wohnsituation zu setzen. Bélorgey reflektiert die geänderte Wahrnehmung eines bestimmten Baustils und den damit einhergehenden Wandel einer städtischen Umgebung. Bélorgey sucht, den momentanen, bisweilen flüchtigen Zustand zur Anschauung zu bringen: „einen Gegenstand oder eine Situation zu beschreiben, einen Versuch, sich zu erinnern oder wenigstens eine Spur zu bewahren.“ (Bélorgey)
Ort: PARROTTA CONTEMPORARY ART bis: 2019-01-20
Künstler: JOSCHA BENDER, RUSLAN DASKALOV, LUTZ DRIESSEN, THOMAS GRÜNFELD, ROSHNI GRUNENBERG, JAN HÜSKES, URS LÜTHI, ANKICA MARJANOVIC, PAUL SCHUSEIL, CHRISTIAN WIESER
Thema: “My mission in life is to make everybody as uneasy as possible. I think we should all be as uneasy as possible, because thats what the world is like.” (EDWARD GOREY) Unter dem Titel „The Unstrung Harp“* geht die Ausstellung der Vorstellung einer unbeholfenen, schwerfälligen Form nach, die von der Auseinandersetzung mit den Schwierigkeiten und Unwägbarkeiten der Formfindung geprägt ist und von Zweifeln, Irritationen und Fehlern zeugt, die während des kreativen Prozesses aufkommen. Allen Werken ist ein unruhiges Moment des essentiellen Widerstandes eingeschrieben, der sich - als Störung - der Eindeutigkeit und damit dem künstlerischen Ideal einer vollkommenen Gestalt widersetzt. Da Überraschungen, Zufälle und Anfälligkeiten in die Gestaltung einbezogen werden, ist das Scheitern als zugleich bedrohlicher und befreiender Ausgang immer auch gegenwärtig. Die künstlerischen Positionen sind allesamt einem figürlichen Stil und weitgehend traditionellen Techniken - Malerei, klassische Bildhauerei, Zeichnung - verpflichtet. Das Bemühen um ein handwerkliches Können, die Beherrschung des Materials scheint reaktionär, jedoch ist die Auflehnung gegen den damit einhergehenden Perfektionsanspruch deutlich spürbar. Teilweise holprig in der Machart, treten hier zweifelhafte Ergebnisse und Zufallsprodukte in Erscheinung. Oft erkennt man eine humorvoll verfehlte Anmut, eine `missglückte´ Gestalt, deren Unvollkommenheit nicht so sehr auf einen Mangel an Fähigkeit, sondern vielmehr auf eine bewusste Entscheidung zugunsten der Freiheit der Form verweist. Sie erscheint in beweglichen, brüchigen Zuständen: amorph, hybrid, flüchtig, fragil, fragmentarisch. „Mich interessieren diese nicht-gesicherten Zustände“, sagt URS LÜTHI (*1947), „der Moment, wo alles kippen kann.“ Der Künstler, in den 1970er Jahren bekannt durch androgyn inszenierte Selbstbildnisse, die eine Identität jenseits der Konformität eindeutiger Geschlechtsmerkmale propagierten, thematisiert die Schwierigkeiten der Selbstfindung, sich selbst immer als Modellfigur bei seinen Rollenspielen einsetzend. Er parodiert Idealbilder und starre Identitätskonzepte zugunsten eines subversiven und humorvollen Umgangs mit Konventionen und Kriterien. Diese freche und flexible Fluktuation zwischen Formzuständen ist auch den Werken von JAN HÜSKES (*1991) eigen. „Sundogs“ ist eine Hybridkonstruktion, die zwischen Möbel und Maschine angesiedelt ist und nicht nur die Form, sondern auch eine angedeutete Funktion im Ungewissen lassen. Die Gegenüberstellung von spitzen Metallteilen – wie Antennen aggressiv aufgestellt – und weichen Polstern, ergibt ein uneinheitliches Gesamtbild, welches zugleich futuristisch und archaisch anmutet. Auch CHRISTIAN WIESERs (*1991) „Steinmänner“ setzen sich aus einer Vielzahl heterogener Elemente zusammen. Wie ein Tüftler oder Bricoleur (C. Lévi-Strauss) greift Wieser auf vorhandene, gefundene, teils verworfene Materialien wie elektronische Teile, Steine, Metall, Holzstücke, Glas, Keramik zurück, um diese zweckentfremdend und improvisierend zu kombinieren und verwerten. Wieser lötet, bindet, klebt, dabei werden alle Komponenten rudimentär ausbalanciert, so dass die Fragilität und Instabilität der Figuren sichtbar wird. Diese spielerische Zerbrechlichkeit verweist auf ein ständiges Problemlösen, Reparieren, Tüfteln, Basteln in Anerkennung der Vielfalt gestalterischer Möglichkeiten, die sich erst durch die eingehende Beschäftigung mit dem Material ergeben. Eine vermeintliche Einheit der Gestalt hingegen suggerieren die Skulpturen von JOSCHA BENDER (*1991), die in handwerklich ausgefeilter Bildhauerkunst aus einem Gips- oder gar Marmorblock gehauen oder in Bronze gegossen sind. In seiner Neuinterpretation des Denkmals, greift Bender zwar auf eine repräsentative Darstellungsform zurück, umgeht jedoch deren Zweck. Statt der Ehrung einzelner verdienter Persönlichkeiten oder historischer Ereignisse, widmet Bender seine Denkmäler einem „Waldarbeiter“ und einem „Schüler“. Während Bender für das „Waldarbeiterdenkmal“ die Formensprache antiker Sportler- und Kriegerstatuen aufgreift, wirkt die im „Schülerdenkmal“ zur Anschauung gebrachte Verführungsszene etwas hölzern und ungelenk. In RUSLAN DASKALOVs (*1979) Kompositionen, die mittels eines Grafikprogramms durch ein additives Verfahren am Computer entstehen, werden Frauenfiguren mit Landschaften und Stillleben zusammengeführt. Die mitunter verführerischen Posen der weiblichen Gestalten, deren barocke Monumentalität an die massiven Figuren von Hendrik Goltzius erinnert, wirken durch die prägnanten Auswölbungen ihrer ellipsoiden `Bausteine´ wie Persiflagen auf die Ausgewogenheit klassischer Proportionen. Bisweilen werden einzelne Körperteile durch artfremde Elemente ersetzt, Blumen, Äste, Tannenzweige treten an die Stelle von Gesicht, Bein oder Brust. Die Werke von THOMAS GRÜNFELD (*1956) weisen eine formale Geschlossenheit und ganzheitliche Harmonie auf. Ihre geschmeidige Kontur täuscht darüber hinweg, dass es sich um Mischformen handelt, deren einzelne Bestandteile gemeinhin als unvereinbar gelten. Grünfeld überführt diese disparaten Elemente in einen neuen bildnerischen – und damit kontextuellen – Zusammenhang, wie beispielsweise seine `unzulässigen´ Kreuzungen der Serie „misfits“. Grünfelds gestalterischer Ansatz hebt die Kategorisierung von Formen auf, um stattdessen Kunst, Design, Körper zu durchmischen und assoziative Freiräume zu nutzen. LUTZ DRIESSEN (*1976) unterläuft die Grenzen zwischen Form und Formlosigkeit. In der Mitte der hier gezeigten Skulpturen aus Ton steht ein weiß lackierter und durch eine leuchtend pinkfarbene Naht zerklüfteter `Klumpen´. Die voluminöse Materie, von einem Rahmen aus einfachen Holzleisten eingefasst, ist etwas zusammengesackt, ein Tennisball füllt die entstehende Lücke. Diese einfache Erscheinung lässt an den kindlichen Bau eines Schneemanns denken, der nur sparsam modelliert wird und durch Hinzufügung weniger zeichenhafter Attribute ein Gesicht bekommt. So erweisen sich Driessens bildnerische Gliederungs- und Gestaltungselemente als spontane, improvisierte Setzungen, die einen prekären schöpferischen Balanceakt zu simulieren scheinen. Nicht die meisterhafte Ausformulierung oder die akkurate Wiedergabe eines Gegenstandes treibt ROSHNI GRUNENBERG (*1984) an, sondern vielmehr die Spiel- und Zwischenräume, welche die Malerei eröffnet: Die Verschiebungen zwischen Zwei- und Dreidimensionalität, die Perspektivwechsel und Kippmomente des Vexierbildes. Sie vermittelt eine überraschende Sicht auf alltägliche Dinge, etwa auf den kahlen Hinterkopf eines Mannes, dessen wulstiger Hals einer schrägen schwarzen Linie aufliegt. Isoliert und damit völlig aus einem körperlichen und kompositorischen Gefüge gelöst, schwebt er im nicht näher bezeichneten Raum. Woanders scheinen einige graue Wolken am oberen Bildrand ohne jeden Himmelsbezug für sich zu stehen. PAUL SCHUSEILs (*1989) Serie „Hilfen“ stellen Ergänzungen bzw. Erweiterungen des menschlichen Körpers dar, die ausgehend von einer bestimmten Haltung wie Orthesen gefertigt werden, um „den Menschen in der Idee beispielsweise beim Denken, Betrachten, Verzweifeln oder Posieren zu unterstützen“ (Schuseil). „Der Denker – eingeschlafen“, ein skelettartiges Gerüst aus Bronze, changiert zwischen angedeuteter Funktionalität und abstrakter Verfremdung. “If something doesnt creep into a drawing that youre not prepared for, you might as well not have drawn it.” (Edward Gorey) Dieser Auffassung scheinen auch die Gemälde und Zeichnungen von ANKICA MARJANOVIC (*1973) zu folgen. Sie tastet sich suchend vor, der erratische Strich ergibt flüchtige Skizzen. Es sind Versuche, eine Form zu finden, deren Entwicklungspotential noch nicht erschöpft ist. Marjanovic scheint in die Untiefen des Unterbewußtseins zu dringen, dessen verdichtete Bildwelten und verschlüsselte Botschaften sie wie ein Messgerät registriert.
Ort: PARROTTA CONTEMPORARY ART bis: 2018-11-10
Künstler: CLARK, Edmund
Thema: Das Werk des vielfach preisgekrönten britischen Künstlers Edmund Clark reflektiert Geschichte, Politik, sowie die Mittel ihrer Repräsentation in einer vielschichtigen Kombination aus diversen Medien wie Fotografie, Film, Textdokument und Installation. Auf der Grundlage eines fotografischen Ansatzes konzentrieren sich die Arbeiten von Edmund Clark thematisch auf Machtsysteme und Mechanismen der Staatskontrolle. Insbesondere liegt das Augenmerk des Fotografen, der als Mitglied der britischen Presse erstmals Zugang zum Gefangenenlager Guantánamo erhielt, auf den umwälzenden gesellschaftlichen Veränderungen seit den Terroranschlägen von 9/11. Fotoserien wie “Negative Publicity. Artefacts of Extraordinary Rendition” zeigen die weitreichenden und die Normalität des Alltags beeinträchtigenden Folgen des Krieges gegen den Terrorismus auf. Die Serie ist zwischen 2011 und 2016 in Zusammenarbeit mit dem Antiterror-Experten Crofton Black entstanden, der als einer der Hauptzeugen vor dem EU-Parlament und dem EU-Gerichtshof zur Verurteilung von Polen und Litauen beitrug, auf deren Boden die CIA verborgene Haftanstalten errichtet hatte. In „Negative Publicity“ beleuchtet Clark Fälle von „Extraordinary Rendition“, womit das Entführen und Überführen einer Person von einem Staat zum anderen ohne juristische Grundlage bezeichnet wird. Anhand von Rechnungen, Quittungen und anderen Nachweisen von Unternehmen, die an der Durchführung dieser Gefangenentransporte beteiligt waren, werden diese weltweiten „Bewegungen“ zwischen geheimen Aufenthaltsorten und Gefängnissen dokumentiert. Begleitet werden diese Belege von Fotografien privater Wohnhäuser, Hafteinrichtungen, Firmen- und Regierungssitze, zwischen denen sich das internationale Netzwerk von der Landkarte getilgter, „schwarzer Schauplätze“ der CIA spannt. Für dieses Projekt erhielt Clark, gemeinsam mit Crofton Black, einen ICP Infinity Award (2017, https://www.youtube.com/watch?v=izIPcV2x2-k). Die Serie „Control Order House“ (2011) ist das Ergebnis des Aufenthalts von Edmund Clark in einem Haus, das als Ort der Festnahme eines Mannes diente, der verdächtigt wurde, terroristischen Aktivitäten nahezustehen. In 3 Tagen und 2 Nächten, die Edmund Clark 2011 gemeinsam mit dem Bewohner in dieser Einrichtung verbrachte, entstanden über 500 Ansichten. Es sind schnelle Aufnahmen, die mit automatischer Blitzlichteinstellung und Weitwinkelobjektiv, aber ohne kompositorische Einflussnahme zustande kamen: Dokumente einer Inhaftierung in häuslicher Umgebung. Die numerisch ausgewiesene Reihenfolge legt nahe, dass es sich hier um eine geschlossene Sequenz, um eine lückenlose Dokumentation handelt. Der unter Beobachtung stehende Protagonist jedoch, dessen Gegenwart letztlich durch die exakte Wiedergabe seines Wohnraums evoziert wird, fehlt. Stattdessen findet sich auf dem beklemmenden Parcours eine Detaildichte, die das Fehlen einer persönlichen Einrichtung umso offensichtlicher werden lässt. Wie eine Spurensuche dringt die Kamera in Ecken und Nischen, um Indizien einer menschlichen Präsenz aufzudecken. Unheimlich erscheint dabei die (an den Autoritäten vorbeigeschmuggelte) Katze als einziges Lebewesen. Die Spannung verborgener (Bild-)inhalte durchdringt jede einzelne Aufnahme. Auch die Serie „Letters to Omar“ (2010, https://www.fotomuseum.ch/de/explore/situations/30612) veranschaulicht die Beschneidung der Freiheit des Individuums zur Prävention terroristischer Unternehmungen. Hier versammelt Edmund Clark eine Auswahl an Briefen und Karten, die der Insasse Omar Deghayes während seines sechsjährigen Aufenthaltes im Gefängnis Guantánamo erhalten hat. Es handelt sich hierbei um Schriftstücke, die von Familienangehörigen, aber auch von Unbekannten verfasst wurden und deren Inhalte vor der Zustellung an den Empfänger in Guantánamo manipuliert und zensiert wurden. Omar erhielt eine bloße, mit einer Referenznummer versehene Kopie des Originalschriftstücks. Diese verfälschten, in ihrem Wert geminderten, abstrahierten Gesten der Unterstützung werden zu Zeichen staatlicher Machtausübung und einer durch Verfolgung und Verdächtigung bedrängten Wahrnehmung, die letztlich zu einer zunehmenden Halt- und Orientierungslosigkeit beiträgt. In „Mountains of Majeed“ (2014) stellt Clark fotografische Aufnahmen des US-Luftwaffenstützpunktes Bagram in Afghanistan und Gemälde des lokalen Künstlers Majeed gegenüber. Hier treffen hochaufgelöste Bilddateien, die aus dem eingezäunten Areal der Militäranlage heraus die im Hintergrund sich majestätisch erhebende Bergkette des Hindukusch dokumentieren, auf die idealisierte malerische Darstellung üppig grüner und gebirgiger Landstriche derselben. Es geht Clark um die Dokumentation, um die Fotografie, um das Bild überhaupt, dessen immanente Eigenschaften - Farbe und Form - mit vorgefassten Meinungen und einseitigen Inhalten in Übereinstimmung gebracht werden und daher nicht verbindlich einer „Wahrheit“ entsprechen können. Seine Werke fordern dazu auf, die Erzählungen und Prozesse “hinter den Bildschirmen zu erkennen, durch die wir die Bilder wahrnehmen, die Filter, die unsere Eindrücke manipulieren.“ Die aktuelle Ausstellung bei Parrotta Contemporary Art beruht in ihrer konzeptuellen Ausrichtung und Werkauswahl auf der umfassenden und vielbeachteten Präsentation „Terror Incognitus“ (2016) in Zephyr. Raum für Fotografie, Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim. EDMUND CLARK Das Werk von Edmund Clark wurde in großen Einzelausstellungen in bekannten Museen und Institutionen präsentiert, darunter in jüngster Zeit dem International Center of Photography Museum, New York, dem Imperial War Museum, London, und dem Zephyr. Raum für Fotografie, Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim. Seine Arbeiten sind in namhaften nationalen und internationalen Sammlungen vertreten, wie dem ICP Museum und dem George Eastman House in den USA, sowie dem Imperial War Museum und dem National Media House in Großbritannien. Vielfach ausgezeichnet, erhielt Edmund Clark die Royal Photographic Society Hood Medal für herausragende Fotografie im Dienste der Öffentlichkeit, zudem wurde ihm der British Journal of Photography International Photography Award verliehen. Clark wurde 2014 für den Henri Cartier-Bresson International Award, 2012 für den Prix Pictet und 2011 für den Deutsche Börse Photography Prize nominiert. Auch seine Publikationen wurden mit zahlreichen Preisen bedacht, u.a. „Guantánamo: If the Light Goes Out“ als bestes Buch des Jahres 2011 bei den New York Photo Awards und den International Photography Awards / The Lucies Awards sowie „Negative Publicity“ als Gewinner des ersten Foto-Text Buch-Preises der Les Rencontres de la Photographie, Arles (2016).
Ort: PARROTTA CONTEMPORARY ART bis: 2018-08-04
Künstler: Badock, Benjamin
Thema: Benjamin Badocks Motivrepertoire, das sich in der aktuellen Ausstellung auf großformatigen Hochdrucken und Gouachen ausbreitet, besteht aus vielfältigen Formelementen unterschiedlicher Kontexte. Sie entstammen beiläufigen Beobachtungen der unmittelbaren Umgebung und erscheinen als urbane Zitate, stilisierte Ausschnitte des Stadtbilds, zeichenhafte Skizzen und typografisch verdichtete Notationen. Diese Fragmente einer Alltagskultur sind herausgelöst aus einer formalen oder funktionalen Gebundenheit und in die Abstraktion überführt. Bezüge zur gegenständlichen Dingwelt treten hinter eine freie gestalterische Auffassung zurück. Vergleichbar mit den einfachen Grundformen eines Baukastens, die zu komplexen, fantasievollen Gebilden zusammengesetzt werden können, entstehen Badocks Kompositionen durch eine variantenreiche Kombinatorik von einzelnen, reduzierten Einheiten. Während bei den gezeigten Hochdrucken die Regelmäßigkeit eines systematisch aufgetragenen Rapports auffällt, wirken die Gouachen wie spielerisch aufgelockerte, farbenfrohe Improvisationen. Badock experimentiert seit über 10 Jahren auf innovative Weise mit traditionellen druckgraphischen Techniken. Dabei geht es ihm weniger um die Möglichkeit der Vervielfachung eines Motives, sondern vielmehr um das malerische Potential, das dem Verfahren innewohnt. In aufeinanderfolgenden Druckvorgängen entstehen farbige Überlagerungen, im Prozess zugelassene Verfehlungen der mechanischen Präzision ermöglichen Verschiebungen der Muster und graduelle Übergänge der Nuancen. Auch werden unkonventionelle Materialien erprobt. So bilden textile Produktionsreste den Ausgangspunkt für Badocks jüngste Werke, deren mitunter flächendeckende ornamentale Anlage auf die gleichmäßige Anordnung von schablonenhaft aufgelegten Stoffstücken zurückzuführen ist. Während eines Arbeitsstipendiums in Vietnam 2014 besuchte Benjamin Badock Produktionsstätten internationaler Textilkonzerne. Einen nachhaltigen Eindruck auf den Künstler hinterließ die Gleichzeitigkeit von Ordnung und Chaos in den Sweatshops von Hanoi. Während sich auf der einen Seite die begehrten Erzeugnisse der globalen Industrie sortiert befanden, lagen auf der anderen Seite und in augenfälligem Kontrast dazu die Reste, aufgetürmt zu Abfallhaufen, am Straßenrand. Diese wertlosen Stofffetzen, den Verschnitt, verwendet Badock nun zum Drucken. Er verwertet damit jene Teile, die quasi als Negativformen den Ausschuss im Herstellungsprozess bilden. Nur durch einen schmalen Grat, einen Schnitt quasi, sind hier das Positiv und das Negativ, das Hochglanz- und das Müllprodukt, der Überfluss und der Überschuss getrennt. Badocks visuelle Auseinandersetzung mit den vorgefundenen Reststücken führt zur Aufhebung dieser Unterscheidung: Wie im Vexierbild die Motive heterarchisch und alternierend vor- und zurück springen oder kippen, werden hier im dynamischen Wechsel der Formen und Farbkontraste die vormaligen Kriterien zugunsten einer ästhetischen Neubewertung hinfällig. Kurzbiographie Benjamin Badock, 1974 in Chemnitz (ehem. Karl-Marx-Stadt) geboren, studierte zunächst Architektur an der Brandenburgischen Technischen Universität in Cottbus, bevor er sich von 2001 bis 2008 dem Studium der Freien Kunst an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig widmete, das er 2009 als Meisterschüler von Olaf Christopher Jenssen abschloss. Badock erhielt zahlreiche Auszeichnungen, Preise und Stipendien. 2017 wählte ihn die Villa-Massimo-Jury für ein Aufenthaltsstipendium in der Cité International des Arts in Paris aus. 2016 wurde er für den Queen Sonja Print Award in Oslo, Norwegen nominiert. 2014 gewann Badock den Sprengel-Preis für Bildende Kunst der Niedersächsischen Sparkassenstiftung, Hannover. Das Werk von Benjamin Badock ist in renommierten öffentlichen und privaten Sammlungen vertreten, darunter: Sprengel Museum Hannover, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kunstsammlung Deutsche Bundesbank, Daimler Kunstsammlung, Kunstmuseum Spendhaus Reutlingen, Kunsthalle Göppingen und Städtische Galerie Delmenhorst. Benjamin Badock lebt und arbeitet in Leipzig.
Ort: PARROTTA CONTEMPORARY ART bis: 2018-06-08
Künstler: Timm Rautert
Thema: Eröffnung in Bonn: 15. April 2018 Laufzeit: 15.04 - 8.6.2018 Adresse: An der Burg Lede 1, 53225 Bonn Bei MANHATTAN MIRROR, handelt es sich um eine zwingende Rauminstallation von 60 schwarz/weiß Fotografien und unterschiedlichen Baumaterialien für Hochhausverkleidungen und Spiegeln. Thematisch geht es ihm um die nicht sichtbare Katastrophe des globalen Finanzmarktes. In seiner fotografischen Form visueller Aneignung gelingt ihm, in den Spiegelungen der Bankfilialen, den Brands global operierender Firmen und den Schatten unserer Körper, eine Welt darzustellen, die uns zum Anhalten, Nachdenken bringt. Die Welt in der wir leben, unsere moderne Welt wird auf besondere Weise sichtbar. Timm Rauterts neue Arbeit MIRROR AND GLASS von 2017, hier zum ersten mal gezeigt, ist formal ganz anders konzipiert. Rauterts neuerer Tendenz zu fotografischen Installationen wird zwar auch hier Rechnung getragen, nun aber zeigen sich Farbfotografien, die Bezug nehmen auf die Konsumwelt von Kunst und Fotografie. Die Bilder in Wien, Berlin, Rom, Paris und Lissabon aufgenommen, stehen in einem rätselhaften Zusammenhang mit einem von Rautert entworfenen Spiegeltisch, der mit den wichtigsten Objekten des Fotografischen, den Objektiven, bestückt ist. Und hinter den Spiegeln gehen die Kämpfe von Kunst, Deutungshoheit und Macht weiter, Spiegel erzeugen ein virtuelles, seitenverkehrtes Bild, das ebenso weit hinter dem Spiegel liegt, wie der Gegenstand davor. Mit Venedig in der Bonner und New York in der Kölner Ausstellung bezieht sich Rautert auf zwei gänzlich gegensätzlich mythologisch aufgeladene Orte. Die analogen schwarz-weiß Aufnahmen des menschenleeren Campo Sant’Angelo zeigen die Gemäuer und das Pflaster eines Ortes, an dem die Zeit zum Stillstand gekommen zu sein scheint. Die dem fotografischen Akt zugrundeliegende Stillstellung, reflektiert sich hier in der unverklärten Abbildung versteinerter Geschichtlichkeit selbst. Fast könnte man sagen, die Fotografie, als Chronistin der Zeit, die das Abgebildete dem Verfall und Vergessen zu entreißen sucht, brächte sich in diesen Bildern selbst zur Auslöschung, da das, was sie hier einfängt, gerade der Verfall und das Vergessen sind, in dem keine Momenthaftigkeit zu existieren scheint. Einen Hinweis auf eine andere Zeitlichkeit bietet allein die angeschnitte im Bild erscheinende Gebäudeaufschrift UniCredit Banca, von der man nicht weiß ob sie ihr Versprechen noch einlöst. Hinzugefügt sind Wandtexte, die das Geschehen auf den Bildern begleiten und zu Fragen des Dargestellten führen. Die von Rautert verfassten Texte zur Serie sind in einem Booklet erschienen und Teil der Ausstellung. Im Text geht es um nichts Geringeres als den Weltuntergang. Drei Personen werden bei ihrem Weg zum Campo S. Angelo beobachtet. Dort treffen sie auf eine riesige Menschenmenge, die aus rätselhaften Gründen vom bevorstehenden Weltende angezogen wurde: »....sie würden gemeinsam untergehen, in der schönsten, menschlichsten Stadt der Welt und jetzt war der Himmel wie eine aufgerichtete, riesige Wand...«.
Ort: PARROTTA CONTEMPORARY ART bis: 2018-05-18
Künstler: Susanne M. Winter
Thema: SCHWERKRAFT UND ATEM Contrapoints “…. the acceleratingly threatening loss of the climatic-ecological habitat conditions, indispensable to our species survival/realization and continued performative enactment as the uniquely auto-instituting, hybrid mode of living being that we are….” Sylvia Wynter In “Schwerkraft und Atem” zeigt Susanne M. Winterling eine Reihe neuer Arbeiten die sich in Formen, Materialien und Bildkompositionen mit den Veränderungen in unserer Umwelt und Imagination beschäftigen. Ausgehend von dem sensiblen Gefüge aus Reizen und Reaktionen, welches die Signal- und Informationsübertragung in komplexen neuronalen, ökologischen und digitalen Netzwerken bestimmt und zugleich ihre Störanfälligkeit bedingt, erkennt Winterling dynamische Beziehungsgeflechte zwischen Natur, Körpern, Wissen, Politik, die eine offene, nicht nur um den Menschen kreisende Betrachtungsweise erforderlich machen. Die Ausstellung fokussiert zum Beispiel Teile der “Biomasse”: Organische Stoffe und Formen die das Leben auf dem Planeten tragen. Im Zentrum stehen oft Mikroorganismen wie z. Bsp. Dinoflagellate . Diese Kleinstlebewesen, die durch Mikrofotografie, Computeranimation, Skulptur, vielfache Formen annehmen, verweben menschliche Handlungsmacht sowie Einflussnahme auf die Biosphäre zu einem Netz der Kommunikation. Die Installation Miraculous Biomass Fueling Technology (Composition I) 2018, die im Rahmen der Lulea Biennale 2018/2019 erstmals gezeigt wurde besteht aus einer Ansammlung kleiner Güsse aus transparentem Bioharz, die auf dem Boden angeordnet sind und Formen bestimmter technologischer Geräte aufweisen. Es zeichnen sich vom dunklen Grund die Umrisse einer Chipkarte oder eins Netzteils ab. In die Harzmasse eingeschlossen, einem Bernstein ähnlich, sind verschiedene Formen der biologischen vernetzten Lebenswelt entnommen. Das Material (Bioharz) und die darin konservierte biologische Materie tritt hier in ein spannungsvolles Zusammenspiel mit der Form (technische Apparate) und verwebt das (auf Dualismus beruhende) Verhältnis von Biologie und Technologie, sowie Natur und Kultur. Des weiteren wird die kulturelle Aneignung von natürlichen Gütern, ihre Präsentation im institutionellen Rahmen thematisiert und der Bezug zu naturhistorischen Museen – und grundsätzlich dem „System Kunst“ – hergestellt. Diese Ausstellungskontexte beruhen auf Praktiken der Auswahl, sowie Kategorisierung und Kontextualisierung, die immer geprägt sind von herrschenden Diskursen und damit einer hierarchischen Denkweise folgen. Anhand Winterlings Zusammenführung traditioneller, magisch-emphatischer Erklärungsmodelle und zeitgenössischer Erkenntnisse aus den Wissenschaftsbereichen werden absolutistisch angewendete, differenzbasierte Begriffspaare wie Natur und Kultur nebensächlich. Sie betrachtet das Ungleichgewicht im Miteinander der Lebewesen, in dem sie die Perspektive der bedrohten Spezies einnimmt, um die unmittelbaren, destruktiven Auswirkungen auf den vermeintlich Anderen aufzuzeigen. Winterling wendet den anthropozentrischen Blick – den Anspruch auf kulturelle Aneignung – ab und lässt die Grenzen zwischen den Disziplinen und Kategorien durchlässig werden, um bestehende Machtverhältnisse zu hinterfragen und poetisch zu revidieren. Biologie und Ökologie verschmelzen mit Sozialtheorie, digitaler Kultur und Science-Fiktion. Contrapoints bezieht sich zudem auf den Youtube-Kanal, der die als gesellschaftliche „Norm“ ausgeübten Gegensätze von körperlichen und geschlechtlichen Entitäten zugunsten fließender Zustände hinfällig werden lässt und so zum „Lichtblick im Kulturkrieg, in dem wir uns befinden“ (Winterling) wird. Fortschritt hat sich längst zum Rückschritt gewandelt, auch und gerade in Bezug auf Intersektionalität und das “Andere”. So sind einige Arbeiten in Schwerkraft und Atem von der Poetin und Meeresbiologin Rachel Carson und der Science Fiction Autorin Octavia Butler inspiriert. Cosmo Algae (2019) bildet die Hand der Künstlerin ab, auf deren Fläche eine Kugelalge liegt. In der glatten, nassglänzenden Oberfläche spiegelt sich die unmittelbare Umgebung, insbesondere lässt sich bei näherer Betrachtung der Himmel und flockige Wolken in einer durch die konvexe Wölbung bedingten Verzerrung erkennen oder aber ist es der komplexe Zellkern? Winterling greift das Interesse des Künstlers für die Wissenschaft und für optische Phänomene auf und reiht sich damit auch in die Tradition der Kunstgeschichte ein, während sie gleichzeitig ein emphatisches Interesse am Material zum Ausdruck bringt. Auch hier wird im erweiterten Zusammenhang der manipulierte Blick impliziert, die Anfälligkeit der Wahrnehmung bzw. eingeschränkte Betrachtungsweise durch die einseitigen Vorgaben von Wissenschaft und Politik. Das materialisierte Zusammenwerden von Kleinstlebewesen und Mensch ist eine übergeordnete, universelle Gemeinschaft. Diese Veranschaulichung der Gemeinschaft fernab eines Grenzen generierenden Kategoriedenkens findet sich im Zentrum von Schwerkraft und Atem. Werke in Glas und Cluster-Arrangements verweisen portraitartig auf den Organismus unserer Beziehungsformen und das Zusammenspiel von Existenz und sozialer, mentaler Ökologie in nicht immer zeitlicher Gegenseitigkeit und Abhängigkeit. "The more clearly we can focus our attention on the wonders and realities of the universe around us, the less taste we shall have for destruction." -Rachel Carson Über die Künstlerin: Susanne Winterling ist 1970 in Rehau, Oberfranken, geboren, wo sie heute lebt und arbeitet. Zu den bedeutendsten Ausstellungen und Projekten jüngster Zeit gehört Nature after Nature, Friedericianum Kassel (2014), die von Susanne Pfeffer kuratiert wurde. Daran schließen sich folgende Schauen im In- und Ausland an: Complicity, Kunstverein Amsterdam (NLD) (2014), Myths of the Marble, HOK, Oslo (NOR) und ICA Philadelphia (USA) (2017), An Inventory of Shimmers, MIT List, Boston (USA) (2017), Polyphonic Worlds: Justice as Medium, Contour Biennale, Mechelen (B) (2017), Lulea Biennale (SWE) (2018), Gravitational Currents and the Life Magic, Empty Gallery (HKG) (2018), Barents Spectacle, Kirkenes (NOR) (2019). Arbeiten der Künstlerin sind außerdem aktuell zu sehen in folgenden Ausstellungen: Between Bodies am Henry Art Museum, Washington (USA), Leben mit Pflanzen im Deutsches Hygiene Museum, Dresden, und Suddenly gave the effect of sunlight in der Melk Galleri, Oslo (NOR). http://pandorasbox.susannewinterling.com http://www.susannewinterling.com
Ort: PARROTTA CONTEMPORARY ART bis: 2017-06-17
Künstler: Agata Madejska
Thema: Das Ausstellungskonzept konzentriert sich auf den geografischen, politischen und ideologischen Raum der City of London, der so genannten Square Mile. Agata Madejska nimmt in ihren Arbeiten unterschiedlichste Architekturen im öffentlichen Raum in den Blick, welche das Potential haben auf subtil subversive und freche Art ihre eigene corporate identity, sowie die (corporate identity) der sie umgebenden Finanz- und Unternehmerwelt, herauszufordern. Nach wie vor liegt das Interessenzentrum der Künstlerin in dem Verhältnis zwischen Bild, Skulptur und Raum. Der Titel der Ausstellung Technocomplex bezieht sich auf den Begriff der archäologischen Kultur: einer Ansammlung archäologischer Fundobjekte, einer bestimmten Periode und geografischen Raum, welche spezifische sie verbindende Merkmale oder Techniken aufweisen.
Ort: PARROTTA CONTEMPORARY ART bis: 2017-04-29
Künstler: BENJAMIN BADOCK
Thema: Während eines Arbeitsstipendiums in Hanoi (Vietnam) 2014 besuchte Benjamin Badock Produktionsstätten internationaler Konzerne. In den Sweatshops faszinierte ihn das direkte Nebeneinander von Ordnung und Chaos: Einerseits die glänzenden Produkte der globalen Ökonomie, andererseits und dazu im Kontrast, die Schäden, welche diese Form von Produktion an Mensch und Umwelt verursacht. Seine Arbeiten sind die direkte visuelle Auseinandersetzung mit den Themen Ordnungsstrukturen, Anhäufung, Überfluss und Chaos. Auch mittels seiner Technik schlägt Benjamin Badock eine Brücke zur thematischen Auseinandersetzung. Für seine aktuellen Arbeiten allesamt Hochdrucke, Materialdrucke, Monotypien sowie zum Teil Holzschnitte, greift er sowohl auf eine umfassende Kenntnis seiner künstlerischen Praxis, als auch auf deren „Produktionsreste“ zurück. Durch den freien Umgang mit seinen Materialien nimmt er den klassischen Hochdrucktechniken wie Linol- und Holzschnitt ihre Schwerfälligkeit. Basieren Drucktechniken traditionell zu einem großen Teil auf sorgfältiger Planung und technischer Präzession, übernimmt bei Badock der Zufall und eine malerische Herangehensweise eine wichtige Aufgabe. Benjamin Badock wurde in den vergangenen Jahren mehrfach für sein Werk und insbesondere für seinen unkonventionellen und forschenden Umgang und Einsatz verschiedener Drucktechniken ausgezeichnet. 2016 war Badock für den renommierten norwegischen Queen »Sonja Print Award« nominiert und wurde von der Massimo-Jury für ein Bundesstipendium in der Cité des Arts in Paris ausgewählt, das im Mai 2017 beginnt. 2014 erhielt er den »Sprengel-Preis«, der mit einer Einzelausstellung im Sprengel Museum in Hannover verbunden war.
Ort: PARROTTA CONTEMPORARY ART bis: 2017-01-14
Künstler: Gaida, Gregor
Thema: Seit den 2010er-Jahren entwickeln die figurativen Werke des Bildhauers Gregor Gaida eine extreme Autonomie, in der die Spannung nicht mehr von Objekt und (fehlendem) Kontext generiert, sondern diese zunehmend aus dem Objekt selbst heraus gespeist wird. Mag „Der Dornenauszieher“ (2013) mit seiner kunsthistorischen Referenz auf Gustav Eberlein genau diese Grenze markieren, so offenbart sich dieser Ansatz zur Gänze in seiner Arbeit „Canes Major I-III“ (2014). ... Die verspiegelten, prismenartigen Öffnungen, die die organischen Hundeleiber durchziehen, halten die Pole Bild und Abbild, Abstraktion und Gegenstandsbezug in Spannung. Dabei changieren die Spiegel in ihrer Wahrnehmung als sich zurücknehmende, nach innen gerichtete Reflexionsflächen und einer dominanten, aber scheinbar materielosen Körperlichkeit. In der Werkgruppe der polygonalen Strukturen, darunter „Swog“ oder „Elementarz“ aus dem Jahr 2013, wird das spannungsgeladene Prinzip förmlich auf die Spitze getrieben. Sie bestehen allesamt aus einer figürlichen, individuellen Einzelform, die in serieller Reihung, Dopplung oder punktsymmetrischer Spiegelung zu einem geschlossenen Ganzen „konfiguriert“ wird. Hier ist es nicht die Narration, die in sich umschlägt, sondern die Form selbst. Gregor Gaida greift damit auf das Strukturprinzip der Arabesque zurück, in der sich die „künstlich geordnete Verwirrung“ der naturähnlichen scheinbar zufälligen Form zu einem neuen Ganzen wendet: Denn, so Friedrich Schlegel, „das ist der Anfang aller Poesie, den Gang und die Gesetzte der vernünftig denkenden Vernunft aufzuheben und uns wieder in die schöne Verwirrung der Fantasie, in das ursprüngliche Chaos der menschlichen Natur zu versetzen.“ Gregor Gaida entwirft mit seinen Skulpturen Vexierbilder, in denen bei aller spielerischen Raffinesse stets ein rätselhafter Kern verborgen ist. Text: Dr. Yvette Deseyve Since 2010, the sculpture’s figurative pieces have been developing an extreme autonomy in which the tension is no longer generated by the object and (lack of) context, but rather is drawn from the object itself. Whilst the Dornenauszieher (Boy with Thorn) with its art history reference to Gustav Eberlein may mark this border, the approach is revealed in its entirety in the work Canes Major I–III (2014). The mirrored, prism-like openings which permeate the organic dogs’ bodies retain the tension between the poles of image and reproduction, abstraction and reference. The mirrors oscillate in their perception between withdrawing, inward-facing reflective surfaces and a dominant, yet seemingly materialless physicality. This tension-charged principle is taken to the extreme in the group of works with polygonal structures including Swog and Elementarz from 2013. All these works are made up of a figurative, unique single form which is “con-figured” into a closed whole either by means of serial arrangement, duplication or mirroring with point symmetry. It is not the narration here which becomes twisted but the form itself. In doing this, Gregor Gaida draws on the structural principle of the arabesque where “artificially arranged confusion” of the nature-like, apparently random form takes on a new whole. As Friedrich Schlegel describes, this is the start of all poetry, the way and rules for repealing rationality and reason and returning to the beautiful confusion of fantasy, to the original chaos of human nature. Text: Dr. Yvette Deseyve
Ort: PARROTTA CONTEMPORARY ART bis: 2016-11-12
Künstler: Timm Rautert
Thema: Zum 75sten Geburtstag - im September 2016 - des Fotografen Timm Rauterts, zeigen wir in unserer Galerie sein neues Projekt Weltraum, in der eine Verbindung von Konferenzräumen und Porträts gezogen wird. DieAufnahmen entstanden in der Food and Agriculture Organization of the United Nations und dem Hauptquartier der Guardia di Finanza in Rom, in den Jahren 2014 und 2015. Vorgestellt werden außerdem die Serien: »Ist die Fotografie ein Fenster zur Welt? Oder ist sie die Welt?«, »Museum« und die Arbeit »The Vintage Print«, zu der eigens eine Publikation im Steidl Verlag erscheinen und die innerhalb der Ausstellung am 4.11.2016 gemeinsam von den Autoren vorgestellt wird. Es freut mich und mein Galerieteam, dass die »Stuttgarter Nachrichten« in ihrer renommierten Gesprächsreihe »Über Kunst« Timm Rautert eine Bühne geben. Am Dienstag, 25. Oktober, spricht Nikolai B. Forstbauer, Titelautor der »Stuttgarter Nachrichtenq, mit Timm Rautert über seine Arbeit und seine Positionen zur Rolle der Künstler in der Gesellschaft, Beginn 19.30 Uhr. Timm Rautert war von 1993 – 2008 Professor für Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig - Academy of Fine Arts, studierte von 1966 – 1971 an der Folkwangschule für Gestaltung in Essen bei Otto Steinert. »Das in Arbeitsprozessen sich stetig wandelnde Menschenbildnis, die Infragestellung des fotografischen Verfahrens und dessen Darstellungspotential bilden den Fokus seiner Arbeit.« (Museum der bildenden Künste, Leipzig) Zu Rauterts erfolgreicher Lehrtätigkeit schreibt Kerstin Stremmel: »Es ist eine Mischung aus Kenntnis des Vergangenen, intensiver Wahrnehmung des Gegenwärtigen und reflektiertem Umgang mit beiden, die viele Arbeiten der Meisterschüler von Timm Rautert auszeichnen.« Zu ihnen gehören z.B.: Viktoria Binschtok, Bernhard Fuchs, Falk Haberkorn, Sven Johne, Ricarda Roggan, Oskar Schmidt, Sebastian Stumpf, Adrian Sauer und Tobias Zielony
Ort: PARROTTA CONTEMPORARY ART bis: 2016-07-30
Künstler: SIMONE WESTERWINTER
Thema: Simone Westerwinter zeigt in ihrer Ausstellung »Solo – Neue Arbeiten« ungegenständliche, abstrakte, malerische Werke auf Leinwand und Stein, die ganz der reinen Farbe und ihrer strukturellen Wirkung gewidmet sind. Es werden unter anderem mehrteilige Gemälde und Bilderserien aus diesem Jahr sowie neue Steinskulpturen von 2016 ausgestellt. Die Farben trägt Westerwinter aufgefächert von warmen zu kalten Tönen und vice versa auf. Stets ist es ein Ausschnitt aus dem Farbspektrum mit entweder separiert gestaffelten Farbflächen in gröberen, abrupten Stufen oder mit feineren, sanften Verläufen auf der Grundlage von puren Farbpigmenten. Einerseits entstehen dabei Bereiche mit schillernden Regenbogenfarben, andererseits ist es nur eine reduzierte Palette von wenigen Farben. Durch die Anordnung der Farben und durch grobe wie auch feinste Unterschiede in den Farbtonnuancen entsteht eine formale, systematische Farbfeldmalerei. Diese minimalistische Darstellung entwickelt eine beeindruckende Raumwirkung, die trotz ihrer Abstraktion Assoziationen zur Landschaftsmalerei wecken. Mit der analytischen und strukturierenden Wirkung von Farbe befasst sich Westerwinter in ihren Arbeiten seit mehreren Jahren. Hierzu hat Westerwinter ein eigenes Verfahren entwickelt, indem sie zunächst mit Hilfe eines Pinsels Farbe auf eine Leinwand aufträgt, um dann weitere Farbe aus Bechern darauf zu gießen oder zu schuütteln, um dann im nächsten Schritt in die noch nassen Leinwandoberfläche eine zweite, unbehandelte Leinwand zu drücken. Die behandelte Leinwand fungiert dabei als Druckstock für weiter Leinwände, wodurch der Vorgang wechselseitig wiederholt werden kann. So auch bei dem Diptychon Solocolor 15, das vordergründig wirkt als würde es aus zwei identischen Arbeiten bestehen. Bei näherer Betrachtung wird allerdings deutlich, dass es sich spiegelverkehrt verhält und kleine Unterschiede vorhanden sind. »Mit dieser Malweise anonymisiere ich den Malprozess. Das Ergebnis wirkt weniger willkürlich und mehr objektiv. Gleichzeitig ist für den Betrachter eine Einsicht in die künstlerische Vorgehensweise möglich, die zumindest ansatzweise visuell nachvollziehbar wird. Ich lege offen, wie etwas entstanden ist. Da die Kunst das Leben vielleicht nicht komplett spiegelt, aber ihm doch ähnelt, hofft der Betrachter in der Kunst seine Sehnsucht zu stillen, die Welt und ihre Gesetzmäßigkeiten und Mechanismen ein wenig zu verstehen und vielleicht sogar zu mögen.«
Ort: PARROTTA CONTEMPORARY ART bis: 2016-07-30
Künstler: DELIA JÜRGENS, WATARU MURAKAMI, LISA MÜHLEISEN, SIMON SPEISER, ANNABELLA SPIELMANNLEITNER, JULIEN VIALA
Thema: „At Taipei Airport, a few weeks after the Fukushima disaster, I am scanned for radiation since I have just transited in Tokyo. Every attempt to pull myself free by some act of cognition renders me more hopelessly stuck to hyperobjects. Why?“1 Auf Außenspiegeln von Kraftfahrzeugen ist in den USA und Kanada der Sicherheitshinweis aufgedruckt: OBJECTS IN MIRROR ARE CLOSER THAN THEY APPEAR. Was den Fahrer im Straßenverkehr eigentlich daran erinnern soll, dass die Wölbung des Spiegels Objekte weiter entfernt aussehen lässt, als sie tatsächlich sind, kann angesichts der globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel, dem Artensterben, der Produktion von Treibhausgasen oder der Übersäuerung der Ozeane auch so verstanden werden, dass diese Probleme die Menschheit unmittelbarer bedrohen, als wir es im allgemeinen wahrhaben wollen.2 Seit einigen Jahren ist vor dem Hintergrund der Debatten um das Anthropozän, dem menschengemachten Erdzeitalter, in der Philosophie und Kunst eine Rückbesinnung auf das Objekt zu verzeichnen. Der neue Materialismus oder die neue materialistische Ontologie, die auch unter dem Schlagwort des Spekulativen Realismus und einer Objekt orientierten Ontologie (OOO) von sich reden macht, stellt ganz allgemein die Dinge in ihren Mittelpunkt und weist damit die Behauptung zurück, dass der menschlichen Erfahrung eine größere Aufmerksamkeit als den Beziehungen unter nicht-menschlichen Objekten zu gute kommen soll. Mit seiner Abkehr von einer anthropozentrischen Sichtweise versucht diese Denkrichtung das Verhältnis von Subjekten zu Objekten grundsätzlich zu enthierarchisieren und darüber zu spekulieren, wie sich die Dinge unabhängig von einer Interaktion mit dem Menschen zueinander verhalten. Nachdem in den Künsten bis vor kurzem vor allem Kategorien wie das Ephemere, Prozesshafte und Performative im Mittelpunkt standen, ist es kennzeichnend für eine neue Künstlergeneration, die von diesen objektorientierten Ansätzen beeinflusst ist, sich verstärkt mit objektbasierten Fragestellungen auseinanderzusetzten und angesichts des rasanten technologischen Wandels mit neuen, hybriden Materialien zu experimentieren. In der klassischen Erzählung der Kunst des 20. Jahrhunderts unterscheiden sich Dinge wie zum Beispiel Duchamps Ready-mades kategorial von anderen Dingen, sobald sie in den Bereich der Kunst aufgenommen werden. Der Unterschied ist dabei nicht so sehr an den Dingen, als vielmehr an der spezifischen Verwertung der Dinge als „Kunst“ und der darin implizierten Zuschreibung eines kritischen Potentials festzumachen. Anstelle dieses Paradigmas setzen neuere objektbasierte Arbeiten, zu denen auch die Werke in dieser Ausstellung zu zählen sind, auf ein spekulatives Entwerfen von Zukunft, in der an der Schnittstelle zwischen physischer und digitaler Welt globale Probleme durch den möglichst umfassenden Einbezug wissenschaftlicher und technologischer Optionen angegangen werden. 1 Timothy Morton, Hyperobjects. Philosophy and Ecology after the End of the World, University of Minnesota Press, Minneapolis, London, 2013, S. 28 f. 2 Ibid, S. 27.
Ort: PARROTTA CONTEMPORARY ART bis: 2016-06-04
Künstler: DETLEF ORLOPP
Thema: „schauen sie sich meine menschenköpfe an – auch in sie habe ich diesen mittag gezeichnet der sich an uns zu einem gesicht formt der linie der augenbrauen / den backenknochen / mund und blick die sich auszudrücken beginnen sobald sie zurücktreten ins weiss und alles flüchtige sich auf dem papier verliert / sie werden dann zu dem einzelnen zu dem das licht uns blossstellt: durchbohrt uns aufgelöst von ihm / nicht maske und auch nicht person – sondern individuum: unteilbar zwischen anfang und ende gebannt / silbern die augen weit geöffnet / das gesicht symmetrisch im achsenkreuz die bildfläche füllend starren sie ihnen still entgegen: so regungslos und offen uns herausfordernd das zu sehen aus dem wir bestehen – es zeigt sich in dem was das licht von einem übriglässt / der nacht die sich in einer dunkelkammer zum tag verkehrt / schrot und korn die derart wieder licht werden / gleich wie unberechenbar abgründig wir sind wie leidenschaftlich stolz oder durchdringend wir uns geben: wir bleiben ein kontaktabzug der natur / schatten nur in ihrem leben“ text: raoul schrott. Das Gesicht zeigt und versteckt etwas. Detlef Orlopp (1937 in Elbing/Westpreußen geboren) begann in den 1960er Jahren eine großformatige Fotoserie von Gesichtsstudien. Seinen Seestücken und Gebirgshängen vergleichbar, haben wir es dabei mit einer sachlichen Kartographie menschlicher, überwiegend weiblicher, Gesichtszüge zu tun. Es sind zeitlose analoge schwarz-weiß Fotografien, in denen er ebenso die proportio divina wie den Blickpunkt einer göttlichen Überschau vermeidet. Die serielle Erfassung der Oberfläche dieser Erde entwickelt sich parallel zur Erfassung menschlicher Physiognomien, die ein Erstaunen darüber hervorrufen, wie sich alles Vereinzelte, Vielfältige zum Typischen ausbilden kann. Die serielle Erfassung der Oberfläche dieser Erde entwickelt sich parallel zur Erfassung menschlicher Physiognomien, die ein Erstaunen darüber hervorrufen, wie sich alles Vereinzelte, Vielfältige zum Typischen ausbilden kann. Es beschleicht den Betrachter eine Ahnung des Irrglaubens vom Gesicht als Träger der individuellen Authentizität – vielmehr offenbart sich das Gesicht hier als Schauplatz eines Selbst, in dem sich Geschichte spiegelt. Das Gesicht wird „erst zum Gesicht, wenn es mit anderen Gesichtern in Kontakt tritt, sie anschaut oder von ihnen angeschaut wird“ schreibt Hans Belting. Und so sehen wir in Orlopps Porträts Gesichter im Begriff des Angeschautwerdens. Sie zeigen nicht das „Natürliche“ im Sinne des Naturalistischen, so John Anthony Thwaites, sondern vielmehr das menschliche Antlitz als Zeichen. Die Momentaufnahme liegt in der „Natur“ der Fotografie, doch Orlopp versenkt diese Momente in einer Dauer des Sehens und Gesehen-Werdens, einer Stille, wie Orlopp sagen würde. Die Erhabenheit und Ruhe, mit der uns Gebirgsreliefs in den Fotografien entgegen kommen, vermeinen wir in den Gesichtszügen der Fotografierten wiederzufinden – nicht jedoch im Sinne eines Spiegels der Seele der Abgebildeten, sondern vielmehr als Schauplatz der elementaren Mehrdeutigkeit des Gesichts, des Menschen und der Natur. Unter dem Titel „nur die Nähe – auch die Ferne“ widmete zunächst das Museum Folkwang in Essen dem Künstler Detlef Orlopp eine umfangreiche Retrospektive, die derzeit auch im Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg zu sehen ist. Text: Birgit Kulmer.
Ort: PARROTTA CONTEMPORARY ART bis: 2016-03-19
Künstler: PIETER LAURENS MOL
Thema: Pieter Laurens Mol (*1946 in Breda, Niederlande) begann Ende der Sechziger Jahre eine höchst eigenwillige künstlerische Produktion, die von konzeptuellen Überlegungen getragen ist und in unterschiedlichen Medien ihren Ausdruck findet: Fotografie, Malerei, Zeichnung, Skulptur und Installation. Ein wesentlicher Teil seiner Fotografien der siebziger und achtziger Jahre sind Selbstinszenierungen des Künstlers, in denen er sich mit metaphorischen Begriffen des „Fallens“, des „Verlustes“ oder dem romantischen Topos der "Suche" auseinandersetzt. Von den neunziger Jahren an verschwindet die menschliche Figur zunehmend aus Mols Arbeiten. Deutlich findet eine Verschiebung zu traditionelleren Genres statt, wie der Landschaft und dem Stillleben, wobei diese Bilder, den früheren vergleichbar, als eine metaphorische Aussagen über die "conditio humana" erfahrbar werden. Das heroische, aber auch komische Scheitern charakterisiert zahlreiche seiner Arbeiten. In seiner Kunst gehe es, wie Mol selbst beschreibt, darum Bilder für eine »extreme Existenz« zu finden. Sein »künstlerisches Leben« stellt eine solche Existenz dar, an der er die Betrachtenden Teil haben lässt. Wobei das Leben des Künstlers wiederum nur ein Bild des »schöpferischen Lebens« des Menschen ganz allgemein ist. Und dieses schöpferische Leben beruht auf physikalischen oder anderen, höheren Gesetzen, die in seinen Arbeiten poetisiert werden. Mol scheint sich der kombinatorischen Methode der Surrealisten zu bedienen, wenn er seine sogenannte »Fotoskulpturen« entwickelt, die häufig auf ein Undarstellbares oder vielmehr die Uneinholbarkeit der Realität im Bild verweisen: Wörter und Bilder gehören getrennten Wahrnehmungssystemen an, die stets nur als Stellvertreter auf eine Realität verweisen, diese jedoch nie selbst verkörpern können (Magritte, 1967). Nicht die Abbildung der Realität, sondern die Visualisierung von Ideen ist sein fotografisches Anliegen. Dem »Romantischen Konzeptualismus« (Jörg Heiser) Bas Jan Aders nahe stehend, untersucht Mol die Bedingungen bildnerischer Bedeutungsproduktion anhand eines ironischen Spiels mit emotionalen Projektionen. Hierbei zielt Mol augenzwinkernd auf die Spannung zwischen der Inszenierung und dem Effekt großer Gefühle. Die Grenzen von künstlerischem Objekt und Alltagsgegenstand werden kontinuierlich neu ausgelotet und die ästhetische Definitionsmacht von Museen, Galerien und Kunstkritik damit ins Spiel gebracht. So durchkreuzen die Arbeiten Mols den üblichen Gegensatz von romantischer Innerlichkeit und konzeptueller Rationalität. Mol ist nicht an einer Kunst interessiert, die sich lediglich als Plattform der Inszenierung seiner eigenen künstlerischen Subjektivität versteht. Er gibt sich der Betrachtung und Wiedererweckung des Vertrauten und Alltäglichen hin, indem er es erfahrbar macht innerhalb des geschützten Raumes der Kunst, wo die kleinste Justierung einen großen Einfluss darauf ausüben kann, wie das Leben, die Welt und unsere eigene Position innerhalb des großen Schemas der Dinge wahrgenommen wird.
Ort: PARROTTA CONTEMPORARY ART bis: 2016-01-23
Künstler: Kilian Breier, Detlef Orlopp, Timm Rautert, Otto Steinert
Thema: Im Nachgang der tragischen Terroranschläge in Paris und dem damit einhergehenden vorzeitigen Abbruch der PARIS PHOTO, haben wir uns dazu entschlossen, unsere dort ausgestellten, seltenen Arbeiten in unserer Stuttgarter Galerie noch einmal zu zeigen. Die Messepräsentation unter dem Titel "BOOTH B38 - PARIS PHOTO 2015" ist ab sofort zu sehen und wird offiziell am Donnerstag, den 3. Dezember 2015 um 19 Uhr eröffnet. Durch die parallelstandfindenden Einzelausstellungen von Oskar Schmidt und Claudia Angelmaier, die beide Meisterschüler von Timm Rautert waren, zeigt die Galerie Parrotta Contemporary Art gleich zwei Generationen von ehemaligen „Lehrer-Schüler“ Beziehungen. Die Ausstellung BOOTH B38 – PARIS PHOTO zeigt im 100sten Geburtsjahr von Otto Steinert, dem Begründer der subjektiven fotografie, ausschließlich seltene Vintage-Fotografien aus den 1950er bis 1970er Jahre von Otto Steinert und drei seiner ehemaligen Schüler Kilian Breier, Detlef Orlopp und Timm Rautert, die selbst viele Jahre Professuren für Fotografie innehatten. KILIAN BREIER (*1931 in Saarbrücken, † 2011 in Hamburg) war einer der führenden Impulsgeber der konkreten und generativen Fotografie der 1950er und 1960er Jahre. Er studierte an der École des Beaux-Arts in Paris von 1952 bis 1953 und – von 1953 bis 1955 – unter Hannes Neuner und Otto Steinert an der Staatlichen Schule für bildende Künste und Handwerk in Saarbrücken. Von 1966 bis 1999 war Breier Professor für Fotografie an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. DETLEF ORLOPP (*1937 in Elbing / Westpreußen) studierte an der Staatlichen Höheren Fachschule für Fotografie in Köln und an der Staatlichen Schule für Kunst und Handwerk in Saarbrücken unter Otto Steinert. Er folgte Steinert 1959 als Werkmeister nach Essen an die Folkwangschule. 1973 wurde Orlopp zum Professor an die Werkkunstschule in Krefeld berufen, wo er bis zu seinem Ruhestand blieb. Im Rahmen des Ankaufes von Detlef Orlopps fotografischen Oeuvre widmete das Museum Folkwang dem Werk des Künstlers unlängst eine umfassende Retrospektive. Wir zeigen Beispiele aus der Serie seiner Seestücke ab 1974. TIMM RAUTERT (*1941 in Tuchel / Westpreußen) studierte von 1966 bis 1971 unter Otto Steinert an der Folkwangschule in Essen. Rautert ist weithin bekannt durch sein innovatives Projekt zur Bildanalytischen Photographie 1968-1974, einer Grammatik der Fotografie. Werke hieraus sind in einer Vielzahl angesehener Museumssammlungen vertreten. 1993 wurde Rautert als Professor für Fotografie an die Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig berufen, eine Position, die er bis 2006 innehielt. Viele seiner Meisterschüler sind heute international erfolgreich etablierte Künstler. Im Rahmen von PARIS PHOTO zeigen wir Fotografien aus den frühen 1970er Jahren, alles Unikate, die in New York und Japan entstanden sind. OTTO STEINERT (*1915 in Saarbrücken; †1978 in Essen) war zwischen 1948 und 1959 einflussreicher Lehrer für Fotografie in Saarbrücken – hier nahmen die Karrieren von Kilian Breier und Detlef Orlopp ihren Anfang – und später zwischen 1959 und 1978 an der Folkwangschule für Gestaltung in Essen. Darüber hinaus war er als Kurator im Deutschland der Nachkriegszeit von großer Bedeutung und kuratierte die berühmte Ausstellungtrilogie subjektive fotografie. Eigens für die Präsentation auf der PARIS PHOTO haben wir ein Booklet publiziert mit einem Essay von Anaïs Feyeux mit dem Titel “Alle Anhänger? Von Otto Steinert zu seinen Studenten: Kilian Breier, Detlef Orlopp und Timm Rautert”.
Ort: PARROTTA CONTEMPORARY ART bis: 2016-01-23
Künstler: Oskar Schmidt
Thema: