Ort: Philipp von Rosen Galerie bis: 2023-10-28
Künstler: Cody Choi
Thema: Wir freuen uns sehr, unsere zweite Einzelausstellung mit Cody Choi am 1. September im Rahmen des DC Open-Wochenendes zu eröffnen. In Animal Totem + NFT zeigen wir datenbasierte Arbeiten auf Leinwand, die digitalen Datendruck mit traditionellen Maltechniken kombinieren, sowie NFTs. Lange bevor sich die Mainstream-Medien so intensiv wie zur Zeit mit dem Thema der Künstlichen Intelligenz beschäftigten und lange bevor damit auch die Kunstwelt geflutet wurde, setzte sich Cody Choi (*1961 in Seoul, wo er lebt und arbeitet), der nicht nur bildender Künstler, sondern auch Theoretiker ist, mit digitalen Daten und algorithmischen Prozessen als Grundlage für Kunst auseinander. Er hatte von 1997 bis 1998 zu Konzepten von Datenerstellung und Digitalisierung von Meisterwerken geforscht und war fest davon überzeugt, dass digitale Daten im 21. Jahrhundert die Vorstellungskraft als Ressource für Kreativität ablösen würden und dass das algorithmisch angestoßene, autonome Wachstum von Daten den kreativen Akt von Künstler/innen ersetzen würde. Cody Chois Arbeit an seinen sogenannten Database Paintings begann 1998 mit einem digitalen Bild, das sein Sohn Joy im Kindergartenalter mit einem Computerzeichenprogramm namens „Crayola Magic 3D Coloring Book“ zeichnete. Choi beobachtete, wie sein Sohn nicht lernte, mit Stiften auf Papier zu zeichnen, sondern mit einer Computermaus auf einem Computerbildschirm. Vor dem Hintergrund seiner theoretischen Überlegungen zu diesem Thema war die Beobachtung des Einflusses digitaler Technologien auf das Lernverhalten und die Kreativitätsentwicklung von Kindern der Anstoß für seine eigene künstlerische Auseinandersetzung mit digitalen Daten und algorithmischen Prozessen. Die digitalen Zeichnungen seines Sohnes waren jedoch nicht nur im übertragenen Sinne die Grundlage, der geistige Anstoß für Chois „datenbasierte Gemälde“, sondern auch im wörtlichen Sinne. Mehr als 10 Jahre bevor der Bitcoin eingeführt wurde, entwickelte Choi Algorithmen, die hinsichtlich der Kettenreaktionen der Blockchain-Technik ähneln. Er exportierte die digitalen Zeichnungen seines Sohnes – Bilder von Katzen und Hunden –, vergrößerte und teilte die Daten und ließ die Algorithmen darüber laufen. So wurden die Zeichnungen einer „intelligenten Schichtung“, unterzogen, wobei sie von 400 bis zu tausende Male übereinandergelegt wurden. In diesem Prozess entwickelten sich – basierend auf den Originalzeichnungen – kontinuierlich und automatisch neue, aufeinander basierende Bilder. Choi hat diese Bilder seinerzeit gespeichert. Heute schafft er aus ausgewählten Bildern die Database Paintings (Datenbasierte Gemälde), ein neues, von ihm initiiertes Genre. Dazu werden die digitalen Bilder als UV-Print auf Leinwände gedruckt und dann partiell mit Acryl bemalt – spätestens damit werden sie aus dem Status des mehr oder minder „digitalen“ Seins in die analoge Welt überführt. So entwickelt Choi mit den Database Paintings einen Hybrid; traditionelle Malerei trifft auf digitale Technologien und Drucktechniken. Chois Beschäftigung mit kulturellen Hybriden hat ihren Ursprung in seiner Biografie und zunächst wenig mit Digitalität zu tun. Er wuchs in Seoul auf, mit Anfang zwanzig musste er mit seiner Familie aus politischen Gründen aus Südkorea in die Vereinigten Staaten fliehen. Während die Familie in Südkorea zunächst ein gutes und materiell gesichertes Leben geführt hatte, lebte sie in den USA, wo sie sich in Los Angeles niedergelassen hatte, ein von Verunsicherung geprägtes Leben – und musste von vorne beginnen. Nachdem er zunächst kurz in Seoul Soziologie studiert hatte, begann er 1985 ein Kunststudium in Los Angeles bei Mike Kelley. Choi erlebte die USA als einen chaotischen und frustrierenden Ort. Die Unterschiede zwischen der amerikanischen und südkoreanischen Kultur machten sich für ihn nicht nur auf zwischenmenschlicher und gesellschaftlicher Ebene bemerkbar, sondern auch hinsichtlich der Kunstpraktiken und des Kunstmarkts. Entsprechend beschäftigte er sich in seiner Arbeit auch mit dem Thema der asiatischen Identitätsfindung in der US-amerikanischen Gesellschaft. Das Interesse des Künstlers an kulturellen Hybriden und sozialen Phänomenen, die sich ständig selbst (re-)produzieren, dehnte sich seit den 1990er Jahren auf die Auseinandersetzung mit der aufkommenden Digitalkultur aus. Die Database Paintings können – psychologisch – als Symbol für den Tod eines autoritären Vaters (die prädigitale Kunst und das kreative, autonome Wesen der Künstler) gelesen werden. Das Totem, das in der frühzeitlichen Ära für soziale Solidarität stand, wird durch das dem Sohn entliehene und digitalisierte Tierbild ersetzt. Choi, der schon sehr früh voraussah, dass die Welt des Digitalen das 21. Jahrhundert dominieren wird, und der verstand, dass die „Doppelhirn“-Struktur, in der virtuelle und reale Dinge koexistieren, alltäglich werden würde, stellt nun auch die Frage, was NFT-Kunst bedeutet – indem er sich selbst als Autor fast herauszieht und den Computer „arbeiten läßt“. Es ist, so findet er, an der Zeit, das Konzept und die ästhetischen Grundlagen der digitalen Kunst zu bestimmen und ihren kunsthistorischen Wert zu überdenken. Cody Choi studierte Kunst am Art Center College of Design in Pasadena, Kalifornien. Er lebte Mitte der 1990er Jahre in New York; mit seiner Ausstellung The Thinker 1996 bei Deitch Projects in New York war er einer der ersten koreanischen Künstler, der sich in einer global vernetzten Welt verortete. Von 2015 bis 2017 hatte er eine retrospektive Wanderausstellung in der Kunsthalle Düsseldorf, im Musée d‘Art Contemporain de Marseille, in den Kunstsammlungen Chemnitz und an der Universität Malaga, die u.a. der britische Kunsthistoriker John C. Welchman kuratiert hatte. Choi war in 2017 einer der beiden Künstler, die Südkorea in Venedig auf der Biennale repräsentierten. Seit 2003 lebt er wieder in Seoul, wo er eine Professur innehat. Zu seinen Veröffentlichungen gehören Topography of 20th Century Culture (2006) und Topography of Contemporary Culture (2010), die sich kritisch mit der zeitgenössischen Gesellschaft und Kultur auseinandersetzen. Für weitere Informationen und Bilder wenden Sie sich bitte an die Galerie.
Ort: Philipp von Rosen Galerie bis: 2022-06-04
Künstler: Nic Hess
Thema: In seinem Werk verwebt Nic Hess in zugleich handwerklich präziser und intellektuell scharfsinniger Manier Motive, die aus der Demontage von Materialien unterschiedlicher Herkunft stammen zu neuen Bildeinheiten. Ein aufwändiger Prozess der Zerlegung löst (Marken-)Symbole, Logos und Piktogramme einer universellen Konsumkultur, aber auch Ikonen aus Politik und Kulturgeschichte aus ihren ursprünglichen Kontexten. Aus diesem umfassenden Bildfundus schöpft Hess kontinuierlich, um neue Bedeutungszusammenhänge und pointierte Bildaussagen zu generieren, die sich mitunter objekthaft in die Dreidimensionalität ausdehnen und in klar austarierten Installationen direkt auf die unmittelbaren räumlichen Gegebenheiten beziehen. Schon im Eingangsbereich begegnet man der undogmatischen Kombinatorik von Nic Hess, einer raffinierten Zusammeführung von Elementen aus konträren Bezugssystemen. Vor einer Wand, die mit verschlungenen Kurven aus Tape-Bändern beklebt ist, steht ein Podest mit einem liegenden Huhn, das ein Ei ausbrütet. Vor diesem Hintergrund, den Hess mit einem struppigen „Nest“ vergleicht, schlüpft statt des zu erwartenden Kükens ein Alligatorbaby. Dieser offensichtlichen, an die Gestalt eines Wechselbalg gemahnenden Unvereinbarkeit, wohnt eine unheilvolle, zumindest aber verunsichernde Ahnung einer aus den Fugen geratenen Ordnung inne: Sowohl als lakonischer Kommentar auf gesellschaftliche Fragen von Diversität, Distinktion und Diskriminierung gerichtet, als auch in Anspielung auf weltpolitisch aktuell bestehende Konfliktsituationen, in denen die Grenzen zwischen dem Eigenen und dem Anderen scharf und sogar mit kriegerischen Mitteln gezogen werden. Die filigrane Form an der gegenüber liegenden Wand hat Hess aus Operationsbesteck zusammengefügt. Es handelt sich einerseits um Einwegware aus China, die nach einmaligem Gebrauch entsorgt wird. Andererseits verwendet bzw. verwertet Hess genau die chirurgischen Utensilien, die der Arzt bei einem Eingriff an ihm selbst gebraucht und ihm anschließend überlassen hat. Sternförmig arrangiert ergeben die unterschiedlichen Größen und Öffnungsgrade der Scheren eine übergeordnete ornamentale Kreuzform, die sich als makabres Selbstportrait herausstellt. In den akribischen Papierarbeiten von Nic Hess treffen die Farbfelder von Richard Paul Lohse und das Twitter Logo zusammen, das Konterfeit von Berlusconi und eine Mondgesicht-Illustration verschmelzen, die Pokèmon Zeichnung des Sohnes setzt sich in einem streng konstruktivistischen Liniengerüst von Piet Mondrian fort. An anderer Stelle tritt das Spielfeld von Mensch Ärgere Dich Nicht, vervielfältigt und verschachtelt, in Erscheinung. Die Stuhlklassiker von Vitra werden in einem üppigen Blumenstrauß gereicht, von dem schon einige welke Blüten gefallen sind. Seit einigen Jahren nutzt Hess die reichhaltigen Bibliotheksbestände seines verstorbenen Vaters, die eine große Anzahl an Bildbänden und Katalogen, aber auch Plakaten aus den Bereichen Bildender Kunst, Architektur und Design, enthielt. Daraus ergab sich die intensive Auseinandersetzung mit Ferdinand Hodler. Ihm ist auch der Ausstellungstitel Ferdinand gewidmet, der zugleich Würdigung und persönliche, vertrauliche Ansprache ist. Denn Hess ist seinem Landsmann näher gekommen, hat das Leben und Werk dieses bedeutendsten Schweizer Malers der frühen Moderne in zahlreichen Büchern buchstäblich auseinandergenommen und systematisch seziert. Dabei ist auch Biografisches in den bildhaften Vordergrund gerückt. So setzt sich die Collage Ferdinand aus Fragmenten von Gemälden Hodlers zusammen. In der Mitte befindet sich ein Selbstportrait Hodlers, von Hess dynamisch schwungvoll ausgeschnitten um die kreiselnde Bewegung der gesamten Komposition aufzunehmen. Ausgehend vom Kopfbildnis fächert sich eine Reihe von blauvioletten Bergketten zum Gewand auf. Die zackige Silhouette der Gebirgsformationen setzt sich geradezu „natürlich“ fort in den hervorstehenden Wangenknochen und eingefallenen Gesichtszügen der Geliebten Hodlers, die er auf dem Sterbebett portraitiert hat. Ihr markantes Profil lockert Hess auf durch eine Gruppe von Delfinen. Fast scheint es, als würde Hess mit diesem fast dekorativ anmutenden Eingriff die Auflösung des schmerzhaften Motivs und somit emotionale Erlösung herbeiführen. Hess‘ reflektierter Umgang mit Bildmaterial schlägt sich nicht nur formal, sondern auch inhaltlich nieder. Durch äußerst geschmeidige Übergänge bzw. nahtlose Verbindungen der Konturen und Linien stellt er den Eindruck einer formalen Geschlossenheit her, der über die extreme Uneinheitlichkeit und bisweilen brutale Widersprüchlichkeit der Motive und Sujets hinwegzutäuschen vermag und auch die Vorherrschaft bestimmter, sofort wiedererkennbarer Bilder nivelliert. Im Rhythmus zwischen Verdichtung und Auflösung bindet der elegante, linienbetonte Fluss seiner Kompositionen alle Fragmente behutsam ein und setzt sie in Beziehung zueinander, um neue Gewichtungen vorzunehmen. Dies betrifft auch die Ausstellung selbst. Im Untergeschoß stellt eine stellenweise herzrhythmisch ausschlagende Linie überraschende Verbindungen zwischen den heterogenen Elementen der Installation her. Neben dem akribischen Aneinanderfügen von Ausschnitten zu einem bildnerisch kongruenten Zusammenhang, ist das Werk von Hess bestimmt durch die eingehende Beschäftigung mit den Bildsprachen der jeweiligen Künstler, auf deren Reproduktionen er zurückgreift. Vor dem Hintergrund seiner Aneignung der charakteristischen Stilmerkmale, konstruiert er die „Brooklyn Bridge“ in der Art von Piet Mondrian aus der Strukturierung des Bildraumes mittels rechtwinkliger – sich hier und da spielerisch verbiegender – Liniengefüge und dem farblichen Dreiklang Rot-Blau-Gelb. Portraits von Hodler führt Hess mehrfach im surrealistischen Sinne von René Magritte aus. Die plakative Pop Art-Sprache von Roy Lichtenstein komprimiert er zu einem Motiv, welches als Wappentier an propagandistische Formeln erinnert, jedoch durch die Brüchigkeit seiner Bestandteile und die damit einhergehende Unbeholfenheit als Karikatur derselben erscheint. Hintersinnig überlagert Hess die fremdenfeindliche Darstellung eines politischen Plakats, die im sprichwörtlichen schwarzen Schaf verbildlicht wird mit der Aufnahme einer Geisha, die gerade dadurch hervorsticht, dass ihre Haut – obgleich künstlich getüncht– besonders weiß ist. Hess illustriert eindrücklich das sprichwörtliche Schwarz-Weiß und die damit einhergehenden undifferenzierten Sichtweisen und Klischees, die sich als konstruierte – und gleichsam fiktive – Vorstellungen und Vorurteile erweisen. Eine ausgeprägt bild- und informationskritische Haltung nimmt Hess ein in einem Werk, welches prominent an der Stirnwand der Galerie angebracht ist. Auch hier verwendet er ausschließlich Ausschnitte aus Landschaftsgemälden von Ferdinand Hodler, die er einer gelben und einer blauen Fläche zuordnet. Ihre zusammengesetzte Form entspricht den territorialen Umrissen der Ukraine, die sich hinter einem stilisierten Vorhang aus parallelen schwarzen Balken abzeichnet. Wie ein vorgeblendeter medialer Filter, trägt dieser zur möglichen Verfälschung des Bildes bei. Zu beiden Seiten des umkämpften Landes, tarieren Vater und Sohn auf einer Wippe das Kräfteverhältnis in ihrer Konstellation neu aus: Wer sitzt am längeren Hebel? Bettina Haiss, April 2022
Ort: Philipp von Rosen Galerie bis: 2022-03-26
Künstler: Koen van den Broek
Thema: Wir freuen uns, am 21. Januar 2022 Tango in Paris, unsere achte Einzelausstellung des belgischen Malers Koen van den Broek, zu eröffnen. Diese Ausstellung markiert eine inzwischen 16 Jahre dauernde Zusammenarbeit, was uns mit Stolz und Freude erfüllt. Wie schon in seinen früheren Ausstellungen basieren auch die aktuellen Gemälde van den Broeks auf Fotografien, die der Künstler selbst aufgenommen hat. Ihm ist dieser Aspekt, dass er sich nicht Bildvorlagen dritter Personen bedient (und auf diese Weise einen Teil der kompositorischen Bildentstehung an eine dritte Person delegiert) und auch nicht Inhalte dritter Personen in sein Werk einbezieht, wichtig. Mit der Verwendung der eigenen Bilder komponiert van den Broek – auf formaler Ebene – die Bilder so, wie er sie haben will. Im Atelier werden dann aus einer Vielzahl an Fotografien diejenigen Bilder ausgewählt, die ihm für ein Gemälde geeignet erscheinen. Inhaltlich, so kann man es beschreiben, markiert er auf der Weltkarte die Orte an denen er sich aufgehalten hat, schafft ein visuelles Tagebuch. Bemerkenswert ist außerdem, dass der Prozess der Bildentstehung durch die Verwendung der eigenen Fotografien, die kaum verändert, allenfalls etwas abstrahiert, in die Gemälde übertragen werden, extrem ausgedehnt wird: Die Kunstwerke entstehen nicht allein und erst im Atelier, sondern schon unterwegs, auf seinen Reisen und im Kopf. Wie der Ausstellungstitel vermuten lässt, liegen einigen der Gemälde aus Tango in Paris Fotografien zu Grunde, die in Paris entstanden sind. Die Reise dorthin in 2021 war nach den Monaten des Lockdowns die erste von Koen van den Broek unternommene Reise. Sie führte ihn nicht in die USamerikanischen Wüsten oder Großstädte im Westen der USA, wohin er in früheren Jahren immer gefahren war, sondern an einen anderen Sehnsuchtsort, der auch schon zuvor in seinem Œuvre eine Rolle gespielt hat. Paris ist aber nicht nur ein Sehnsuchtsort, sondern auch der Ort der Erfindung des ersten kommerziell nutzbaren Fotografie-Verfahrens. Es war maßgeblich von Louis Daguerre entwickelt worden. Genaugenommen bediente er sich einer Camera Obscura und belichtete für seine – von ihm dann so genannten – Daguerreotypien einen Bildträger, der das auf die Rückseite der Lochkamera projizierte Bild festhielt und damit verewigte. Diesen kurzen Exkurs in die Technikgeschichte der Fotografie erlaube ich mir deshalb, weil die Gemälde Koen van den Broeks, die er nach Fotografien von Bildern, die sich in Pfützen in Paris spiegelten, in zweierlei Hinsicht damit in Verbindungstehend gesehen werden können: Zum einen stehen Bilder, die auf der Rückwand einer Camera Obscura zu sehen sind, immer auf dem Kopf. Das tun die „Darstellungen“ nach den Spiegelungen in der Wasseroberfläche der Pfützen van den Broeks auch, als wären es Bilder einer solchen Lochkamera. Zum anderen sind die Bilder in einer Camera Obscura Momentaufnahmen eines ganz bestimmten Augenblicks. Wie wiederum die Bilder, die wir in Pfützen gespiegelt sehen. Der ganz präzise Ort, Winkel zur Pfütze, und Zeitraum, liefert uns ein ganz bestimmtes Bild. Bei jeder zeitlichen und räumlichen Verschiebung verändert es sich. Und erst durch die Belichtung einer lichtempfindlichen Oberfläche konnte die Fotografie die ihr zugesprochene Indexfunktion erlangen, erst mit der Bewahrung des Bildes lässt sich die Spur der Wirklichkeit ablesen. Auf diese Vergänglichkeit des ursprünglichen, quasi-fotografischen Bildes spielt van den Broek mit seinen Gemälden an, nicht zuletzt auch damit, dass solche abgebildeten Objekte, die gerade Kanten haben (wie zum Beispiel ein Laternenpfahl), wellig gemalt sind und damit die Bewegung der Wasseroberfläche in das (Ab-)bild der Wirklichkeit integrieren. Noch ein anderer technischer Aspekt der Fotografie spielt in unser Ausstellung Tango in Paris eine Rolle: die beiden Gemälde On und Off zeigen denselben verrotteten Laster in der Wüste, und zwar in einem Moment kurz vor dem Sonnenuntergang. Für die beiden Bilder hat van den Broek sich nicht bewegt, sie sind vielmehr von genau der gleichen Stelle kurz nacheinander entstanden. Der Unterschied zwischen den beiden fotografischen Vorlagen ist allerdings, dass das eine Foto ohne, das andere mit Blitz entstanden ist. Der Blitz, den wir ja nicht in uns eingebaut haben und auch mit unserem menschlichen Auge, unseren biologischen Gegebenheiten nicht imitieren können, sondern nur mit den technischen Hilfsmitteln, die wir unter Umständen bei uns haben, führt zu einem völlig anderen Bild, zu völlig unterschiedlichen Dingen, die sich für unser Auge in den Vordergrund schieben. Die Abhängigkeit unseres Sehens, die technische Bedingtheit unserer Bilder führt uns van den Broek auf diese Weise vor Augen. Während die Gemälde nach den Spiegelungen in Paris scheinbar abstrakte Kompositionen sind, sind die Gemälde nach den Aufnahmen von den Lastwagen scheinbar figurativer, narrativer. Es bleibt aber festzuhalten, dass der Grad der Abbildung von Wirklichkeit in beiden Gruppen gleich ist. Bei den Spiegelungen aus Paris führt van den Broek nur eine weitere Ebene ein, nämlich die Spiegelung von Wirklichkeit in der Wirklichkeit. Philipp von Rosen, Januar 2022