Ort: Sebastian Brandl bis: 2009-07-30
Künstler: Vincent Michéa
Thema: Seinen beiden großen Lieben huldigt der französische Künstler Vincent Michéa in seiner zweiten Einzelausstellung in Köln: Der Architektur der senegalesischen Hauptstadt Dakar und der Populärmusik Westafrikas. Die Verschmelzung dieser Themen in seinen plakativen Acryl-Gemälden aus dem Jahr 2009 entspricht den vielfältigen Korrespondenzen unter den Kulturen, zwischen denen sich der Maler hin- und herbewegt. In Dakar hat der 1963 geborene Franzose von 1991 bis 1995 gelebt, und bis heute pendelt er zwischen diesem 'Paris Afrikas' und dem Paris seiner Heimat. Beide Metropolen sind Schmelztiegel verschiedener Ethnien, die kulturelle Szene beider Städte wird von der Musik entscheidend mitgeprägt und das architektonische Erscheinungsbild Dakars ist stark beeinflusst durch die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Paris entwickelte Négritude-Bewegung, die die Entwicklung einer neoafrikanischen Kultur propagiert. Paris ist zu dieser Zeit Treffpunkt der afrikanischen Intellektuellen, die, durch das französische Bildungssystem von ihren kulturellen Wurzeln weitgehend entfremdet, eine Rückbesinnung auf ihr afrikanisches Erbe fordern. In Literatur, Politik und – angesichts einer großen Analphabetenrate –besonders auch im Film wird das Ringen um eine zeitgenössische afrikanische Identität reflektiert. Mit Erlangung der nationalen Souveränität Senegals um 1960 schwappt die Bewegung auch nach Dakar über und wird dort besonders in der Architektur zum Katalysator einer eigenen afrikanischen Formensprache, die vor allem in neueren administrativen Bauten ihren Ausdruck findet: Die plastische Gestaltung der Fassaden verleiht diesen maskenartige Züge, die traditionellen Muster von Stoffen dienen als Vorlage für die Ornamentik von Gebäuden. Heute ist Dakar ein architektonisches Konglomerat aus kolonialistisch geprägten Bauten, Einflüssen aus Art Deco und Jugendstil, Versatzstücken überlieferter landestypischer Bauweise, Zitaten des französischen Klassizismus, Repliken alter afrikanischer Lehmhäuser oder islamischer Moscheenarchitektur. Die koloniale Vergangenheit Dakars, vielerorts in der Stadt noch erkennbar, verschwindet zusehends und muss Neubauten weichen, entweder zugewuchert vom nicht mehr kontrollierbaren Wildwuchs der urbanen Entwicklung, oder getilgt von den halbherzigen stadtplanerischen Bemühungen, diesem entgegen zu treten. Spekulation und das Nichteingreifen der Verwaltung stehen im Kontrast zu den überdimensionierten öffentlichen Bauten, die wie vergebliche Muskelspiele des Staates wirken: Großzügige Alleen und sternförmige Plätze nach französischem Vorbild sollen seine Macht und Kontrolle repräsentieren. Doch diese europäischen Stadtmodelle wie z. B. das, bereits 1999 vom Göttinger Architekten Jochen Brandi initiierte, ambitionierte Stadtplanungsprojekt «Projekt Dakar 2030» haben wenig mit der tatsächlichen wirtschaftlichen und sozialen Situation zu tun. Das jüngste ehrgeizige Vorhaben, die Realisierung des futuristischen 'Tour Khaddafi', des ersten 'Solar-Wolkenkratzers' der Welt, bezeugt den Wunsch, aus Dakar ein Dubai West- und Zentralafrikas zu kreieren, und das Interesse am Erhalt der bestehenden Gebäude schwindet. Auch ein anderes Erbe ist vom Verschwinden bedroht: das der westafrikanischen Musik, die Elemente aus Jazz, Mambo, Samba etc. vereint und der eine hohe Integrationskraft zukommt. Das Nachtleben Dakars findet hauptsächlich in Musikclubs statt, und auch tagsüber ist in der Stadt der vom Sänger Youssou N’Dour begründete 'Mbalax' allgegenwärtig, der traditionelle senegalesische mit afro-kubanischen Elementen verbindet. Vincent Michéa besitzt eine umfangreiche Plattenkollektion mit Veröffentlichungen verschiedenster Musikrichtungen des Kontinents seit 1945, aus deren Fundus er auch gestalterische Versatzstücke schöpft. In seinen jüngsten, in der Ausstellung gezeigten Arbeiten verknüpft er eine Hommage an die Architektur Dakars mit der an die Musik. Oszillierend zwischen Fanpostern von Popidolen, Plattencovers und propagandistischen Plakaten zitieren die Bilder Michéas unterschiedliche Stilmittel und schaffen eine vielschichtige Synthese aus Film, Musik und Architektur: Ihre kontrastreiche Ästhetik verweist auf die krassen Gegensätze, die den Alltag Dakars bestimmen und scheint diese gleichzeitig schablonenhaft zu bereinigen. Rastertechnik dient als Verweis auf die der Massenproduktion entspringenden Bildquellen, die der Künstler zunächst abfotografiert, dann digital bearbeitet und in Umrissen auf die Leinwand druckt, bevor der Malprozess beginnt. Die plakative Wirkung verdankt sich einer Reduktion der Palette auf wenige Farben und der Zurücknahme der Tiefendimension wie auf mittelalterlichen Ikonen. Starke Schattenwürfe vermitteln die gleißende Hitze in der Stadt auf der vulkanischen Halbinsel Cap Vert, hinter allem strahlt der intensiv blaue Hintergrund des wolkenlosen südlichen Himmels als Bluescreen, auf die die Architektur projiziert wird. Die Serie 'Dakar, Zone B' von Bildern im Format von 100 x 100 cm, das mit den Proportionen einer Plattenhülle korrespondiert, ist eine Hommage an die 'B-Seite' der Stadt und deren Hinterhöfe als Stätten der Produktion und Rezeption von Musik und als Orte, an denen der banale und oft entbehrungsreiche Alltag jenseits der Schauseite Dakars sich zur Bühne für Starkult wandelt: Im immer gleichen, beiläufigen Setting eines Hinterhofs werden als 'Bild im Bild' verschiedene Musikalben populärer Bands präsentiert. Eine karge Treppe wird zum Sockel, z.B. für 'Star Number One' von 'Jangaake' oder für 'Xalis', ein Album von 'Ètoile de Dakar'. Der Stern des 'Stars Dakar' leuchtet auch in anderen Arbeiten über den Gebäuden, die wie die Konterfeis der UFA-Stars der 30er und 40er Jahre auf Filmplakaten oder der Parteihelden auf politischen Affichen in leichter Untersicht in Szene gesetzt werden. Michéas schematisierende Malweise wirkt überhöhend und distanzierend, doch wird diese Distanzierung mittels der Perspektive gelegentlich aufgehoben: So verschmilzt der Betrachter mit der durch grobe Rasterung anonymisierten Rückensilhouette einer Figur auf einem der Gemälde. Er teilt deren nostalgischen Blick auf eine den Zeiten scheinbar enthobene Stadtkulisse, und trotz des standardisierten Panoramas vertraut er der 'High Fidelity', der getreuen Wiedergabequalität des Zeugen Vincent Michéa. Birgit Laskowski
Ort: Sebastian Brandl bis: 2009-06-06
Künstler: Timo Behn, Christian Berg, Kerstin Fischer
Thema: Timo Behn (*1973) ist seit 2007 Meisterschüler von Ottmar Hörl an der Nürnberger Kunstakademie und lebt und arbeitet in Berlin. Zu seiner seit 2007 entstandenen Werkgruppe der 'NEONEO-Paintings' – eine Begriffsfindung, die auf die Neo-Geo-Bewegung der 80er Jahre, aber ebenso auf die Verwendung von grellen Neonfarben anspielt – gehört auch das in der Ausstellung gezeigte Bild (Öl, Lack auf Leinwand, 280 x 195 cm, 2009). Im Gegensatz zu den gegenständlichen Themen in der Serie 'Funny-Paintings' arbeitet Timo Behn bei den 'NEONEO-Paintings' abstrakt. Die Komposition setzt sich ausnahmslos aus eckigen geometrischen Grundformen zusammen, die jeweils zur Gänze durch eine Farbe definiert sind. Nicht immer ist die Leinwand durch das Sujet nahtlos bedeckt – oft bleiben weiße Areale frei, um als paradoxes Indiz eines Informationsüberschusses zu agieren. Dort, wo zwei Felder aneinander stoßen, hat der Künstler teilweise die Kanten durch eine Konturlinie in einer dritten Farbe betont. Durch diese Hervorhebung des Linearen wird eine konstruktivistische, architektonische Tendenz in den Arbeiten erzielt. Vielfach überlagern sich die Farbformen; diese Überschneidungen bleiben manchmal transparent, an anderer Stelle kommt es zu deckenden Schichtungen. Auch die beiden Werkstoffe Lack und Acryl arbeiten in diesem Sinne. Sämtliche Exponate der Serie bestehen aus zwei gleich großen Leinwänden, die auf Stoß gehängt werden und so ein Tableau bilden, deren Strukturen partiell ihre Fortführung in der jeweils gegenüberliegenden Bildhälfte finden. Für Timo Behn ist diese radikale Zäsur in der Bildmittelachse die Fortführung einen Prinzips, das er bereits bei den 'Funny-Paintings' mit einem senkrechten Strich über die Bildfläche einführte. Er erreicht immer neue Varianten seiner Ausgangskomposition, indem er die Hälften dreht bzw. zwischen hoch- und querformatiger Hängung wechselt. Im Widerspruch zur kontrollierten und strengen formalen Anlage stehen der Duktus des individuellen Farbauftrags und die visuelle Bewegung und Dynamik, die die Arbeiten ausstrahlen. Bedingt durch die perspektivische Wirkung von hellen und dunklen, kalten und warmen Farben, organisiert das Auge des Betrachters das formale Angebot zu virtuellen Raumfragmenten. Es kommt zu einem beständigen Kippen, Zurückweichen und Vorwärtsdrängen einzelner Teile. Nicht nur in seinem Arbeitsprozess, der ein erneutes Bearbeiten eines beendeten Werkes regulär beinhaltet, verweigert Timo Behn damit das endgültige Bild. Und auf diese Weise verhalten sich seine Bilder analog zu seiner Definition von Wirklichkeit: als simulierte Konstrukte, die sich fortwährend unserem Zugriff entziehen. Christian Berg (*1972) lebt und arbeitet in Köln. Von 1993 bis 1998 absolvierte er ein Graphikdesignstudium. Seit Abschluss seines Studiums an der Düsseldorfer Kunstakademie (2000–2004) ist er Meisterschüler von Georg Herold. Aus der schwarz-weißen, 250 Zentimeter hohen Betonplastik mit einem Durchmesser von ca. 17 cm ragen am oberen Ende Eisenstäbe heraus, mit denen die schräg an der Wand lehnende Arbeit Kontakt zum Galerieraum aufnimmt. Aufgrund ihrer Größe und des weiten Winkels, in dem sie ohne weitere Befestigungen an der Wand lehnt, erlebt der Betrachter sie als physisch sehr präsent, vielleicht sogar bedrohlich. Der Künstler verwendet die Materialien Holz, Sandstein und Beton; der Beton wird von Beginn an in Schwarz-, Weiß- und Grautönen in der Masse gefärbt – damit ist Farbe keine additive Oberflächenqualität, sondern substantielle Materialeigenschaft. Seit 2006 experimentiert Berg mit einem eingegrenzten Repertoire an bunten Farben wie Rot, Grün und Gelb. Die lakonische Schlichtheit der matten, inhomogenen Betonoberflächen, ihre Rohheit und Archaik fördern den strengen abstrakten Grundcharakter der Werke, können aber auch ambivalent wahrgenommen werden, da die Assoziation an das Material als aus dem Alltag bekannter Baustoff wie eine unterschwellige Tonspur mitläuft. Innerhalb des Œuvres findet man zwei Gruppen von Arbeiten: Symmetrische Strukturen, die eine Grundform – häufig kubischer Natur – multiplizieren sowie die komplexeren bzw. geschlosseneren 'Architekturen', die wegen der Identifikation als gegenständliche Wand-Dach-Fenster-Kombinationen und durch das 'Baumaterial' Assoziationen an Gebäude, Bunker etc. aufkommen lassen. Andere Werke des Künstlers wiederum erinnern im ersten Moment an das urbane Arsenal von Brücken, Grenzen, Straßenmarkierungen, Pfosten etc. Diese Bedeutungsfelder werden angerissen und berührt, in der tatsächlichen Konsequenz der Arbeit aber wieder verlassen und verfremdet, um die grundsätzlich abstrakte Verfasstheit des Œuvres zu behaupten. Schließlich fällt auf, dass die Plastiken von Christian Berg unterschiedliche Positionen an ihrem Ausstellungsort beanspruchen: Einige stehen autonom mitten im Raum, andere sind an die Wand gelehnt bzw. berühren sie mit einer Kante und artikulieren darin auch so etwas wie eine Gerichtetheit. Die zur Stabilisierung verwendeten Armierungseisen formt der Künstler an ihrer Austrittsstelle und integriert sie so in das Gesamtkonzept, teilweise belässt er sie wie bei der ausgestellten Arbeit in ihrem Zustand. Damit provoziert er den Eindruck des Unabgeschlossenen; auch die Spannung zwischen individueller Ganzheit und Modulcharakter klingt hier an. Kerstin Fischer (*1981) lebt und arbeitet in Köln. Sie studierte von 2000–2006 an der Kunstakademie Düsseldorf bei Martin Gostner, Rita McBride und Jan Dibbets, dessen Meisterschülerin sie 2004 wurde. Das Werk von Kerstin Fischer, in dem sich Skulpturen, Objekte und Installationen ebenso finden wie Photographie, Zeichnung und Malerei, wirkt sehr klar, leicht, zart und verspielt, gleichzeitig reduziert und fast minimalistisch. In ihrer Herangehensweise legt die Künstlerin Wert auf eine möglichst konsequente Reduktion der bildnerischen Sprache auf elementare Formen. Ziel ist dabei, eine verbindliche Aussage über die Wirklichkeit zu leisten – oder auch die bestehenden 'Gesetze' zu kippen. Vermittelt die Künstlerin bei einem Teil ihrer Werke den Eindruck einer nahezu wissenschaftlichen Recherche, deren Ergebnisse in einem Mappenwerk festgehalten werden, trifft man an anderer Stelle etwa auf eine Arbeit aus drei bunten Luftballons oder auf zartfarbige, ephemere Aquarelle. Zur Klarheit der Form gesellt sich die Einfachheit der gewählten Materialien: Papier, Klebeband, Stoff etc. Ein durchgängiges Thema ist das Entwickeln von Strukturen, ihre Regelmäßigkeit sowie die geringfügigen, unauffälligen Abweichungen davon. Die Falte tritt als besondere Spielart dieser Auseinandersetzung auf. Sie ist Linie, in der sich zeitliche und räumliche Tiefe verbirgt. Vor diesem Hintergrund entfaltet sich die Dimension und ästhetische Kraft der neuen Wandarbeit (ca. 280 x 370 cm) der Künstlerin, die aus mehreren Schichten Wandfarbe, Seidenmalfarbe, Acrylfarbe und Bleistift eigens für die Galerieräume geschaffen wurde. Dieses differenzierte und detailreiche Werk aus malerischen Segmenten, Ritzungen und Pastellfarben im Kontrast mit Schwarz fordert zu genauer Wahrnehmung heraus. Wie ein zeitgenössisches Palimpsest breitet sich auf der Wand eine Formation aus, die aus der Ebene des Malgrundes nach vorne und hinten treibt, teilweise den Putz durchbricht und bis zum Mauerwerk vordringt. Die Künstlerin baut die Arbeit schichtweise auf, um sie dann partiell wieder aufzureißen. Es gelingt ihr dabei, an die äußerste Grenze einer Räumlichkeit der Fläche zu gehen, ohne illusionistisch zu werden. Das Auge sucht das Spiel der Farb- und Spachtelschichten, der gezeichneten und gekratzten Linien miteinander, ihr Aneinander- und Übereinanderlagern zu ordnen und trifft immer wieder auf eine Komposition, die an jeder Stelle plausibel, überraschend und dicht ist. Gabriele Wurzel
Ort: Sebastian Brandl bis: 2009-04-11
Künstler: Andrew Frost
Thema: Malerei
Ort: Sebastian Brandl bis: 2009-02-28
Künstler: Leif Erich Christensen
Thema:
Ort: Sebastian Brandl bis: 2008-08-01
Künstler: Jan Stieding
Thema: 1966 geboren und aufgewachsen in der ehemaligen DDR, studiert Jan Stieding zunächst von 1991–94 an der Hochschule für Bildende Kunst in Dresden und setzt seine künstlerische Ausbildung ab 1995 an der Düsseldorfer Akademie in der Malereiklasse von Jörg Immendorff fort, dessen Meisterschüler er seit 1998 ist. Die Galerie Sebastian Brandl zeigt vom 14. Juni bis 1. August 2008 neue Arbeiten des Künstlers, darunter zwei großformatige und einige kleinformatige Ölbilder sowie ca. 10 Aquarelle. Jan Stieding bearbeitet seine Leinwände in drei Phasen: Zunächst – in unaufgezogenem Zustand – auf dem Boden liegend, dann an die Wand getackert und schließlich auf Keilrahmen aufgespannt. Die horizontale Position des Bildgrundes zu Beginn ermöglicht den Auftrag der stark verdünnten, sehr flüssigen Ölfarben, die so ihren typischen Charakter verlieren und eher wie Acrylfarben oder sogar fast wie Kreiden wirken. So verwandeln die Farblachen das Leinen in eine reliefartige Hügel-Tal-Landschaft, die nach dem Auftrocknen Verdichtungen und Schleier aufweist und auf bleibende Weise den Bildgrund haptisch durchformt. Stieding steuert zwar die prozessualen Abläufe, doch er gesteht ihrer Eigendynamik und Unvorhersehbarkeit gleichzeitig einen Raum zu, in dem sie überhaupt erst geschehen können. Zusätzlich modifiziert der Künstler die Malfläche durch Lackspray, Kohle und das Aufkleben von Alutape, welches teilweise wieder übermalt wird und sehr plane und reflektierende Partien erzeugt. Seine Motive wählt der Künstler unter anderem aus Filmen und Zeitungen, beispielsweise hat er wiederholt Stills aus Michelangelo Antonionis 'Blow up' verwendet. Die Tatsache, dass er Zeitungen als Quelle benutzt, offenbart eine gewisse Orientierung am gesellschaftlichen Zeitgeschehen, an einer historischen Dimension seiner Arbeiten, die immer wieder aufscheint, ohne dass damit eine konkrete politische Stellungnahme angesprochen werden soll. Während Jan Stieding bis etwa 2005 auf seine frühere ostdeutsche Umwelt reflektierte in Arbeiten, die fast nostalgisch wirken, untersucht er gegenwärtig 'das Leben der anderen', also jener Individuen, deren Lebensmodelle sich vom streng geordneten Alltag des Durchschnittsbürgers unterscheiden. In den grundsätzlich figurativen Arbeiten, die neben Einzelpersonen bzw. -porträts immer wieder Gruppenkonstellationen und deren formale Reize in den Mittelpunkt stellen, halten sich atmosphärischer Ausdruck und gegenständlicher Realitätsbezug die Waage: durch die unscharfen Konturen, die diffusen Gegenstandsoberflächen und die resultierende Vagheit der Stofflichkeiten werden Personen und Dinge angedeutet, aber nicht ausformuliert. Stieding produziert ein optisches statt taktiles Tableau, und daher erinnern seine Werke, nicht zuletzt wegen der verwendeten bunten, aber nie in grellen Konfrontationen auftretenden 'Farbcharaktere' mitunter auch an impressionistische Kompositionen. Auf 'A Raining Day' (2008, 200 x 160 cm), das Gordon Matta-Clark auf einem Container sitzend zeigt, widmet der Künstler mehr als die Hälfte des Bildes einer autonomen Fläche, die weder Raum noch Gegenstand ablesen lässt. Sie besteht aus einzelnen, zarten Farbimpulsen in Blau, Violett und Orange mit einer ausgesprochen heiteren und harmonischen Wirkung. Immer wieder trifft der Betrachter bei Stieding auf Areale, die von Farbsprenkeln, -schlieren und -geäder gekennzeichnet sind und an Sedimentablagerungen oder Maueroberflächen erinnern, Orte, an denen sich der Fokus vom inhaltlichen Thema zum malerischen Sujet und seinen Grundparametern verlagert. So auch bei dem Hauptwerk der Ausstellung (o.T., 2007/2008, 200 x 280 cm), das zunächst einen höchst dramatischen Moment wiederzugeben scheint: Eine junge Frau hat sich inmitten eines Gräberfeldes auf den Boden geworfen – man fragt sich unwillkürlich nach dem Hintergrund der Szene, wer oder was hier betrauert wird, ob es sich um ein individuelles Schicksal handelt oder eher um die politisch-historische Dimension von Kriegsszenarien. Spätestens beim Erkennen der schablonierten abstrakten Symbole auf den Grabsteinen – und nach Wahrnehmen des flirrenden, fast von innen leuchtenden, farblichen Fluidums nimmt man die sukzessive Auflösung der thematischen Schwere wahr und erkennt, dass die gewählten Motive bei Stieding den Anlass des Bildes, sein 'Korsett' liefern, aber nicht seine Tiefenschicht ausmachen. Die im Ausstellungstitel angesprochenen Protagonisten der Alternativkultur sind vor allem auf den kleinformatigen Ölbildern und den Papierarbeiten in aquarellartig verwendeten Gouachefarben präsent. Porträts – oder besser männliche und weibliche Gesichter, die nicht identifizierbar sind, schemenhaft bleiben. Durch die monochrome Anlage kann sich der Blick hier völlig auf die strukturellen Feinheiten und die Schichtung der dünnen Farbhäute konzentrieren. Wie in den großformatigen Arbeiten, geht der Künstler auch hier seiner Lust am Prozesshaften nach. Die vertikale Bewegung der Rinnsale nutzt er für bewusst angelegte Strukturen aus, welche bisweilen wie vegetabile Wucherungen, Fortschreibungen des durch das Ausgangsmotiv 'vorgeschriebenen' Rahmens, wirken. Gabriele Wurzel
Ort: Sebastian Brandl bis: 2008-06-06
Künstler: Katharina Jahnke
Thema: Katharina Jahnke (*1968 in Berlin) studierte von 1990–1992 an der Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main bei Prof. Wolfgang Luy und anschließend von 1992–1997 an der Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Irmin Kamp und Prof. Hubert Kiecol. Seit 2007 hat sie einen Lehrauftrag an der Düsseldorfer Akademie. Sie lebt und arbeitet in Köln. Unter dem Titel 'Somnia' werden in der Galerie Sebastian Brandl neue Tuschezeichnungen aus der Anfang 2006 begonnenen Serie '50 ways to wait' im Format 40 x 60 cm und eine Rauminstallation aus Siebdruckplatten, Holzlatten, semitransparenter Folie, Spiegel und einer Edelsteinscheibe gezeigt. Die Zeichnungsserie thematisiert in den seit Oktober 2007 entstandenen Blättern eher unspektakuläre und banale Situationen unseres Lebens: die Momente, in denen der gesättigte und vor Ereignissen überquellende Strom unserer individuellen Drehbücher gestoppt wird, plötzlich für einen Augenblick oder sehr lange Zeit nichts mehr geschieht, wir von einem 'Zeitloch' aufgesogen werden. Ob es sich dabei um einen spannungsgeladenen Zeitpunkt vor dem nächsten Raketenstart bzw. dessen eher banale Spielart beim Warten an der Straßenampel handelt oder um eine ganze Zeitspanne wie etwa die der verschwendeten Jugend – in ihren skizzenartigen, teilweise aquarellierten Federzeichnungen, die überwiegend in schwarz-weiß gehalten sind, lenkt Katharina Jahnke unseren Blick auf die Nebenschauplätze unserer Existenz. Die uns vertraute Sinnlosigkeit oder Langeweile wird angesprochen, aber sie hinterlässt keinen bitteren Beigeschmack. Man kann sich den 'Wartezonen' seines Lebens ausgeliefert fühlen, in Lethargie versinken oder aggressiv reagieren, aber sie auch als Pause oder Mußestunden umdeuten und das Innehalten kreativ nutzen. Eher gelassen, aufmerksam und mit einem leisen ironischen Unterton entfaltet die Künstlerin ihr Universum aus Szenen am Minigolfplatz, im zoologischen Aquarium, auf einer Gefängnisinsel und einer Baustelle. Immer wieder kombiniert Katharina Jahnke kurze Zeilen oder regelrechte kleine Stories mit den bildnerischen Elementen, die auch unterschiedliche Sprecherpositionen signalisieren – der wundersame antiquierte Stil alter Naturkundebücher, zeitgenössische O-Ton-Zitate, trockene wissenschaftliche Kategorisierungen etc. Phasen des Wartens, der Handlungslosigkeit klinken sich aus dem gewohnten Zeitempfinden aus und scheinen sich ins Unendliche zu dehnen. Synchron mit diesem veränderten Zeitmaß jenseits taylorisierter Effizienz taucht auch eine 'Nebenwelt' auf: in der Arbeit 'Höhle' spielt die Darstellung einer Höhle auf das oft berichtete Phänomen an, dass im Inneren dieser vom Tageslicht abgeschiedenen Orte die Zeitwahrnehmung einer Verschiebung unterliegt, ebenso wie die lautlose, unwirkliche Unterwasserwelt hinter den Aquariumbullaugen. Vergleichbar damit mag sich das Leben auf einer Insel abspielen, deren temporäres Raster einen Kontrapunkt zum atemlosen urbanen Rhythmus verkörpert. Die Zeile 'coconut shell clock' erinnert an andere, jenseits unserer Uhr real existierende Zeitgeber. Wie unbelebte und uninterpretierte Platzhalter funktionieren die Baustelle und verlassene Räume im Zustand der Renovierung. Die Abwesenheit von Handlung suggeriert zugleich ein zeitliches Vakuum. Eine absurde Szene voll unheimlicher Stille und Melancholie repräsentiert die surreale Bushaltestelle irgendwo mitten im Wald. Den Fokus und auch Höhepunkt dieser 'Menagerie des Wartens' artikulieren die zyklisch verlaufenden Zeitspulen Schlaf und Traum, die sich der Kontrolle entziehen und uns jede Nacht in eine Gegenwelt entführen, in der eher passiv erlebt als aktiv gestaltet wird: Das Kreuzgangfake im Eulengehege eines Zoos spricht die 'Eulen und Lerchen' mit ihren unterschiedlichen Tagesrhythmen an, und die Darstellung des wohlbekannten Schäfchenzählens verbindet Jahnke mit der akribischen Aufzählung der einzelnen Schlafphasen. In noch prägnanterer Weise schafft die für die Ausstellung entwickelte ortspezifische, mehrteilige Rauminstallation aus zurecht gesägten Siebdruckplatten mit ihrer typischen matten dunkelbraunen Oberfläche ein autonomes, nach eigenen Gesetzen funktionierendes Raum- Zeit-Kontinuum. Die aus Boden, Decke und Wand ragenden Skulpturelemente aus ineinander gesteckten Dreiecken mit betont rauen, zerfaserten Kanten und überraschenden Perspektiven wirken einerseits geradezu zeichnerisch-linear, wie kristalline Strukturen, andererseits durch ihr Wuchern zugleich organisch. Der Betrachter befindet sich inmitten dieses ruppigen Splitter- und Dornenclusters wie in einem Zauberwald, der ihn an der Stelle, wo er glaubt, sein Geheimnis enträtseln zu können, auf sich selbst zurückwirft: eine leuchtend rotviolette Achatscheibe auf einer der Galeriewände gewährt ihm durch eine kleine Öffnung scheinbar einen Blick in die Tiefe der umgedeuteten und neu komponierten Raumsituation. Doch es ergeht ihm anders als 'Alice hinter den Spiegeln', die eine ganze Zeitlang, genauer für die Dauer eines Buches, in einer fremden Sphäre spielen und träumen wird... Gabriele Wurzel
Ort: Sebastian Brandl bis: 2007-12-20
Künstler: Marcelo Viquez
Thema: Der Maler, Zeichner, Bildhauer und Videokünstler Marcelo Viquez (*Montevideo, 1971) zeigt bei Sebastian Brandl neue Arbeiten erstmals in einer Einzelausstellung in Deutschland. Der in Mallorca lebende Künstler stellt rund 20 Zeichnungen sowie ein Video aus. Wie das gesamte Werk von Viquez, so hat auch der Ausstellungstitel eine erzählerische bzw. persönliche Bedeutung: der Begriff solo (span. allein) fungiert hier als Wortspiel im doppelten Sinne, da er sowohl den Inhalt der Arbeiten widerspiegelt, aber auch Leben und Charakter des Autors beschreibt. Mit Begeisterung spricht Viquez von seiner Punkband, in der er Schlagzeug spielte und die sein Lebensmittelpunkt darstellte. So waren die regelmäßigen Treffen in den Garagen eines Stadtviertels von Palma de Mallorca mit anderen Musikern für ihn heilig als auch unabdingbar; seine Zeiteinteilung und die Kontakte zu den übrigen Mitmenschen waren auf diese Zusammenkünfte ausgerichtet. Die Musiker versammelten sich, um angestaute Energien nach Lust und Laune freizulassen und neue Kräfte zu tanken. In der Ausstellung erzählt Viquez nun die Geschichte des Bruchs mit der Gruppe, seinen freiwilligen Entschluss aber unvermeidbaren Verlauf, seine Befreiung. Er stieg aus, da er nicht fähig war in einer Gruppe zu arbeiten; weil er sich auf festgefahrenen Pfaden eingeschränkt fühlte, erschöpft von jener Sache, die ihm am meisten gefiel. Viquez' Leben ist geprägt von seinem nichtkonformistischen und aufrührerischen Charakter, der aber letztendlich das Ticket in die Ausdrucksfreiheit war, ungeachtet der zahlreichen Möglichkeiten auf ein komfortables, normales und alltägliches Leben. Somit dechiffrieren sich die Zeichnungen durch seine Erzählung, in das Zeugnis eines Prozesses, des Bruchs und der Wiedergeburt eines befreiten Künstlers, der auf diese Weise zum visuellen Chronist seines eigenen Lebens wird. Das Werk von Viquez weist die Ästhetik und Ikonographie des Comic, des Graffiti und der Pop Art auf. Die aktuellen Zeichnungen bedeuten nicht nur einen Bruch mit seinen Routinen, sondern auch ein Abrücken von einer Typisierung seines Werkes. Er legt gewissermaßen jenen Stempel ab, der seinen künstlerischen Stil bisher kennzeichnete, und wendet sich deutlich einer realistischeren und fotografischen Position zu. Der Rhythmus des durch mittelformatige Zeichnungen (29 x 39 cm) geformten Mosaiks wird insbesondere durch zwei großformatige Arbeiten (156 x 129; 117,5 x 132 cm) unterbrochen: ein Selbstbildnis auf einem Schlagzeughocker sitzend mit den Drumsticks in den Händen sowie das Instrument selbst, versehen mit dem Schriftzug 'Amistad Tenuitas' und dem Satz 'one day is fine next is black'. Die Zeichnungen präsentieren sich als technisches Spiel mit Bleistift, Kugelschreiber, Kohle oder als Collage in Kombination mit Worten bzw. geschriebenen Äußerungen, welche die Ikonographie verstärken und Botschaften, Zitate, Gedanken oder direkte Anspielungen auf die eigene Person ausdrücken. So z.B. bei der Zeichnung mit dem Schriftzug 'Attitude’ (engl. Einstellung, Haltung): ein Begriff wird wiederverwandelt in das Schlüsselwort der Ausstellung und zum raison d’être seiner selbst. Es ist Viquez' Attitude, die ihn leiden lässt, die ihm Freiheit schenkt und die den 'Solo-Weg' kennzeichnet. Oder die Arbeit mit dem Wort 'Amistad’ (span.: Freundschaft), womit der Künstler klarstellt, dass sein Bruch mit der Band ein notwendiger Schritt zur eigenen Individualität war, aber nicht die Freundschaft zu den restlichen Bandmitgliedern betroffen hat. In diesem Kontext ist auch die Zeichnung eines mit Nieten bespickten Halsbandes zu verstehen, das die Trennung/Teilung der Wege symbolisiert. Das Video, in dem sich der Künstler in autobiografischer Form Schlagzeug spielend zeigt, ruft eine gewisse Melancholie hervor, die jedoch schnell von der Lautstärke des Instruments zerschmettert wird, das einen Rhythmus und neue Wege kennzeichnet. Der Kurzfilm ist die Zusammenfassung seiner persönlichen Geschichte: solo, allein, eingehüllt in das eigene Universum, ein einsamer Künstler, ein Bohemien des XXI. Jahrhunderts. Marcelo Viquez hat an zahlreichen Gruppenausstellungen in Spanien, Uruguay, Korea, Holland und Deutschland teilgenommen sowie in den wichtigsten Kulturinstitutionen in Mallorca ausgestellt. Einige seiner Arbeiten befinden sich in privaten und öffentlichen Sammlungen, so in der Sammlung Sanahuja, der Sammlung der Fundación Barceló, im Rathaus von Palma de Mallorca oder im Consell von Mallorca. Suzana Mihalic